Standards schaffen Sicherheit

Medizinische Stromversorgung gemäß IEC 60601

19. Mai 2020, 11:35 Uhr | Florian Haas
AC/DC-Netzteile aus der TPP-450-Serie sind für die Medizintechnik zugelassen.
© Traco Power

Untersuchung der Schlüsselprinzipien von IEC 60601, die sich auf die Implementierung der Stromversorgung beziehen

Es ist nicht überraschend, dass Hersteller von Medizinprodukten in diesen außergewöhnlichen Zeiten buchstäblich überrannt werden. Um diese Geräte zu bauen und so schnell wie möglich in die Krankenhäuser zu bringen, braucht es gute Mitarbeiter, effiziente Prozesse, eine gute Logistik und, nicht zu vergessen, Hunderte von zugelassenen, qualitativ hochstehenden Komponenten.

Auch wenn die Dringlichkeit für diese medizinischen Geräte zurzeit enorm ist, darf die Sicherheit der Patienten und des Krankenhauspersonals jedoch nie außer Acht gelassen werden. Eine dieser Gefahrenquellen sind Überspannungen durch die medizinischen Geräte. Um die Sicherheit, sowohl der Patienten als auch des medizinischen Personals zu gewährleisten, ist das Gesundheits-Geschäft durch eine Vielzahl von Standard-basierten Anforderungen und entsprechende Produkt-Tests stark reguliert. Im Mittelpunkt der Standardisierung steht IEC 60601 mit einer Reihe spezifischer Anforderungen an das im Gesundheitswesen eingesetzte elektrische und elektronische Equipment.

Der Standard IEC 60601

Eines der Schlüsselprobleme bei der Sicherheit medizinischer Geräte ist die Tatsache, dass der Patient oft physisch mit dem Gerät verbunden ist. Ein Beispiel dafür sind die leitenden Pads eines Elektrokardiographen. In IEC 60601 werden diese Teile als »Anwendungsteile« (applied parts, AP) bezeichnet. Sie stellen eine wichtige Definition innerhalb des Standards dar, wenn es um die Festlegung der allgemeinen Anforderungen an ein Medizinprodukt geht.

Medizinische Geräte müssen mindestens eine Schutzmaßnahme (Means of Protection, MOP) aufweisen. Damit soll sichergestellt werden, dass sowohl der Patient, falls er über ein AP mit einem Gerät verbunden ist, als auch die Bedienperson gegen das Risiko eines elektrischen Schlags, auch unter fehlerhaften Betriebsbedingungen, abgesichert sind. Die Schutzmaßnahme (MOP) lässt sich realisieren durch Sicherheits-Isolierung, Schutzerde, eine definierte Kriechstrecke, einen Luftspalt, weitere Schutz-Impedanzen, oder durch die Implementierung einer geeigneten Kombination dieser Maßnahmen.

Im genannten Standard werden das Bedienpersonal und die Patienten in unterschiedlicher Weise berücksichtigt. Dies führt zu der Klassifikation 'Maßnahmen zum Anwenderschutz' (Means of Operator Protection, MOOP) und 'Maßnahmen zum Patientenschutz' (Means of Patient Protection, MOPP). Ein Grund für diese unterschiedliche Einstufung besteht darin, dass der Patient physisch über ein Anwendungsteil (AP) mit einem Gerät verbunden sein kann und beim Auftreten eines Fehlers eventuell nicht bei Bewusstsein ist. Wegen dieses Risikos sind die MOPP-Anforderungen strikter. Jeder Begriff ist mit Bezug auf die Isolationsspannung, den Kriechabstand und das Isolationsniveau definiert.

