Patientensimulator

Das Hightech-Baby

2. Mai 2018, 8:00 Uhr | Anja Schütz
Mit Paul lassen sich verschiedene Notfallsituationen in der Frühgeborenenmedizin trainieren.
© SMCharacters

Allein in Deutschland kommen jährlich fast 67.000 Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt – eine Herausforderung für Frühchen, Eltern und Klinikpersonal. Patientensimulatoren helfen das Frühgeborenentraining zu verbessern und die Überlebenschancen zu erhöhen.

Paul atmet selbstständig, ist 35 cm lang, 1000 g leicht: ein Frühchen, geboren in der 27. Schwangerschaftswoche. Sein Vater heißt Jens-Christian Schwindt, langjähriger Kinderarzt an der Neonatologie des AKH Wien und CEO von SIMCharacters (Bild 1). 2015 hat er seinen Oberarztposten gekündigt, um sich ganz um Paul zu kümmern. Der Säugling benötigte künstliche Beatmung, manchmal lief er sogar blau an.

Noch mehr als die Pflege von Schwindt benötig Paul allerdings Investoren. Denn das Frühchen ist kein echtes Baby – es ist der kleinste und modernste High-End-Patientensimulator weltweit. Mit ihm lassen sich verschiedene Notfallsituationen in der Frühgeborenmedizin trainieren, die täglich auf den Stationen vorkommen. Denn nur durch regelmäßiges Training im Team lassen sich laut Schwindt die Überlebenswahrscheinlichkeit und die spätere Lebensqualität von Frühgeborenen verbessern. Wichtig ist ihm vor allem der interdisziplinäre Ansatz. »Es ist völlig sinnlos, nur Schwestern oder Ärzte zu trainieren, denn das Team muss im Notfall ja als eine Einheit funktionieren.«

Paul weckt Emotionen 

»Für das Training mit Frühgeborenen gab es nichts auf dem Markt, was unseren Ansprüchen als Mediziner genügte«, so Schwindt, der selbst schon jahrelang Trainings durchführt. Es fehlte am realitätsnahen Äußeren und moderner Technik. Paul ist in dieser Hinsicht perfekt – er weckt Emotionen, womit ein sehr realistisches Szenario entsteht und der Trainingserfolg beim medizinischen Personal höher ist.

Der Simulator verfügt neben der äußeren lebensechten Anatomie über ein hoch entwickeltes Innenleben, er ist vollgepackt mit Technik. Im Schädel ist ein Linuxsystem verbaut, geladen wird das Frühgeborenen-Trainingsmodell kabellos per Induktion über ein herkömmliches Ladepad. Paul hat eine Betriebsdauer von bis zu zwei Stunden. Der Kleine kann richtig schreien und quengeln. Und wenn die Atmung schwer wird oder die Sauerstoffsättigung sinkt, dann läuft der Kopf blau an.

Leise Motoren

Alles entsteht bei SIMCharacters in Wien vor Ort. DC-Motoren, Getriebe und Sensoren von Maxon Motor sorgen dafür, dass sich Bauch und Brustkorb je nach den programmierten Testszenarien bewegen. »Klein, stromsparend und effizient sollten die Antriebssysteme sein«, erklärt Michael Haller, Head of Research & Development bei SIMCharacters. Wirklich wichtig war jedoch, dass sie leise arbeiten und über eine lange Laufzeit verfügen.

Zum Einsatz kommen drei DCX-12-Motoren mit Getriebe und Sensoren – zwei für den Brustkorb und einer für den Bauch (Bild 2). Die energieeffizienten Antriebe sind jeweils mit Edelmetallbürsten ausgestattet und liefern bis zu 2,5 Watt. Ein weiterer DCX 6 bewegt ein Ventil in der Lunge des Simulators. Insgesamt wurden rund 40 Motoren verbaut. 

Kein Einzelkind 

Die Idee für den Babysimulator kam Schwindet 2010, zwei Jahre später gründete er sein Unternehmen. Das Start-up erhielt Förderung vom österreichischen Staat, mit der es erst möglich war, einen Prototypen zu bauen. Ein Vorarlberger Investor war begeistert vom Produkt und verhalf dem Säugling zur Serienreife.

Inzwischen sind schon einige Pauls verkauft. Die Nachfrage sei hoch. Ein Trainingssimulator kostet 50.000 Euro – eine Investition, die sich laut Schwindt lohnt: »Kritische Situationen in der Frühgeborenenmedizin müssen immer wieder realitätsnah trainiert werden, damit es auch im Ernstfall gut funktioniert.« Paul soll kein Einzelkind bleiben, er wird in den kommenden Jahren noch weitere Geschwister bekommen.

Maxim Integrated
Bild 1. Dr. Jens-Christian Schwindt, Gründer und CEO von SIMCharacters.
© SIMCharacters

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