Der Medizintechnik-Markt

Mehr Umsatz, aber Pessimismus

6. Juni 2022, 7:00 Uhr | Ute Häußler
© Spectaris

Umsatzsteigerungen, aber auch Bürokratieaufwand, Lieferkettenprobleme sowie steigende Kosten.

Die gute Nachricht: Nach Angaben des Branchenverbandes Spectaris wächst die deutsche Medizintechnik-Industrie weiter. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen für 2021 einen Umsatz von 36,4 Milliarden Euro, was einem Plus gegenüber dem Vorjahr von 6,3 Prozent entspricht. Getragen wurde der Zuwachs von einem starken Auslandsgeschäft. Der Auslandsumsatz legte um 7,4 Prozent zu und erreichte einen Wert von 24,2 Milliarden Euro. Die Exportquote blieb damit stabil bei rund 66 Prozent.

Hohe Exportquote ist auch gefährlich

Während das Asien-Geschäft aufgrund von Lockdowns und Reisebeschränkungen mit einem Wachstum von nur 2,8 Prozent relativ schwach ausfiel, stiegen die Exporte in die EU und nach Nordamerika mit Zuwachsraten von zwölf Prozent sprunghaft an. Der Inlandsumsatz lag mit 12,2 Milliarden Euro um 4,2 Prozent über dem Vorjahresniveau. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf rund 155.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was einer Steigerung um 1,7 Prozent entspricht.

Dieser Wachstumspfad hatte auch bereits das erste Corona-Jahr 2020 überstanden: Damals erwirtschafteten die hiesigen Unternehmen mit 34,25 Milliarden Euro einen um rund drei Prozent höheren Gesamtumsatz als noch 2019. Die Ursache für dieses kontinuierliche Wachstum selbst in Pandemiezeiten, lag nicht zuletzt daran, dass der weltweite Bedarf an Medizintechnik und Medizinprodukten, die im Zusammenhang mit COVID-19 stehen, den Nachfragerückgang in anderen Bereichen der Medizintechnikindustrie überkompensiert hat.

»Der Ukraine-Krieg, Lieferkettenstörungen, die Auswirkungen der europäischen Medizinprodukteverordnung und steigende Material-, Energie- und Logistikkosten belasten aber zunehmend das Geschäft und werden Spuren hinterlassen«, sagt Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei Spectaris.

Große Herausforderungen durch MDR

Nicht nur aufgrund der zahlreichen Unsicherheiten durch den Krieg und einem insgesamt schwierigen konjunkturellen Umfeld darf die aktuell noch positive Umsatzentwicklung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche vor enormen Herausforderungen steht. Der stetig zunehmende Zulassungs- und Bürokratieaufwand im Zusammenhang mit der neuen EU-Medizinprodukteverordnung bringt viele, vor allem kleinere Hersteller, an ihre Belastungsgrenze und schadet der Innovationskraft der Branche massiv. Laut einer aktuellen gemeinsamen repräsentativen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) mit MedicalMountains und Spectaris unter in Deutschland ansässigen Medizintechnikunternehmen werden viele Medizinprodukte als Folge der neuen EU-Verordnung schon jetzt vom Markt genommen, zahlreiche weitere spätestens 2024 verschwinden, wenn die Übergangsfristen für Bestandsprodukte auslaufen. Insbesondere drohen Nischenprodukte vom Markt zu verschwinden. Wenn sich hierfür keine Alternativen am Markt finden lassen, sind zudem Versorgungsengpässe in bestimmten Versorgungsbereichen nicht auszuschließen.

Geringeres Wachstum prognostiziert

Leonhard sagt: »Wir brauchen jetzt den Mut auf EU-Ebene, Regulierungen, die nicht hinreichend zu mehr Sicherheit beitragen, kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zurückzufahren. Und es muss vermieden werden, dass sich der ohnehin schon vorhandene Investitionsstau aufgrund des starken Kostendrucks nach der Corona-Pandemie auf Seiten der Krankenhäuser und der Kostenträger weiter vergrößert. Ansonsten schwächen wir den Forschungs- und Innovationsstandort Europa und gefährden die Existenz vieler innovativer Unternehmen und damit die mittelständisch geprägte Struktur der Branche in Deutschland.«

Nach einem moderaten Start der deutschen Medizintechnikindustrie im ersten Quartal 2022 mit einem Umsatzplus von 3,4 Prozent erwartet der Verband für das Gesamtjahr ein deutlich niedrigeres Wachstum als im Vorjahr, was auch den stark steigenden Regulierungskosten in den Unternehmen geschuldet ist. Dem stehen allgemeine Wachstumstrends entgegen, die die Bremswirkung mildern: Die weltweit alternde Bevölkerung, technologische Fortschritte und die Digitalisierung, die weiter zunehmenden Investitionen der Emerging Markets in ihre Gesundheitssysteme sowie die allgemein und allerorts steigende Bedeutung des Gutes »Gesundheit« kommen den deutschen Medizintechnik-Herstellern zugute. Bis 2025 prognostiziert Frost & Sullivan ein durchschnittliches jährliches Wachstum des globalen Medizintechnikmarktes um 6,3 Prozent.

Fazit: Laut Spectaris wird die Teilhabe der deutschen Medizintechnik-Branche an diesem Potenzial zunehmend vom europäischen Rechtsrahmen und einem positiven Innovations- und Investitionsklima in Deutschland abhängen. (uh)

 


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