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KlassifikationPrüfspannungKriechstreckeIsolierung
1 x MOOP1500 VAC2,5 mmEinfach
2 x MOOP300 VAC5 mmDoppelt oder verstärkt
1 x MOPP1500 VAC4 mmEinfach
2 x MOPP4000 VAC8 mmDoppelt oder verstärkt

 

Tabelle 1: Unterschiede zwischen MOOP und MOPP, wie sie mit Ausgabe 3 der Norm IEC 60601-1 eingeführt wurden

Weiterentwicklung des Standards

IEC 60601 hat sich seit der ersten Veröffentlichung vor beinahe 40 Jahren stetig weiterentwickelt. Da Stromversorgungen und Stromversorgungsmodule keine medizinischen Geräte im engeren Sinne sind, unterliegen sie den Standards nicht unmittelbar. Allerdings wären die Hersteller medizinischer Geräte ohne geeignete Stromversorgungslösungen, die im Hinblick auf medizinische Anwendungen entwickelt wurden, nicht in der Lage, die Konformität mit den Standards einzuhalten.

Bis vor kurzem konnte man davon ausgehen, dass medizinische Geräte exklusiv in den dafür vorgesehenen medizinischen Einríchtungen eingesetzt würden, also in Krankenhäusern und Kliniken. Diese Einrichtungen bieten eine besonders saubere Stromversorgung für ihre höchst empfindlichen Medizingeräte. Patienten wünschen sich jedoch zunehmend mehr Bequemlichkeit bei der Behandlung. Für medizinische Einrichtungen, die mit beschränkten Ressourcen konfrontiert sind, bedeutet dies, dass medizinische Geräte mehr und mehr auch in häuslichen Umgebungen eingesetzt werden. Dabei gewinnen die Probleme der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) zunehmende Bedeutung, mit möglichen Störungen durch Technologien wie Bluetooth und Wi-Fi. Deswegen wurden in der neuesten Version des Standards (4. Ausgabe) die Testprozeduren und die Akzeptanz-Level im Hinblick auf EMC geändert.

Eine weitere signifikante Neuerung betrifft die Forderung nach Durchführung einer Risikoabschätzung entsprechend ISO 14971. Risiko-Management gilt als Schlüsselelement beim Nachweis der Konformität medizinischer Geräte. ISO 14971 definiert dazu Best Practices für alle Phasen der Lebensdauer von Medizingeräten.

Die aktuelle Medical Device Directive verschärft diesen Konformitätsaufwand, indem sie von den Herstellern die Implementierung eines Qualitätsmanagement-Systems (Quality Management System, QMS) verlangt, das mit ISO 13485 konform ist. Die primäre Anforderung an betroffene Unternehmen (wie die Hersteller von Stromversorgungen) ist der Nachweis der Fähigkeit zur konsistenten Erfüllung der Anforderungen seitens der Kunden, sowie der regulativen Vorschriften.

Medizinisch zugelassene DC/DC-Konverter 

Die typische Vorgehensweise zur Konformität mit IEC 60601 besteht im Einsatz einer AC/DC-Stromversorgung, die für medizinische Anwendungen zugelassen ist.  Allerdings erfordern BF- bewertete Applikationen zusätzlich, dass das AP-Instrument das zweifache MOPP-Rating erfüllt. Viele der medizinischen AC/DC-Stromversorgungen, die derzeit auf dem Markt sind, haben kein 2X MOPP-Rating. Deshalb sind sie nicht als Stand-alone Stromversorgungslösung für Anwendungen geeignet, in denen BF-Konformität erforderlich ist.  In diesen Fällen kann ein nach IEC 60601 zugelassener DC/DC-Konverter mit zweifachem MOPP-Rating die BF-Konformität für das AP unterstützen. Ein weiterer, häufig auftretender Fall sind medizinische Geräte, die die Fähigkeit zum Batterie-Back-up implementieren und zugleich das 2X MOPP Rating auch während eines Netzausfalls garantieren müssen.

