Magnetoenzephalographie

Vom Weltraum in die Medizin

26. Juli 2018, 17:00 Uhr | Camille Giroud (Leti)
Eine neue Generation von MEG-Sensoren hatte ihren ersten Härtetest auf ganz besonderem Terrain – im Weltall.
© ESA–P. Carril, 2013

MEG-Scanner wogen bisher eine halbe Tonne und waren empfindlich – Patienten mussten absolut still sitzen. Forscher wollen nun ein mobiles Gerät entwickeln, das die Visualisierung der Gehirnaktivität verbessert und günstiger ist. Die Idee dazu entstand jedoch nicht auf der Erde, sondern im Weltraum.

Die Magnetoenzephalographie (MEG) ist ein nicht-invasives Verfahren zur Messung der elektromagnetischen Aktivität des Gehirns, vorgenommen durch äußere Sensoren, die sogenannten Squids. Dabei werden die Magnetfelder meistens zuerst durch supraleitende Spulen oder Spulensysteme erfasst und dann durch die Squids gemessen. In der Medizin wird sie unter anderem eingesetzt, um Hirnareale, die epileptische Anfälle auslösen, zu lokalisieren oder um komplexe Eingriffe am Gehirn zu planen, zum Beispiel bei Patienten mit Hirn­tumoren. Im Bereich der Sensorik kleiner Magnetfelder gibt es inzwischen »optisch gepumpte Magnetometer« (OPM) als Alternativen zu den Squids. Optische Magnetometer basieren darauf, dass Atomgase mit ungepaarten Elektronenspins, wie zum Beispiel Rubidium, in Magnetfeldern mit der Larmor-Frequenz präzedieren, die direkt proportional zum Magnetfeld ist. OPMs kommen ohne aufwendige Kühlung aus und haben ein Volumen von wenigen Kubikzentimetern.

Leti, ein französisches Technologie-Forschungsinstitut, entwickelt seit mehr als 50 Jahren Hochleistungs-Magnetsensoren, darunter Kernspinresonanzgeräte, supraleitende Quanteninterferenzgeräte, Fluxgate sowie optisch gepumpte Magnetometer. Seine Teams begannen bereits Ende der 1980er Jahre mit der Erforschung von OPMs, um die in anderen Labors verwendeten Lampen durch integrierbare Laser zu ersetzen. Mithilfe der Lasertechnik entwickelten sie Sensoren, die sich auf 100 Milliarden Atome stützen, die wie kleine Magnete wirken, deren Verhalten direkt mit dem Magnetfeld verbunden ist. Diese Technologie wurde 2005 von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA, European Space Agency) ausgewählt, um das Magnetfeld der Erde zu messen und seine Auswirkungen besser kontrollieren zu können (siehe Seite 2). 2013 wurde ein Satz dieser Sensoren für vier Jahre ins All geschickt. Im November 2017 wurde die Mission bis 2021 verlängert. Ein Mitglied des Leti-Teams erkannte, dass dieser Sensor auch für medizinische Geräte verwendet werden könnte: »Die Idee kam mir während einer Erste-Hilfe-Schulung, an der ich zusammen mit Etienne Labyt, MEG-Bildgebungsexperte des Leti, teilnahm«, so Gruppenleiter Matthieu Le Prado.

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Aktuelle MEG-Systeme benötigen Kryotechnik, eine raumgroße magnetische Abschirmung mit einem Gewicht von mindestens 5000 kg sowie eine wöchentliche Wartung für einen globalen Gerätepreis von fast drei Millionen Euro über den Zeitraum von sieben Jahren. Diese Kosten stellen derzeit ein Hindernis für die medizinische Forschung an anderen MEG-Anwendungen dar. Die für das europäische Raumfahrtprogramm entwickelten OPM-Sensoren sind wartungsfrei und arbeiten bei Umgebungstemperatur, zwei wesentliche Vorteile für medizinische MEG-Geräte. Denn tatsächlich müssen sie nicht thermisch isoliert werden und können direkt am Kopf des Patienten platziert werden. Dies ermöglicht eine deutliche Reduzierung der magnetischen Abschirmung auf ein Gewicht von nur 150 kg. Le Prado schätzt, dass die Kosten für ein OPM-basiertes MEG etwa fünfmal niedriger sind als die heutigen. Allerdings muss dieses miniaturisiert und seine Empfindlichkeit verbessert werden, um mit den aktuell besten MEG-Geräten konkurrieren zu können. In Zukunft sollen Hunderte dieser Sensoren auf dem Kopf positioniert werden, um Magnetfelder zu erfassen, die eine Million Mal schwächer sind als das Magnetfeld der Erde.

