Das Holzbein hat ausgedient

Beinprothesen perfekt steuern

17. November 2016, 9:56 Uhr | von Michael Randt

Wenn Antriebstechnik zu einem Teil des Körpers wird, sind die Anforderungen an Regelung, Baugröße und Verlässlichkeit der Steuerung extrem hoch. Mit integrierten FOC-Reglerbausteinen ist es gelungen, die erste aktive Beinprothese mit zwei aktiven Gelenken fertigzu stellen.

Das Steuern motorbetriebener Prothesen ist schwierig: Die von der Person beabsichtigten Bewegungen müssen korrekt zur Beinprothese übertragen werden.
Das Steuern motorbetriebener Prothesen ist schwierig: Die von der Person beabsichtigten Bewegungen müssen korrekt zur Beinprothese übertragen werden.
© ETH UZürich / Alessandro Della Bella

Der Verlust eines Gliedmaßes ist ein schwerer Einschnitt im Leben. Leider sind heutige Prothesen noch weit davon entfernt, die natürlichen motorischen Funktionen in einem Maße nachzubilden, dass sie uneingeschränkt natürliche Bewegungsabläufe abbilden können. Der isländische Hersteller Össur – Markt- und Technologieführer für aktive Beinprothesen – entwickelt derzeit mit Hilfe integrierter Antriebsregler-Bausteine des deutschen Herstellers Trinamic Motion Control die erste serienfähige aktive Beinprothese, die sowohl über ein motorisiertes Kniegelenk als auch über ein motorisiertes Fußgelenk verfügt. Die Bewegungsabläufe einer Prothese nähern sich damit immer weiter einem gesunden Bein an. Erstmals muss eine vom Knie abwärts amputierte Person das Gehen nicht mehr völllig neu lernen.

Mit dem Power-Knee ist Össur bereits einen neuen Weg gegangen und hat das weltweit erste prothetische Kniegelenk auf den Markt gebracht, das mit aktiver Motorkraft die natürliche Muskelaktivität ersetzt und ausreichend Kraft zum Beispiel für eine Aufwärtsbewegung auf Treppen oder Steigungen bereitstellt.
Wäsche aufhängen, vom Sofa aufstehen oder den Frühstückstisch decken. Für gesunde Menschen ist all das kein Problem. Versehrte stehen im Alltag hingegen oft vor unüberwindbaren Hürden.

Von Captain Hook zum Iron Man

Auf kleinstem Bauraum findet die Leistungselektronik der Antriebssteuerung zusammen mit der künstlichen Intelligenz zur Interpretation der beabsichtigten Bewegungen Platz.
Auf kleinstem Bauraum findet die Leistungselektronik der Antriebssteuerung zusammen mit der künstlichen Intelligenz zur Interpretation der beabsichtigten Bewegungen Platz.
© Trinamic

Auch wenn die aktuell verfügbaren Assistenzsysteme und Prothesen sich schon weit vom sprichwörtlichen Holzbein entfernt haben, müssen Träger heute noch viele Abläufe im täglichen Leben neu lernen.

Daher veranstaltete die ETH Zürich nun erstmals den Cybathlon – einen Wettkampf für Athleten mit Behinderung. Die Parcours des Cybathlon sind ganz bewusst auf alltägliche Aufgabenstellungen fokussiert. Mit ihrer Veranstaltung will die ETH Zürich auf Hindernisse aufmerksam machen, denen Menschen mit körperlichen Einschränkungen jeden Tag begegnen. Gleichzeitig dient der Cybathlon als Plattform für die Entwicklung neuartiger, alltagstauglicher Assistenztechnologien. Er will Barrieren zwischen Menschen mit Behinderungen, der Öffentlichkeit und Technologieentwicklern abbauen.

Zur Weltpremiere des Cybathlon am 8. Oktober 2016 ist das Team Össur, unterstützt von Trinamic, mit einer vollwertigen, motorisierten Beinprothese angetreten. Mit der ¬Motorisierung des Knies und des Fußgelenkes adressiert sie die Probleme Beinamputierter im Alltag. Das Zeitfenster für die Entwicklung der Lösung war denkbar knapp: Um beim Cybathlon mit einer funktionierenden Antriebssteuerung starten zu können, musste das Team innerhalb von weniger als einem halben Jahr eine kompakte und überaus zuverlässige Antriebsteuerung entwickeln. Das Anbinden von Antrieben an den menschlichen Körper ist die ultimative Herausforderung und Ansporn für das Trinamic-Team.

