Bildgebende Diagnostik

Blick durch die Schädeldecke

3. Mai 2021, 14:30 Uhr | Charité/PTB
Nichtinvasiv gemessene schnelle Hirnströme zeigen eine Variabilität von Reiz zu Reiz (Zeilen), sowohl in der zeitlichen Abfolge der Aktionspotenziale (Verschiebungen der blauen bzw. roten vertikalen Banden) als auch in ihrer Stärke (Farbintensität)
© Charité/ G. Waterstraat

Schnelle Gehirnsignale erstmals nichtinvasiv gemessen

Die Informationsverarbeitung im Gehirn ist einer der komplexesten Prozesse des Körpers; Störungen wirken sich nicht selten als schwerwiegende neurologische Erkrankungen aus. Die Erforschung der Signalweitergabe im Gehirn ist deshalb der Schlüssel zum Verständnis verschiedenster Krankheiten – methodisch aber stellt sie Forscherinnen und Forscher vor große Herausforderungen.

Um die Nervenzellen bei ihrer »gedankenschnellen« Arbeit beobachten zu können, ohne Elektroden direkt ins Gehirn zu legen, haben sich zwei Technologien mit hoher Zeitauflösung etabliert: die Elektro-Enzephalographie (EEG) und die Magnet-Enzephalographie (MEG). Mit beiden Methoden lassen sich Hirnströme durch die Schädeldecke sichtbar machen – zuverlässig allerdings nur die langsamen, nicht die schnellen.

Auf einem Auge blind

Langsame Ströme – sogenannte postsynaptische Potenziale – entstehen, wenn Nervenzellen Signale von anderen Nervenzellen empfangen. Feuern sie dagegen selbst und geben damit Informationen an nachgeschaltete Neuronen oder auch Muskeln weiter, verursacht das schnelle Ströme mit einer Dauer von nur einer Tausendstelsekunde: die sogenannten Aktionspotenziale. »Von außen konnten wir Nervenzellen bisher also nur beim Empfangen, nicht aber beim Weiterleiten von Informationen nach einem einzelnen Sinnesreiz beobachten«, erläutert Dr. Gunnar Waterstraat von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Benjamin Franklin. »Man könnte sagen: Wir waren gewissermaßen auf einem Auge blind.« 

Ein Team um Waterstraat und Dr. Rainer Körber von der  Physikalisch-Technischen Bundesanstalt  (PTB) hat jetzt die Grundlage dafür gelegt, dass sich das ändert. Der interdisziplinären Forschungsgruppe ist es gelungen, die MEG-Technologie so empfindlich zu machen, dass sie auch schnelle Hirnströme als Antwort auf einzelne Sinnesreize erkennen kann.

Das erreichte das Team, indem es das Eigenrauschen des MEG-Geräts deutlich reduzierte. »Die Magnetfeld-Sensoren in einem MEG-Gerät werden in flüssiges Helium getaucht, um sie auf -269°C zu kühlen«, erklärt Dr. Körber. Dazu sei das Kühlgefäß sehr aufwendig isoliert. Diese Superisolierung besteht allerdings aus mit Aluminium bedampften Folien, die selbst ein magnetisches Rauschen verursachen und deshalb kleine Magnetfelder beispielsweise von Nervenzellen überlagern. »Wir haben die Superisolierung des Kühlgefäßes jetzt so konstruiert, dass dessen Rauschen nicht mehr messbar ist. So ist es uns gelungen, die MEG-Technologie um das Zehnfache empfindlicher zu machen.«

Nervenzellen nichtinvasiv zuschauen

Dass das neue Instrument tatsächlich in der Lage ist, schnelle Hirnströme zu erfassen, zeigte das Forschungsteam am Beispiel der Reizung eines Armnervs. Dazu wurde ein Nerv am Handgelenk bei vier gesunden Probanden elektrisch stimuliert und der MEG-Sensor unmittelbar über dem Hirnareal positioniert, das für die Verarbeitung von Sinnesreizen der Hand verantwortlich ist. Um Störquellen wie Stromnetze oder elektronische Bauteile auszuschließen, fanden die Messungen in einer elektromagnetisch abgeschirmten Messkammer der PTB statt.

Wie die Forschenden feststellten, ließen sich so Aktionspotenziale einer kleinen Gruppe synchron aktivierter Neurone messen, die in der Hirnrinde in Antwort auf einzelne Stimulationsreize entstanden. »Wir haben also das erste Mal nichtinvasiv den Nervenzellen im Gehirn beim Senden von Informationen nach einem Berührungsreiz zugeschaut«, so Waterstraat. Dabei konnten er und sein Team beobachten, dass diese schnellen Hirnströme trotz konstanter Stimulation nicht gleichförmig sind, sondern sich von Reiz zu Reiz verändern. Diese Veränderungen waren unabhängig von den langsamen Hirnsignalen. »Die Information über eine Berührung der Hand wird vom Gehirn also erstaunlich variabel verarbeitet, obwohl alle Nervenreize gleichartig waren.«

Dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt einzelne Reizantworten miteinander vergleichen können, eröffnet der neurologischen Forschung die Möglichkeit, bisher ungeklärte Fragen zu untersuchen: Welchen Einfluss haben Faktoren wie Aufmerksamkeit oder Müdigkeit auf die Informationsverarbeitung im Gehirn? Oder das zeitgleiche Auftreten weiterer Reize?  Auch zu einem tieferen Verständnis und einer besseren Therapie neurologischer Erkrankungen könnte das hochempfindliche MEG-System beitragen. Beispielsweise sind die Epilepsie und das Parkinson-Syndrom unter anderem mit Störungen der schnellen Hirnsignale verbunden.

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(me)


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