Helm mit Einblicke

Im Rahmen des von Blumorpho koordinierten, noch in der Entwicklung befindlichen europäischen H2020-Gateone-Projekts wird das neue MEG-System wahrscheinlich die Form einen flexiblen Helms für Erwachsene und Kinder annehmen, der mit einer Vielzahl von Sensoren einer Größe von 2 cm × 2 cm × 5 cm und einer Empfindlichkeit von jeweils weniger als 50 fT/√Hz bestückt ist. Da die OPMs bei Raumtemperatur betrieben werden, benötigen sie weder Kryotechnik noch Wärmedämmung. So wird es möglich, sie auf einen Helm zu setzen, der exakt der Kopfgröße (Erwachsene, Kleinkinder, Kinder und Babys) entspricht, und so jeden Sensor in direkten Kontakt mit der Kopfoberfläche zu bringen.

Die Messung der Magnetfelder in allen drei Richtungen ermöglicht durch das genauere Bild der Hirnaktivität eine bessere Diagnose. Dadurch erhalten Patienten einen besseren Zugang zur Neurochirurgie – einschließlich Patienten, die an Epilepsie leiden, von der in Europa schätzungsweise sechs Millionen Menschen betroffen sind. Die MEG-Technologie kann auch zur präoperativen Hirnkartierung genutzt werden, um die funktionellen Hirnareale in der Umgebung eines zu resezierenden Tumors abzugrenzen. Da die MEG ohne ionisierende Strahlung, hohe Magnetfelder (zum Beispiel MRT) und Injektion von Arzneimitteln auskommt, ist sie eine bevorzugte Bildgebungstechnik für Kinder, Kleinkinder und Babys.

»Die Demokratisierung der MEG-Bildgebung ist sehr wichtig und eine kostengünstigere Technologie wie diese könnte schnell in Krankenhäusern implementiert werden«, sagt Labyt. Basierend auf der internationalen multizentrischen klinischen Forschung zeige die aktuelle Forschung, dass MEG auch für die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit sehr vielversprechend ist – ein Schlüsselfaktor für ein besseres Management dieser Erkrankung. Einige Forschungsstudien berichteten bereits über andere mögliche Anwendungen, wie etwa bei Hirnverletzungen, Depressionen oder Parkinson. »Leider gibt es nicht genügend MEG-Zentren, das verlangsamt den medizinischen Fortschritt«, fügt Labyt hinzu. Im nächsten Schritt müssen die OPMs im Einsatz beweisen, dass sie auch wirklich eine Alternative zu herkömmlichen MEG-Systemen sind. Dazu sind weitere Test an freiwilligen Probanden nötig.

Über MEG hinaus

Die entwickelten OPMs könnten auch für die Magnetokardiographie (MCG) verwendet werden, die Probleme bei der Arrhythmie-Diagnose lösen kann und die Nachsorge von Herzinfarkten ermöglicht, um weitere Infarkte zu verhindern. Die MCG-Bildgebung ist aufgrund der sehr begrenzten Anzahl der verfügbaren Geräte ebenfalls ein zu wenig genutzter Ansatz. Letztendlich dürfte die Miniaturisierung für medizinische Anwendungen auch der Einbettung von OPM in Nano­satelliten dienen und die Technologie somit wieder in den Weltraum befördern.

Zuerst gesehen: Dieser Beitrag stammt aus der Medizin+elektronik Nr. 3 vom 14. Juni 2018.

Leti
Auch für die Medizin geeignet: optisch gepumpter Magnetometer.
© Leti

  1. Vom Weltraum in die Medizin
  2. ESA-Mission Swarm: Einblicke in das Erdinnere

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