Industrie 4.0 in der Medizintechnik

Smarte Prozesse für Medizinprodukte

16. Juli 2018, 17:00 Uhr | Gelston Howell
Auch die Produktion von Medizingeräten der Klasse III ist zunehmend von Industrie-4.0-Technologien geprägt.
© Sanmina

Fachbeitrag Sanmina: Der Innovationsdruck für Medizinprodukte der Klasse III steigt. Herzschrittmacher und andere implantierbare Geräte werden komplexer, kleiner und robuster. Gleichzeitig müssen sie sich in großen Stückzahlen fertigen lassen sowie die strengen Anforderungen erfüllen.

Fast 10 Millionen Geräte pro Jahr, Montage- und Prüfprozesse mit mehr als 50 Schritten und Komponenten, die teilweise so klein sind, dass sie nicht mehr von Menschenhand verbaut werden können – die Herstellung eines Medizinproduktes der Klasse III erfordert nicht nur Know-how, sondern auch fortschrittliche Fertigungssysteme und automatisierte Produktionslinien. Sowohl die Produkte selbst als auch die Fertigungsprozesse müssen dabei den gesetzlichen Auflagen entsprechen, zum Beispiel für die Rückverfolgbarkeit und die Prüfungen der Komponenten, die Speicherung und den Zugriff auf den Bericht der Gerätehistorie (Device History Record, DHR) sowie den Nachweis der Prozesseinhaltung. Darüber hinaus bringt auch die Bestandskontrolle im Fertigungsbereich aufgrund der tausend Materialkits, die wöchentlich gebraucht werden, zusätzliche Herausforderungen für die Produktion mit sich. Industrie-4.0-Technologien, die wir auch aus anderen Branchen kennen, ermöglichen eine moderne Automatisierung, mit der Medizingerätehersteller die hohen Anforderungen in der Produktion bewältigen können. 

Gerätehistorienbericht und Geräteumsatz 

Um den Entwicklungs- und Produktionsprozesses eines Gerätes Schritt für Schritt nachvollziehen zu können, verlangt unter anderem die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) einen Gerätehistorienbericht (DHR) für jedes Klasse-III-Produkt. Er dokumentiert, ob ein Produkt gemäß der Materialliste, der Liste der zulässigen Hersteller, Verfahren und Anweisungen aus dem Gerätestammsatz (Device Master Record, DMR) gefertigt wurde. Im Bericht sind Komponenten- und Geräteteilnummern, eindeutige Seriennummern, Datencodes, Herstellungsdatum sowie die Ergebnisse von allen Prüfungen oder Kontrollen erfasst. Dabei ist nicht nur die Erfassung der Daten eine Auflage, sondern diese müssen sich auch schnell abrufen lassen. 

Die Datenerfassungssysteme, zum Beispiel Scanner innerhalb der Fertigungsanlage, kommunizieren dazu mit Fertigungsausführungssystemen (Manufacturing Execution Systems, MES) in der Cloud, um sicherzustellen, dass nur die im DMR vorgegebenen Komponenten auch tatsächlich in den Produkten verbaut werden. Der Scanner lädt die Teilenummer, die Seriennummer und den Datencode in einen elektronischen DHR. Maschinen und Scanner erfassen den Weg des Produkts durch den Fertigungs- und Kontrollprozess. Die Ergebnisse der optischen Prüfungen, Pass/Fail-Daten und Parameter aus den Kontrollprozessen werden von den Maschinen in das MES-System innerhalb einer Cloud hochgeladen. All diese Daten des elektronischen DHR sind anschließend im Cloud-MES gespeichert oder an das PLM-System (Product Lifecycle Management) weitergeleitet und können hier jederzeit wieder abgerufen werden. 

Forciertes Routing und cyber-physisches Werk

Bei Klasse-III-Produkten mit zum Beispiel 50 Prozessschritten beinhalten etwa 10 bis 15 davon eine Überprüfung, Kali­brierung oder Kontrolle. Fällt ein Produkt dabei durch , wird es für eine Diagnose und mögliche Überarbeitung aus dem Hauptprozess umgeleitet und anschließend kurz vor dem Punkt der nicht bestandenen Kontrolle wieder in die Produktionsstraße eingeführt. Diese Vorgehensweise sorgt dafür, dass alle reparierten Bauteile und Baugruppen die zuvor nicht bestandene Kontrolle erneut durchlaufen. 

Geht man beispielsweise von 10 Millionen gefertigten Produkten pro Jahr aus – etwa ein Produkt alle 1 bis 2 Sekunden – ist die Anzahl an Permutationen gültiger Prozesswege, die infolge von Pass/Fail-Ergebnissen an den zehn Prüf- oder Kontrollpunkten auftreten könnte, erheblich. In einer solchen Umgebung ist die Bestätigung, dass jedes Produkt gemäß dem definierten Prozess gefertigt wird, eine Herausforderung, die nur durch Industrie- 4.0-Technologien und -Verfahren bewältigt werden kann. Beispielweise lässt sich der definierte physische Fertigungs- und Kontrollprozess mithilfe eines virtuellen Fertigungsprozesses in dem Cloud-MES replizieren. Innerhalb des MES-Systems werden Regeln für gültige Prozessabläufe bestimmt. In jedem Schritt des Produk­tionsprozesses wird jedes Produkt gescannt und vom MES durch einen vorgegebenen Prozessablauf geführt, um die Prozesserfüllung zu gewährleisten. 

Sanmina
Montage von medizinischen Leiterplatten in einem Reinraum.
© Sanmina

  1. Smarte Prozesse für Medizinprodukte
  2. Produktkalibrierung und Programmierung

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