Corona-Impfstoff

Die Geschichte des Struwwelpeters 2.0

23. März 2021, 14:26 Uhr | Melanie Ehrhardt
Melanie Ehrhardt, Redakteurin medical design
© Weka

Das Editorial der merdical design 1/2021

Der Suppenkasper ist wahrscheinlich einer der einprägsamsten Texte aus dem 1844 erstmals erschienen Buch »Der Struwwelpeter« des Frankfurter Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann. Er erzählt in wenigen Versen die Geschichte eines Jungen, der sich weigert, seine Suppe zu essen, und daher innerhalb weniger Tage verhungert. Würde Hoffmann noch leben, er müsste sein Werk um eine weitere Geschichte ergänzen. Denn im Jahr 2021 heißt es nicht mehr »Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!«, sondern »Nein, deinen Impfstoff will ich nicht!«.

Als wäre der schleppende Start der Corona-Impfung nicht schon heikel genug, kommt nun ein weiteres Problem dazu: Der Impfstoff von Astrazeneca bleibt massenhaft liegen. Laut dem Robert Koch-Institut wurden (Stand 26. Februar 2021*) zwar 1,4 Millionen Impfdosen geliefert, aber erst 239.000 auch verabreicht. Verrückt, bis vor einigen Wochen schien es die größte Sorge zu sein, dass es nicht genügend Impfstoff gibt. Und jetzt liegt ein Großteil »unverspritzt« herum.

Als Grund für diesen »Impf-Stau« wird vor allem die große Skepsis gegenüber dem Vakzin von Astrazeneca genannt. Die Folge: Vereinbarte Impftermine werden nicht wahrgenommen oder vor Ort wird die Impfung verweigert, sobald das Astrazeneca-Fläschchen zum Vorschein kommt. Merkwürdig geht es um die Impfung für den nächsten Dschungel-Urlaub, fragt niemand den Arzt, was genau er für einen Stoff in den Oberarm spritzt. Aber beim Corona-Impfstoff wird man auf einmal wählerisch; vergleicht Impfreaktionen und Wirkungsrate – eine weitere Meldung aus der Rubrik Apfel-Birnen-Vergleich, schließlich basieren beide Impfungen auf völlig verschiedenen Technologien. 

Das Unverständnis gegenüber den Impf-Verweigerern ist berechtigter Weise groß. Zumal es genügend Personenkreise gibt, die noch (lange) nicht in der Impfrheinfolge berücksichtigt werden und gerne aufrücken würden. Seitens der Politik sieht es jedoch nicht so aus, dass die Astrazeneca-Verweigerer ihren Willen beziehungsweise ihren Biontech-Impfstoff bekommen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller drückte es so aus: »Wer den Impfstoff nicht will, der hat seine Chance vertan«. Hoffmann würde es wahrscheinlich wie folgt formulieren: »Ohne Impfung steht er dort, ging im Lockdown-Modus nie mehr fort«. Und er könnte Recht haben. Denn schon jetzt wird über die Einführung eines digitalen Impfpasses, der Urlaubsreisen wieder möglich machen soll, diskutiert. Heißt im Umkehrschluss, kein Dschungel ohne Impfung. 

*Anmerkung: Das Editorial für die Printausgabe 1/2021 entstand Ende Februar, lange bevor man sich dazu entschied, die Impung mit Astrazeneca kurzzeitig auszusetzen. 

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