Additive Fertigung

3D-gedruckter Applikator für die Brachytherapie

6. Oktober 2020, 10:00 Uhr | Mareike König, Christopher König (Dreigeist)
CE-zertifizierter Applikator des Gyn Add-on Kit der Eckert & Ziegler Bebig
© Dreigeist

Dreigeist unterstützte Eckert & Ziegler Bebig bei der Serienfertigung

An das Frühjahr 2020 werden sich das Medizintechnik-Unternehmen Eckert & Ziegler Bebig und der 3D-Druck-Spezialist Dreigeist noch lange erinnern: Der gemeinsam entwickelte und additiv hergestellte Applikator für die Bestrahlung gynäkologischer Tumore erhielt die CE-Kennzeichnung. Fast drei Jahre hatte man an der Entwicklung und Serienreife des Applikators für die High-Dose-Brachytherapie (HDR-Brachytherapie) gearbeitet. Weit länger als ursprünglich geplant. Mit dem Applikator aus dem 3D-Drucker verfolgte der Medizintechnik-Hersteller ein ehrgeiziges Ziel: Seine Produkteigenschaften sollten das ärztliche Therapiespektrum erhöhen und die Überlebenschancen von Frauen mit Gebärmutterkarzinom verbessern.  

In der Krebstherapie sind Verfahren, die gesundes Gewebe schonen und Patienten wenig belasten, besonders gefragt. Die HDR-Brachytherapie – eine interne Strahlentherapie – vereint beide Vorteile. Anwendung findet das Verfahren, das es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt, zum Beispiel bei Gebärmutterhals-, Prostata-, Haut- oder Brustkrebs. Radioaktive Strahlen werden dabei so präzise wie möglich auf erkranktes Gewebe im Inneren des Körpers gerichtet. Möglich macht dies ein Applikator, der in idealer Position zum Tumor in den Körper der Patientin implantiert wird. Bei der Bestrahlungen führt der Arzt über den Applikator Stahlnadeln direkt in oder neben den Tumor; diese Nadeln werden mit radioaktivem Präparat beschickt. Wie lange und wie oft im individuellen Fall bestrahlt wird, lässt sich computergestützt berechnen. Um Patientinnen und Mediziner vor den Strahlen zu schützen, erfolgt die Therapie ferngesteuert mit einem sogenannten »Afterloader«.

Obwohl die Brachytherapie eine sehr präzise Strahlenbehandlung möglich macht, gibt es immer wieder gynäkologische Tumore, die so ungünstig liegen oder so groß sind, dass das Verfahren seine Vorteile nicht ausspielen kann. Für Eckert & Ziegler Bebig war klar, dass sich das ändern muss. Das Berliner Unternehmen stellt isotopentechnische Komponenten für Strahlentherapie und Nuklearmedizin her. Aus Gesprächen mit Ärzten wusste man um die mechanisch bedingten Einschränkungen der Brachytherapie insbesondere bei Gebärmutterhalskrebs. Oft konnten die Nadeln im Applikator nicht Patientinnen spezifisch genug ausgerichtet werden oder die Anzahl der strahlenführenden Nadeln war zu gering. Eine unbefriedigende Situation für Patientinnen und Ärzte, die die Heilungschancen durch die High-Dose-Rate-Brachytherapie reduzierte.   

Serienfertigung braucht planvolles Vorgehen

Dass die Entwicklung des Applikators Herausforderungen mit sich bringen würde, war schnell klar: Mit konventionellen Herstellungsverfahren war das Ziel nicht zu erreichen. Als Hoffnungsträger kam der 3D-Druck ins Spiel. Doch auch hier war der Weg zunächst steinig. Die ersten Applikator-Modelle wurden den Anforderungen nicht gerecht, das firmeninterne Know-how in Sachen 3D-Druck war nicht tief genug. Zusätzlich stellte sich heraus, dass die Zeit für die Entwicklung des neuen Applikators zu knapp bemessen war. Viele Fragen waren offen, die man mithilfe eines Experten klären konnte: Dreigeist. Das Unternehmen aus Nürnberg begleitet 3D-Druck-Entwicklungen in vielen Branchen bis zur Serienreife.

Dabei zeigt sich immer wieder, dass insbesondere die Anfangsphase eines Projekts über dessen Erfolg und seine Wirtschaftlichkeit entscheidet: Als erstes müssen alle wichtigen Fragen auf den Tisch. Und die betreffen nicht nur das Produkt! Hier geht es auch um den Produktionsprozess und die branchenspezifischen Regularien, die für Produkt und Produktionsprozess gelten. Gerade in der Medizintechnik kann das sehr komplex werden. Wer hier die falschen Weichen stellt, muss viel nachjustieren, generiert hohe Kosten und lange Entwicklungszeiten.

Schritt für Schritt zum seriellen 3D-Druck

Auch bei Eckert & Ziegler Bebig empfahl sich deshalb ein gestaffeltes Vorgehen. Denn die additive Fertigung wird immer dann kompliziert, wenn man das Pferd von hinten aufzäumt, zum Beispiel einen teuren Drucker kauft, noch bevor man weiß, was er überhaupt leisten soll. Oder glaubt, einen bestehenden Produktionsprozess eins zu eins durch additive Fertigung ersetzen zu können. 

