3D-Druck in Krisen

»Das wird nach Corona nicht verschwinden«

10. September 2021, 8:30 Uhr | medical design
Interview: 3D-Druck in Krisen
© AdobeStock/WrightStudio (me)

Interview über die Vorteile des 3D-Drucks als Vor-Ort-Service

Das Jahr 2020 wird uns vor allem wegen der weltweiten Pandemie in Erinnerung bleiben. Aber vielleicht auch als der Moment, in dem der 3D-Druck in der Medizin seinen Kinderschuhen entwachsen ist. Von Tupfer für Corona-Tests über Schutzausrüstung für das medizinische Personal bis hin zu Komponenten für Medizingeräte – was nicht da beziehungsweise nicht schnell genug lieferbar war, wurde gedruckt. Mit dem Schub kam auch die Erkenntnis, dass die additive Fertigung (engl. Additive Manufacturing, kurz AM) beziehungsweise der 3D-Druck gerade in Krisenzeiten Versorgungs- und Lieferengpässe schließen kann. 

Doch auch unabhängig von Corona soll der 3D-Druck kein Geheimtipp bleiben. Dafür setzt sich unter anderem die Additive Academy der Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien IAPT in Hamburg ein und richtet sich mit seinem AM Hospital Learning Programm ganz bewusst an medizinisches Personal. Wir haben mit Dr.-Ing. Dirk Herzog, Strategieentwicklung Forschung, über die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten des 3D-Drucks im Krankenhaus gesprochen. Dabei zeigte sich, wer aus der Not eine Tugend macht, profitiert langfristig. 
 

medical design: In der aktuellen Krisensituation erwies sich die additive Fertigung als vielfältige Schlüsseltechnologie. Was wird vom Boom nach Corona übrigbleiben?

Dirk Herzog: Die additive Fertigung beziehungsweise der 3D-Druck waren auch schon vor der Corona-Krise relevante Technologien, die sich in vielen Branchen etabliert haben – vom Maschinebau über die Luftfahrt bis hin zur Medizintechnik. Bekannte Beispiele sind Dentalimplantate sowie 3D-gedruckte Prothesen und Gelenke. All das war vorher schon da und wird nach der Pandemie mit Sicherheit nicht verschwinden. Der zusätzliche, durch Corona ausgelöste Boom kam sicherlich durch die zusammengebrochenen Lieferketten. Schnell wurden Bauteile und Komponenten gedruckt, die anders nicht mehr zu beschaffen waren. Grundsätzlich lassen sich diese aber auch mithilfe anderer Verfahren herstellen. Nach Corona wird man die Fragen stellen müssen, wo kann und soll der 3D-Druck zum Einsatz kommen und welche Vorteile bietet er dann im Vergleich zu anderen, konventionellen Fertigungsmethoden. 

Neben Produkten für die Patienten und Patientinnen wurde zum Beispiel auch Schutzausrüstung für das Personal gedruckt. Hat das Zukunft?

Der 3D-Druck von Schutzausrüstung ist sehr speziell und vor allem der aktuellen Situation geschuldet. Hier bleibt wahrscheinlich nur die Erfahrung, die man damit gemacht hat; also die Verfahren zu sehen und kennenzulernen. Bis auf zukünftige Krisensituationen wird sich der 3D-Druck von Masken und ähnlichen Produktenwahrscheinlich nicht durchsetzen. 

Dirk Herzog
Dirk Herzog ist überzeugt, dass der 3D-Druck für Krankenhäuser auch ein Wettbewerbsvorteil ist. 
© Fraunhofer IAPT

Sie hatten schon einige Beispiel für den 3D-Druck in der Medizin angesprochen. Wo sehen sie derzeit die größten/wichtigsten Potentiale in der Medizin?

Heutzutage reden wir viel über die Herstellung von Stents, großen Implantaten oder Knochenersatz. Das geht weiter mit OP-Modellen zur Planung und Vorbereitung von komplexen Eingriffen sowie zu Schulungszwecken. Weitere Potentiale – vor allem zukünftig – sind dann sicherlich der 3D-Druck mit bioresorbierbaren Werkstoffen sowie der gesamte Bereich des Bioprintings, also dem 3D-Druck von einzelnen Zellen bis hin zu ganzen Organen. 

Wie Eingangs bereits besprochen, konnte die additive Fertigung während der Pandemie Versorgungslücken und Lieferengpässe schließen. Welche Vorteile der Technologien kamen hier besonders zum Tragen?

Wenn wir es einmal unabhängig von Corona betrachten, ist einer der größten Vorteile die Möglichkeit, patientenindividuelle Produkte herzustellen. Das heißt, jedem Patienten und jeder Patientin kann eine personalisierte Medizin, zum Beispiel durch spezifische Größen der Produkte, angeboten werden. In Krisenzeiten und hier insbesondere beim Aufrechterhalt von Lieferketten sind die größten Vorteile die Flexibilität sowie die geringen Kosten der Verfahren plus die Möglichkeit der dezentralen Fertigung.

Irgendwann funktionieren die Lieferketten wieder. 3D-Drucker sind recht teuer. Warum lohnt es sich dennoch für Kliniken, in eine Anlage zu investieren?

Da geht es in erster Linie auch darum, was die Einrichtungen konkret herstellen möchten. Ein »einfacher« 3D-Drucker spielt in einer ganz anderen Preisliga als ein Gerät, mit dem sich Implantate herstellen lassen. Es ist jedoch unrealistisch, dass jedes Krankenhaus alle Produkte,die es rein theoretisch vor Ort herstellen könnte, auch tatsächlich produziert. Das heißt, die Einrichtungen sollten sich zuerst für konkrete Anwendungsfälle entscheiden und entsprechend diesen die Technologien auswählen. 

