Gain-of-Function-Forschung

Pfizer und die Virus-Mutation

22. Februar 2023, 10:23 Uhr | Ute Häußler
© Pixabay

Mutiert der Pharmakonzern Pfizer das Corona-Virus? Seit den heimlich gefilmten Aussagen einer Führungskraft des amerikanischen Konzerns wird diese Frage im Netz heftig diskutiert. Doch was ist GOF-Forschung und ist sie nicht tatsächlich notwendig?

Auf einem Date beschreibt ein leitender Pfizer-Angestellter gegenüber seinem potenziellen Herzblatt, dass sein Arbeitgeber überlege, wie das Covid19-Virus im Labor verändert werden könnte. Ziel wäre es, besser auf zukünftige Varianten reagieren zu können und – schlussendlich – mehr Profit zu machen. Die Empörung über Pfizers vermeintliche Forschungsmethoden ist zumindest in den USA groß.

Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die sogenannte Gain-of-Function-Forschung, bei der Virus-Veränderungen im Labor durchgeführt werden, um dessen Eigenschaften besser zu verstehen und daraus den namensgebenden »Funktionsgewinn« für Impfstoffe zu erzielen. Diese sollen damit besser wirken. Mit GOF-Experimenten werden Mutationsprozesse beschleunigt und versuchen in einer geschützten Laborumgebung vorwegzunehmen, was in der Natur möglichweise ohnehin passieren würde. Mögliche gefährliche Virus-Mutationen sollen so frühzeitig erkannt und eingeschätzt werden.

Wie gefährlich ist die Gain-of-Function-Forschung?

Bei der Methode können allerdings gefährliche Mutationen hervorgebracht werden, die bei einem Entweichen aus hochgesicherten S3-Laboren zu neuen weltweiten Pandemien führen können. Pfizer reagierte auf die Vorwürfe wie folgt: »Im Rahmen der laufenden Entwicklung des Impfstoffs gegen Covid19 von Pfizer-BioNTech hat Pfizer weder Gain-of-function- noch gezielte Evolutionsforschung betrieben.«

Diese Aussage ist formal möglicherweise richtig. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg beschreibt gegenüber einem Online-Portal: »Wenn man zum Beispiel ein neues Gen in das Virusgenom integriert, handelt es sich noch nicht automatisch um Gain-of-Function-Forschung.« Doch wissenschaftliche Forschung erfordert oftmals ein Verändern und Probieren vieler Parameter, um robuste und haltbare Ergebnisse zu erzielen. Es wäre daher eher verwunderlich, wenn ein Pharmakonzern nicht mit den Eigenschaften eines Virus experimentieren würde.

Pfizer bestätigt in seiner Pressemitteilung dann auch weiter: »In seltenen Fällen, in denen ein vollständiges Virus keine bekannten Funktionsgewinn-Mutationen enthält, kann ein solches Virus so manipuliert werden, dass eine Bewertung der antiviralen Aktivität in Zellen möglich ist.« Diese Forschung biete dem Unternehmen eine Möglichkeit, »schnell die Fähigkeit eines bestehenden Impfstoffs zu bewerten, Antikörper zu induzieren, die eine neu identifizierte besorgniserregende Variante neutralisieren.« Das Unternehmen stelle diese Daten nach eigenen Angaben dann über von Experten begutachtete wissenschaftliche Zeitschriften zur Verfügung und verwendet sie als einen der Schritte, um festzustellen, ob eine Aktualisierung des Impfstoffs erforderlich sei. Auch diese eigentlich relativierend gemeinten Aussagen sorgten in der Netzgemeinde für Besorgnis.

In Deutschland ist GOF-Forschung Normalität

In Deutschland ist sowohl das minimale Verändern von Viren, dessen »zielgerichtete Evolution« wie auch die weiterreichende GOF-Forschung erlaubt. Bereits 2014 beschäftigte sich der Bundestag mit dieser Frage und lehnte eine Einschränkung zugunsten der wissenschaftlichen Eigenverantwortung ab. Das Universitätsklinikum Freiburg ist eine der Institutionen, die in Hochsicherheitslaboren GOF-Forschung betreiben. Dort versuchen die Wissenschaftler unter anderem die Immunantwort von Menschen künstlich zu umgehen, indem sie Viren wie das der Vogelgrippe mit neuen Eigenschaften ausstatten. Auch hier ist das Ziel, den Menschen vor möglicherweise neu aufkommenden Krankheiten zu schützen.

Was steckt hinter der Aufregung um die GOF-Forschung?

Warum ist die Aufregung um Pfizer also derart groß? Dies liegt zum einen an der Quelle und der Art, wie die Informationen und Aussagen an die Öffentlichkeit kamen. Das vermeintliche Date des Pfizer-Mitarbeiters stellte sich als verdeckt arbeitender Reporter des als rechtsextremistisch eingestuften News-Netzwerks »Project Veritas« heraus. So weit, so presserechtlich unzulässig die Recherchemethode. Das als renommiert geltende Magazin Forbes zieht gar die Echtheit des angeblichen Pfizer-Mitarbeiters in Frage.

Wie dem auch sei, Ziel der Arbeit dieser Art Netzwerke ist das Offenlegen von Mißständen der »politischen und wirtschaftlichen Elite«, »Project Veritas« ist eng mit Donald Trump und auch mit dessen ehemaligen Chef-Strategen Steve Bannon vernetzt. Dementsprechend populistisch und reißerisch werden die angeblichen News in die Welt getragen und über gleichgesinnte »Bubbles« verbreitet sowie erhöht. Die angebliche Enthüllung klingt spektakulär – auch wenn sie eine wissenschaftlich anerkannte und weit praktizierte Forschungsmethode ist.

Zum anderen ist die Diskussion über Gain-of-Function-Forschung in den USA deutlich ausgeprägter als hierzulande. Dahinter steckt die Sorge über mögliche Fehler oder absichtlich gegen die Menschheit gerichtete Virus-Mutationen. So hatte etwa das US-amerikanische National Science Advisory Board for Biosecurity von den Redaktionen der  Wissenschaftsmagazine „Science“ und „Nature“ gefordert, auf die Veröffentlichung von Detailergebnissen hinsichtlich molekularbiologischer Manipulationen zu verzichten, da diese eine „Bauanleitung“ für Terroristen sein könnte. 


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