Oft erfordern medizinische Geräte unterschiedliche Gleichspannungen zum Ansteuern des AP-Instruments, die von der vom DC-Hauptsystem gelieferten Spannung abweichen. Um die Bereitstellung kundenspezifischer AC/DC-Stromversorgungen zu vermeiden, kann man das durch die Kombinatiom von DC/DC-Konvertern nach IEC 60601 mit 2X MOPP Rating und einer AC/DC-Stromversorgung nach ITE 60950 lösen. In anderen Fällen lässt sich das Vertrauen der Entwickler in die Sicherheit auch durch den Einsatz medizinisch zugelassener DC/DC-Konverter mit zweifachem MOPP für das AP-Instrument erhöhen. Das gilt auch dann, wenn die gewählte AC/DC-Stromversorgung die IEC 60601-Zulassung hat.

Die primären Anforderungen für 2X MOPP (Tabelle 1) sind Isolationsspannungen von mindestens 4000 VAC, Kriechabstände von 8 mm und doppelte Isolierung. Die allgemein verfügbaren DC/DC-Konverter (einschließlich derer, die nach EN60950 zugelassen sind) bieten eine Isolation von 500 VDC bis etwa 1600 VDC. Deshalb sind sie für medizinische Applikationen nicht geeignet. Doch es sind spezielle DC/DC-Konverter verfügbar, die die AP-Anforderungen erfüllen, wenn sie in Verbindung mit solchen regulären, ab Lager lieferbaren Stromversorgungen eingesetzt werden.
Durch die Realisierung einer Isolationsspannung von bis zu 5000 V AC, doppelte Isolation und einen Kriechabstand von 8 mm durch die galvanische Trennung im Transformator kann ein DC/DC-Konverter den Patienten auch im Fehlerfall der Hauptstromversorgung immer noch schützen. Damit vermeidet man, dass die Netzspannung an einem der vom AP berührten Körperstellen des Patienten auftreten kann.

Fazit & Ausblick

Der Healthcare-Markt wächst schnell und verändert sich dabei zusehends. Auch die einschlägigen Standards wie IEC 60601 entwickeln sich ständig weiter, um mit diesen Veränderungen Schritt zu halten. Die Hersteller von medizinischen Geräten sind letztendlich verantwortlich für die Sicherheit der Patienten und des Bedienpersonals beim Einsatz ihrer Produkte. Doch durch eine Partnerschaft mit erfahrenen Anbietern von Stromversorgungen lassen sich diese Herausforderungen und Risiken signifikant reduzieren. 

Der Autor

Florian Haas ist Direktor Marketing & Produktmanagement bei Traco Power

Das Unternehmen

Die Traco Power AG, Baar (Schweiz), bietet sowohl AC/DC- als auch DC/DC-Lösungen für medizinische Applikationen. Alle von ihnen erfüllen die Anforderung nach 2X MOPP. Sie sind außerdem konform mit den EMV-Anforderungen nach IEC 60601-1 (4. Edition), und sie sind im Sinne der BF-Konformität für alle mit dem Patienten verbundenen Anwendungsteile medizinischer Geräte geeignet. Die AC/DC-Produktlinie umfasst kleine PCB-Module für 5 W über eine Anzahl von Open-Frame Designs für mittlere Leistungen bis zu Stromversorgungen im Gehäuse mit Leistungspegeln bis zu 450 W.

Als Hersteller von Stromversorgungslösungen ist Traco, anders als die Anbieter von medizinischen Geräten, nicht verpflichtet, Daten zur Risiko-Abschätzung bereitzustellen. Doch das Unternehmen bietet Konformität mit ISO 14971 und stellt daher seinen Kunden die Dateien der Risikoabschätzung für kritische Bereiche, wie Isolierungsbruch, invertierter Betrieb, Ventilatorausfall, Flammbarkeit, mechanischer Schock und anderes mehr zur Verfügung. Die Bereitstellung dieser Daten trägt wesentlich zur Risikoabschätzung für medizinische Endprodukte der Kunden bei. Es spart Zeit und senkt die Kosten in deren Entwicklungsprozessen.

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