Wenn der OP-Roboter zweimal klingelt

Das selbsfahrende Krankenhaus

25. Oktober 2022, 14:01 Uhr | Eine Zukunftsvison von Christoph Holz
Sieht so die künftige Gesundheitsversorgung in der Stadt und auf dem Land aus?
© Christoph Holz

Wie geht Gesundheitsversorgung ohne Krankenhäuser? Werden wir bald daheim von OP-Robotern operiert? Ein ethisches Gedankenexperiment.

Seit 20 Jahren ist der chirurgische Roboter DaVinci im Einsatz und von vielen minimalinvasiven Operationen nicht mehr wegzudenken. Er sieht aus wie eine riesige Spinne. Wenn man ein Mann gewissen Alters ist, besteht eine gewisse Chance, dass man diesem Roboter persönlich begegnen wird. Er wird sehr oft bei Prostata Operation eingesetzt.

Ohne den Roboter zu unterschätzen, ist er derzeit nur eine Verlängerung der Arme der Operierenden. Er eliminiert den Tremor von Chirurgen -  das Zittern der Hand. Dies allerdings ist wichitg, wenn man bedenkt, wie nah er den männlichen Intimorganen kommt.

Robo-Chirurgen lernen schnell

DaVinci und seine Geschwister lernen schnell. Andere Operationsroboter können bereits Wunden nähen. Das ist ein Anfang. Mehr als 150 Hersteller forschen und entwickeln in diesem Bereich. Angesichts des Mangels an Personal und der Explosion der medizinischen Kosten wartet hier ein gigantischer Markt.

Obwohl Roboter heute eher an ein teures Spielzeug erinnern, werden sie bald jeden Menschen auf der Erde übertreffen. Und das ist auch gut so  - insbesondere für Chirurginnen und Chirurgen.

Chirurgie als unmenschliche Herausforderung

Stundenlang in unzumutbarer Körperhaltung zu operieren ist für Menschen extrem anstrengend. Heute verrichten Chirurginnen und Chirurgen nur aus einem Grund diese unmenschlichen Arbeiten: Weil Roboter es noch nicht können. 

Bald werden Operationsroboter unbewusste Lageänderungen oder Atmung der Patienten ausgleichen, während man in einem CT oder einem anderen bildgebenden Gerät liegt. Durch diese neuen Funktionen und Roboter-fähigkeiten werden neue Operationen machbar und vertretbar, die heute ohne ein menschliches Zutun noch unvorstellbar sind.

Der Arzt als Ansprechpartner

Medizin war früher eine soziale Praxis, heute erinnert mancher Artzbesuch an anonyme Fließbandabfertigung ohne ein persönliches Eingehen auf den Patienten. Kommen mehr automatisierte und robotische Hilsmittel zum Einsatz können Ärztinnen und Ärzte sich wieder mehr ihrer eigentlichen Berufung zuwenden: der ethischen Beratung und emphatischen Betreuung von Kranken. Auch die kreative Entwicklung neuer Methoden und Techniken bleibt dem menschlichem Erfindungsreichtum vorbehalten. 

»In keinem Zeitalter haben wir mehr darüber gelernt, was es heißt, ein Mensch zu sein. Digitaler Humanismus ist die Überzeugung: Wenn eine Tätigkeit digitalisiert werden kann, ist sie nicht für Menschen gedacht. Wenn alles Unmenschliche digitalisiert ist, ist das, was übrig bleibt der Mensch: Ethik, Kreativität und Empathie bleiben für Künstliche Intelligenz unerreichbar.«

Diffiziele Operationen beim Hausarzt

Roboter wie DaVinci werden in Zukunft nicht nur autonom, sicher und kostengünstig, sondern auch sehr viel kleiner und transportabler werden.

Wenn eine Prostata wirklich entfernt werden muss, könnte sogar der Hausarzt den Eingriff erledigen. Der selbstfahrende Operationssaal (OP) wird über Nacht im Hinterhof eintreffen. Die minimalinvasive Operation ist nach wenigen Minuten vorbei. Der Arzt wird dem Patienten die Hand halten, mehr kann er ohnehin nicht tun.

Nach der Operation wird der autonome OP den Patienten nach Hause bringen. Ein Pflegeroboter bringt ihn in seine Wohnung und ins Bett. Ein paar Tage wird der Robo-Pflger noch bleiben, dann wird er dem selbstfahrenden OP zur nächsten Operation hinterher reisen. Aus Solidarität trägt er natürlich eine medizinische Maske. Der OP hat sich zwischenzeitlich eigenständig sterilisiert und nachgeladen.

Krankenhäuser als industrielle Werkstätten

Der Medizinethiker Giovanni Maio bezeichnet Krankenhäuser als industrielle Reparaturbetriebe und damit als Produkt des verflossenen Industriezeitalters. Checklisten und Stoppuhr-Pflege zwingen Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sich schon heute wie Roboter zu benehmen. Vorschriften und Regeln werden buchstäblich als Algorithmen bezeichnet.

In Lateinamerika und Indien oder in Kriegsgebieten sind kleine Operationssäle schon längst auf Lastwagen unterwegs. Das Konzept ist nicht neu. Und mobile Krankenhäuser funktionieren dort am besten, wo die meisten Menschen ihren letzten Lebensabschnitt verbringen werden  - auf dem Land.

Wechsel der Perspektive

Philosophische Gedankenspiele wie das vorgestellte Szenario kann man ernst nehmen - muss man aber nicht. Gegenwart kommt immer anders als man denkt. Die Zukunft bleibt uneinholbar offen.

Gedankenexperimente unterlaufen zuerst einmal die gängige Praxis neuer Technik, die alten Probleme der Gesellschaft in die Schuhe zu schieben. Jenseits von Zukunftsängsten und Technologie-Pessimismus bieten sie dazu neue Perspektiven und Lösungsansätze. Sie eröffnen Wahlmöglichkeiten, damit die zentralen Fragen der Zukunfts-Ethik gestellt werden können: Wie wollen und sollen wir leben und sterben? (uh)

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Christoph Holz ist Vortragsredner und beschäftigt sich in seinem Podcast »Digital Sensemaker« mit den ethischen Fragen eines Digitalen Humanismus jenseits unverhältnismäßiger Zukunftsangst. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Holz als TV-Experte z.B. bei Sat1, Welt oder N-TV bekannt.
© Christoph Holzer

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