Gehirnkrankheiten

Neuro-Doping durch Elektrostimulation

19. Januar 2022, 11:42 Uhr | DGKN
Rekonstruktion von tiefen Hirnstimulationseleketroden.
© Andreashorn. Lizenz: CC BY-SA 4.0*

Kann die Tiefe Hirnstimulation die kognitive Kontrolle verbessern?

Mit dünnen, operativ eingesetzten Elektroden das Gehirn beeinflussen? Was ungewöhnlich klingt, ist eine etablierte Methode zur Behandlung von Menschen mit Parkinson: Die Tiefe Hirnstimulation (THS) hilft ihnen, ihre Bewegungen wieder besser zu kontrollieren.

Ein US-Forscherteam aus Massachusetts hat nun untersucht, ob Elektrostimulation auch bei psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst oder Sucht helfen könnte, die oft eingeschränkte kognitive Kontrolle zu verbessern. Durch kleine elektrische Impulse gelang es in der Studie, die Aufmerksamkeit der ProbandInnen zu fokussieren und die Reaktionsgeschwindigkeit des präfrontalen Kortex zu erhöhen.

»Die Ergebnisse sind ein interessanter Ansatz. Vor einer klinischen Anwendung müssen allerdings noch zahlreiche Fragen geklärt werden«, so die Einschätzung von Prof. Florian Mormann und Dr. Martin Reich von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN). Auch ethische Aspekte sind von Bedeutung.

Verhalten kontinuierlich überwacht

Defizite bei der kognitiven Kontrolle kommen bei psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst oder Sucht häufig vor. In der Studie wurden 21 Epilepsie-PatientInnen untersucht, denen Elektroden ins Gehirn implantiert wurden, um den Ausgangspunkt ihrer epileptischen Anfälle zu finden.

Das Forscherteam nutzte diese Elektroden, um Teile des Gehirns zu beobachten und mittels elektrischer Stimulation die kognitive Kontrolle zu verbessern. Maßstab hierfür war ein sogenannter Multi-Source Interference Test (MSIT): Die ProbandInnen mussten Konfliktaufgaben bearbeiten, deren Lösung eine erhöhte Selbstkontrolle erfordert, um sich nicht intuitiv für eine naheliegende Antwort zu entscheiden. Die höhere geistige Belastung verlängerte die Reaktionszeit und erhöhte die Aktivität in bestimmten Hirnbereichen wie dem präfrontalen Kortex, der unter anderem für die Handlungsplanung verantwortlich ist.

In der Studie verwendeten die ForscherInnen eine »Closed-Loop-Stimulation«. Dabei wird das Verhalten der ProbandInnen während der Aufgabe kontinuierlich überwacht. Bei bestimmten Abweichungen werden passgenaue Impulse über die implantierten Elektroden in die betroffene Hirnregion gesendet.

Fokussierter denken durch Elektrostimulation

Die ForscherInnen konnten zeigen, dass vor allem die Stimulation der Capsula interna während einer Konfliktaufgabe die geistige Reaktionszeit signifikant verringert, ohne die Genauigkeit zu beeinträchtigen. Die Capsula interna ist ein Nervenbündel, das die Hirnrinde mit tieferen Bereichen des Gehirns verbindet und unter anderem den Wechsel zwischen Gedanken- und Handlungsmustern ermöglicht. Zwei Probanden, die zusätzlich zur Epilepsie auch unter Angststörungen und mangelnder Selbstkontrolle litten, berichteten, dass sie unter Stimulation ihre Aufmerksamkeit besser auf das Ziel lenken konnten.

Das US-Forscherteam schließt aus der Studie, dass die Verbesserung der kognitiven Kontrolle durch die Closed-Loop-Stimulation zukünftig die Behandlung schwerer psychischer Störungen unterstützen könnte. Die Methode könnte auch bei anderen kognitiven oder emotionalen Problemen angewandt werden, zum Beispiel bei der Überwachung und Verbesserung des Lernens oder der Dysregulation von Emotionen.

»Obwohl noch erhebliche technologische Lücken bestehen, bevor diese Ergebnisse direkt in der Klinik angewandt werden können, und die Evidenzbasis für die Kognition als primären Behandlungsschwerpunkt noch aufgebaut werden muss, könnten unsere Ergebnisse die Grundlage für einen hochspezifischen Ansatz zur Intervention bei neuropsychiatrischen Erkrankungen des Menschen bilden«, so die AutorInnen.

Forschungsbedarf bis zur klinischen Anwendung

Bis zu einer klinischen Anwendung gibt es allerdings noch erheblichen Forschungsbedarf, so die Einschätzung von Prof. Florian Mormann, Leiter der Arbeitsgruppe Kognitive und Klinische Neurophysiologie an der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn: »Es fehlt der Nachweis eines spezifischen Zusammenhangs zwischen Netzwerkmodulation mittels Tiefer Hirnstimulation und Verbesserung in der Konfliktaufgabe. Die Frage ist, ob nicht auch ein einfacher sensorischer Reiz wie etwa ein Ton zu ähnlichen Ergebnissen führen kann.« 

Auch sei das Eingangssignal des geschlossenen Regelkreises (Closed Loop) lediglich das ausbleibende Verhalten der Probanden, nicht die neuronale Aktivität, die durch die Tiefe Hirnstimulation in fraglich spezifischer Weise beeinflusst werde. Auch Dr. Martin Reich, Oberarzt der Neurologie am Uniklinikum Würzburg und Leiter der neurowissenschaftlichen Forschungsgruppe visualDBSlab, sieht die Translation in ein alltagsfähiges System zur positiven Beeinflussung von kognitiven Prozessen daher noch nicht gegeben.

Beide Experten betonen, dass beim Einsatz der invasiven Elektrophysiologie zur Beeinflussung kognitiver Prozesse auch ethische Fragen zu berücksichtigen sind: »Da die Translation in die klinische Anwendung noch nicht absehbar ist, sind die ethischen Aspekte in der Studie bislang nur untergeordnet. Zukünftig ist auch fraglich, ob überhaupt ein kognitives Enhancement erreicht werden kann oder ob es sich eher um eine Wiederherstellung gestörter Hirnfunktionen handelt. Aus ethischer Sicht ist das ein erheblicher Unterschied«, so Dr. Reich.

Terminhinweis

Neue Trends der Tiefen Hirnstimulation diskutieren Experten vom 7.–9. März auf dem 2nd Expert Summit on the Future of Deep Brain Stimulation (www.dbsexpertsummit.de) und vom 10.–12. März auf dem DGKN-Kongress für Klinische Neurowissenschaften (www.dgkn-kongress.de) in Würzburg.

(me)

*Bild: Andreashorn. Lizenz Lizenz: CC BY-SA 4.0


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