Zunächst klärten die Spezialisten bei Eckert & Ziegler Bebig, was der Applikator für die Brachytherapie leisten sollte. Genau definiert wurden auch die Bedingungen für eine erfolgreiche CE-Kennzeichnung und ein nachweisbares Qualitäts- und Risikomanagement. Insbesondere das Qualitätsmanagement für den additiven Gesamtprozess war eine Herausforderung. Die Fertigungsschritte mussten soweit wie möglich automatisiert und standardisiert werden, um den Prozess validierbar zu machen. Eine Aufgabe, die zum Beispiel beim Postprocessing viel Know-how erforderte.

Das richtige Material und Druckverfahren

Im nächsten Schritt ging es um die Entscheidung für das Material – in der Medizintechnik ein besonders aufwändiger und wichtiger Schritt. Die oberste Forderung lautete: Das Material muss biokompatibel sein – und es nach dem Druck, dem Postprocessing und dem Sterilisieren auch bleiben. Bis ein sicherer Kandidat, ein bereits für die Anwendung im Hörgerätebereich zertifiziertes Photopolymer, gefunden war, der dieser und weiteren Eigenschaften gerecht wurde, musste man viele Materialien und Verfahren im Detail prüfen. Das geschah mit großer Akribie, weil Eckert & Ziegler Bebig die CE-Klassifizierung des Applikators anstrebte. Eine der Voraussetzungen dafür ist der Nachweis, dass alle Materialkomponenten des Produkts unterhalb der geforderten Grenzwerte bleiben. 

Erst im dritten Schritt ging es um das Druckverfahren. Im Fall des Applikators für die Brachytherapie musste das Verfahren nicht nur die perfekte Realisierung des Produkts gewährleisten – es musste auch eine sichere Serienfertigung ermöglichen. Dabei gilt: Eine One-fits-all-Solution für die additive Serienfertigung gibt es nicht. Die Herausforderung besteht immer darin, das eine Druckverfahren zu finden, das genau zum Produkt und seinen Anforderungen passt. Im Fall des Applikators für die Brachytherapie fiel die Wahl auf das Direct-Light-Processing-Verfahren (DLP). Die Geometrie des Applikators ließ sich mit diesem Verfahren prozesssicher und wiederholgenau umsetzten. Es ist kompatibel mit dem gewählten Druckmaterial, die Fertigungszeiten sind kurz und die in Serie produzierbaren Stückzahlen passen zu den Zielen des Kunden. Auch hat sich das Verfahren bereits vielfach für medizintechnische Produkte bewährt – unter anderem deshalb, weil es glatte Oberflächen hervorbringt, die kaum nachbearbeitet werden müssen. 

Additive Fertigung braucht viel Vorarbeit. Deshalb startet die eigentliche Entwicklungsphase im vierten Schritt und nicht zu Beginn, wie man vielleicht vermuten würde. Erst wenn Material und Druckverfahren definiert sind, wird die Arbeit am Produkt konkret. Varianten werden getestet, man feilt an der Konstruktion. Jedes Feintuning hat Auswirkungen auf den Gesamtprozess, den man scharf im Auge behalten muss. Hinzu kommt, dass im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der Effizienz sich das Produktdesign immer auch an den Produktionsprozess anpassen muss.

Additive Fertigung ist nicht immer ideal

Der 3D-Druck eignet sich jedoch nicht für jedes Projekt. Zwar entwickelt sich die Technologie rasant, dennoch gilt: Nicht alles ist sinnvoll oder möglich. Wichtig ist immer auch die wirtschaftliche Abwägung. In manchen Fällen stellt sich heraus, dass klassische Herstellungsverfahren letztlich günstiger sind als der 3D-Druck. Im Falle des Brachytherapie-Applikators stand dies nicht zur Debatte. Hier war schon frühzeitig klar, dass die Geometrie des Produkts eine konventionelle Herstellung nicht erlaubt.

Wie die erfolgreiche CE-Kennzeichnung zeigt, war der 3D-Druck für Eckert & Ziegler Bebig die richtige Entscheidung. Noch findet die Serienfertigung des Applikators bei Dreigeist in Nürnberg statt. Im Herbst 2020 zieht sie ganz nach Berlin zum Hersteller um. Dieses Projekt zeigt, dass die additive Fertigung durchaus das Zeug zur industriellen Serienfertigung hat – auch in der Medizintechnik: Der Schlüssel ist das Thema »Validierbarkeit«. Zulassungsfähige Produkte müssen in allen Fertigungsschritten rückverfolgbar sein. Weil auch die prüfenden Stellen noch keine standardisierten Bewertungsverfahren haben, ist das besonders wichtig. Das reine Drucken ist dann schon fast Nebensache.

Links

  • Mehr Information zu Dreigeist finden Sie hier
  • Mehr Informationen zum Applikator finden Sie hier

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