Die Regelung wird ein Teil des Körpers

Auch wenn der Antrieb nicht in den sensiblen Bereich lebenserhaltender Systeme fällt, setzt die Anwendung als Quasibestandteil des Körpers eine besondere Robustheit und Verlässlichkeit voraus. Gleichzeitig müssen sich die Antriebe und deren Steuerungen in den begrenzten, von natürlichen Gliedmaßen vorgegebenen Bauraum einfügen lassen. Besonders für den Antrieb des Fußgelenkes steht wenig Platz zur Verfügung – eine echte Herausforderung für die Entwickler.

Eine besondere Anforderung bestand für die Steuerung: Diese sollte modular ausgeführt sein. Das ist wichtig, damit auf lange Sicht verschiedene Gelenke mit verschiedenen Unterstützungsgraden eingesetzt werden können. Abwandlungen des grundlegenden Designs sollten für verschiedene Batteriespannungen und Leistungsklassen ausgelegt werden können. Die Entwickler teilten die funktionalen Komponenten Motorsteuerung, Zentralprozessor – auf dem die KI für die physiologische Bewegungserkennung läuft – und Sensorik auf separate Elektronikmodule auf, die auf kleinstem Bauraum montiert wurden.

Mit Rampencontrollern schneller zum Produkt

Mit dem Ziel, rechtzeitig vor dem Cybathlon einsetzbare Prototypen herstellen zu können, entwickelte Trinamic innerhalb von nur fünf Monaten eine applikationsspezifische Antriebssteuerung. Dabei half die Verwendung des dedizierten Reglerbausteins TMC4670, der letztlich die gesamte feldorientierte Regelung vom Mikroprozessor übernimmt. Der Risikofaktor Entwicklung der Regler-Firmware und die damit verbundene Validierungszeit konnte auf diese Weise eliminiert werden. Lediglich die Regelparameter mussten noch an Motor und die Besonderheiten der Anwendung angepasst werden.

Das Entwicklerteam konnte somit seinen Fokus auf den Umgang mit dem begrenzten Bauraum legen. Dabei stellte besonders die Geometrie des Fußes enorme Anforderungen an das Team: Es musste auf einer Grundfläche von höchstens 65 mm × 40 mm einen Motorregler für Spitzenleistungen von 500 W unterbringen. Um auf dieser geringen Fläche die Verlustleistung der Endstufe managen zu können, ist eine gute thermische Anbindung an die Aluminiumstruktur notwendig. Dazu wurden im Entwicklungsstadium mehrere Konzeptionen inklusive Active-Multilayer-Topologien parallel betrachtet und an Funktionsmustern verglichen. Aufgrund der Untersuchungen setzte sich letztlich ein Design mit oberflächenmontierten Leistungsschaltern mit guter thermischer Anbindung an das Gehäuse durch.

Validierung mit Hardware in the loop

Damit schon parallel zur Entwicklung der Mechanik der Endapplikation das Design validiert werden konnte, mussten die frühen Funktionsmuster schon bei Trinamic die im Betrieb zu erwartenden Lastzyklen auf einem Teststand absolvieren. Mit einem Maschinenpaar, bestehend aus zwei der im Endsystem eingesetzten Motoren, konnten auf dem Teststand die Lastzyklen, die aus den Erfahrungen mit dem bereits am Markt befindlichen PowerKnee II resultieren, im Dauertest nachgestellt werden.

Auf dem Cybathlon musste sich die Lösung schließlich unter Wettkampfbedingungen bewähren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Im Feld der aktiven Prothesen erreichte der Prototyp den zweiten Platz – direkt hinter dem serienmäßigen Össur Powerknee II, dessen Antriebstechnik ebenfalls von Triinamic stammt.

Über den Autor:

Michael Randt ist CEO von Trinamic.


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