Versorgung, Digitalisierung und Finanzierung waren die großen Themen des 16. Europäischen Gesundheitskongress in München. Dabei zeigte sich, Mensch und Maschine werden in Zukunft noch enger zusammenarbeiten – sofern wir es zulassen.
Der 48-jährige Tim hat Schmerzen in der Brust. Es geht ihm schlecht. Seine Assistentin DINA führt ein ersten Standard -Check durch. Die notwendigen physiologischen Daten erhält sie über einen Handgelenk-Scanner. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung, DINA gibt Entwarnung. Tim möchte sich jedoch eine zweite Meinung einholen. Seine Assistentin organisiert daher einen Termin mit Tims Ärztin. Zwei Stunden später kann auch sie via Videotelefon Entwarnung geben.
Wäre DINA ein Mensch, sie würde wohl spätestens zu Weihnachten ein großes Dankeschön erhalten. Aber DINA ist kein Mensch. DINA ist die Zukunft. Die digitale All-in-One-Assistentin ist Teil des » IGES Future Script«, das auf dem 16. Europäischen Gesundheitskongress vom 12. bis 13. Oktober 2017 in München vorgestellt wurde. Es zeigt, wie die medizinische Versorgung im Jahr 2037 aussehen könnte – individuell, ohne Hektik und digital. Die Weichen dafür werden bereits heute gelegt.
Prof. Dr. Bertram Häussler, Leiter des IGES-Instituts, bemängelte jedoch die schleppende Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen und verglich die bereits im November 2003 gesetzlich verankerte Einführung einer elektronischen Patientenakte mit den Ereignissen um Google Streetview im Jahr 2008. Nachdem rund 244.000 Bundesbürger Google untersagt hatten, Fotos ihres Hauses in den Straßenansichten zu veröffentlichen, verpixelte der US-Konzern damals große Teile des Bildmaterials. Häussler kritisierte vor allem die Angst vor der Digitalisierung: »In einer solchen verpixelten Welt ist es schwierig, sich vorzustellen, wie die Zukunft sein soll.«
Der Hausarzt wird zum Facharzt
Der Kongress in München machte vor allem eines deutlich: Deutschland hinkt bei der Digitalisierung in der Medizin hinterher. Denn während die digitale Gesundheitskarte hierzulande auch nach fast 15 Jahren Entwicklungszeit ein Traum bleibt, ist sie in vielen Teilen Europas schon längst Standard – so auch in Estland.
Dabei sind die Probleme europaweit die gleichen: Ärztemangel, lange Wartezeiten beim Facharzt und älter werdende Ärzte. » Doch warum Arzt und Patient bewegen, wenn wir doch ganz einfach Daten austauschen können«, sagte Silver Mikk von Dermtest. Das Start-up aus Estland hat eine Methode entwickelt, mit der sich Patienten mit auffälligen Muttermalen beim Hausarzt untersuchen lassen können. Dafür rüstet das junge Unternehmen Hausärzte mit hochauflösenden digitalen Dermatoskopen und der dazugehörigen Software aus (Bild 1). Damit können sie Mikrobilder von möglichen Melanomen über das Internet an einen der oft weit entfernten Dermatologen verschicken.
Fast 90 Prozent der estnischen Bevölkerung profitieren laut Mikk bereits von Dermtest. Von so einer Verbreitung der eigenen Anwendung kann Dr. Johannes Jacubeit aktuell nur träumen. » In der Medizin ist es immer schwierig, etwas zu verändern«, so der Mediziner und Gründer aus Hamburg. Und trotzdem hat er sich 2014 dazu entschlossen, es zu versuchen und connected‑health.eu gegründet. Das erste Produkt ist LifeTime, eine Art Gesundheitsakte für das Handy (Bild 2).
In der App können Benutzer alle Unterlagen ablegen, die zu einem Arztbesuch dazugehören, z.B. Befunde, Informationsmaterial, Röntgenbilder oder eigene Notizen. Um die sensiblen Daten zu schützen, verzichtet die App auf eine Cloud. Die Dokumente werden ausschließlich verschlüsselt übertragen und nur beim Patienten und seinem Arzt gespeichert.