Welche Möglichkeit – außer den 3D-Druck in der eigenen Einrichtung zu implementieren – gäbe es für Kliniken zusätzlich?

Natürlich gibt es Dienstleister, die 3D-gedruckte Produkte im Auftrag fertigen. Was Inhouse oder bei einem Lieferanten gefertigt wird, das entscheidet auch der Einzelfall. Qualität, Kosten und Zeiten müssen dabei ebenfalls berücksichtigt werden. 

Am Ende reden wir dennoch von Medizinprodukten, die strengen Anforderungen hinsichtlich Qualitätssicherung und Zertifizierungen unterliegen. Wie kann sich das Klinikpersonal und am Ende auch der Patient beziehungsweise die Patientin sicher sein, dass diese auch für die »Produkte auf Abruf« erfüllt sind?

Wie Sie selbst sagen, gibt es Anforderungen, die ein Medizinprodukt erfüllen muss. Diese gelten erst einmal unabhängig vom Herstellungsverfahren. Das muss letzten Endes der Hersteller des Produktes gewährleisten.

Wer ist denn der Hersteller bei additiv gefertigten Medizinprodukten?

Wenn Sie einen Dienstleister beauftragen, ist er der Hersteller. Produziert das Krankenhaus vor Ort, dann ist es selbst der Hersteller.

Heikel …

… definitiv! Daher ist es wichtig, die Grenze zu ziehen. Was kann ich als Klinik herstellen und was möchte ich meinen Patienten und Patientinnen tatsächlich anbieten. Bei Schutzausrüstung, die in dem Moment nicht anders zu beschaffen ist, haben Sie diese Problematik nicht. Gleiches gilt für ein Operationsmodell. Die regulatorischen Hürden kommen in erster Linie dann, wenn man komplexere Sachen, beispielsweise ein Implantat, herstellten möchte. Das wird aber für die wenigsten Einrichtungen in Betracht kommen.

Im Rahmen Ihrer Additive Academy bieten Sie auch ein AM Hospital Learning Programm an. Was muss ich mir darunter vorstellen?

Damit möchten wir dem Krankenhauspersonal vor allem die Möglichkeit geben, den 3D-Druck kennenzulernen – also die Technologien sowie dessen Potentiale und Grenzen. Es geht weniger darum, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen anschließend sofort drucken; die Bedienung einzelner Anlagen oder Geräte stehen weniger im Fokus. Vielmehr sollen sie die Verfahren als grundsätzliche Möglichkeit für die eigenen Anwendungen verstehen und einordnen, um zum Beispiel das Design von Produkten selbst mit zu beeinflussen. Die Entwicklung des Trainingsprogramms wird dabei von der EIT Manufacturing gefördert.

An wen richten Sie sich?

Da für die Kurse kein tiefes technisches Wissen vorausgesetzt wird, richten wir uns erst einmal an das gesamte medizinische Personal. Darüber hinaus ist aber auch das technische Personal oder der Einkauf willkommen. 

Wie würde so ein Seminar dann aussehen?

Das Programm ist in mehrere Einheiten (Anm. d. Red.: siehe Tabelle 1 unten) gegliedert, sodass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Technologie nach und nach verstehen. Zu den Inhalten gehören unter anderem der Schichtaufbau, die Vorteile des 3D-Drucks, konkrete Anwendungsbeispiele, Designmöglichkeiten, die Generierung der Daten sowie die Zertifizierung und die Qualitätssicherung. Die Inhalte bestehen dabei sowohl aus Workshops als auch aus eLearning-Einheiten. So wollen wir dem medizinischen Personal eine möglichst freie Zeiteineteilung beim Lernen bieten. 

Der 3D-Druck in der stationären medizinischen Versorgung ist kein Selbstläufer. Vor allem die regulatorischen Anforderungen, die Erstattungsfragen und die Finanzierung dürften viele Krankenhäuser abschrecken. Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht dennoch, diese »Risiken« einzugehen?

Neben den bereits genannten Vorteilen ist es natürlich ein Mehrwert, den die Einrichtungen damit Patienten und Patientinnen bieten. Das ist letztendlich auch ein Wettbewerbsvorteil. Wenn wir etwas in die Zukunft blicken und uns zum Beispiel Implantate angucken, die direkt im OP gefertigt werden, sparen Kliniken Zeit. Das wiederum senkt Kosten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Möglichkeit, das Risikomanagement zu optimieren. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Melanie Ehrhardt, Redakteurin medical design

Weiterführende Informationen zum AM Hospital Learning Program

Modul Inhalt Zeitumfang
1

Introduction to AM

  • Funktionsprinzip des 3D-Drucks, Vergleich zu anderen Herstellverfahren
  • Überblick über gängige 3D-Druck Verfahren, Unterschiede und Eignung
  • Potentiale und Grenzen des 3D-Drucks
  • Grundzüge der Kostenkalkulation
  • Materialien
  • Beispielanwendungen in der Medizintechnik und persönlicher Schutzausrüstung
  • Bioprinting und Ausblick
  • Zertifizierung und Zulassung
6 Std.
2 Make-or-Buy-Decisions in AM Implementation
  • Grundlegende Betrachtungen
  • Vor- und Nachteile beider Varianten
  • Kostenkalkulation
  • Lieferantennetzwerke
3 Std.
3 Technical Training for AM in hospitals
  • Vertiefung ausgewählter 3D-Druck Technologien 
  • Design für 3D-Druck
  • Medizinische Beispielanwendungen zu den jeweiligen Verfahren
3 Std.

Tabelle 1. Module Curriculum des AM Hospital Learning Program

Nützliche Links


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