Haptische Displays

Der Screen toucht zurück

9. Oktober 2019, 13:00 Uhr | Markus Hell (Data Modul)
Zoomen, Wischen und Tippen: Touchscreens sind auch in der Medizin nicht mehr wegzudenken, doch ganz ohne Feedback geht es nicht.
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Fachbeitrag | Im Zeitalter von Smartphones haben wir uns längst an das Wischen statt Tippen gewöhnt. Und trotz ihrer rasanten Verbreitung stoßen auch Touchdisplays an ihre Grenzen, denn nicht jeder kommt mit der glatten Oberfläche zurecht. Die Lösung könnten Displays mit haptischem Feedback sein.

Die Vorteile der projiziert-kapazitiven Technologie (Projected Capacitive Technology, PCAP-Touchtechnologie) in Industrie- und Medizinapplikationen spiegeln sich wohl am eindrücklichsten im stetig steigenden Bedarf. Die meisten Weiterentwicklungen beziehen sich hauptsächlich auf die Usability und finden bei Nutzern – je nach Anwendung – unterschiedlichen Anklang. Mehrfinger- und Handschuhbedienung sowie die Bedienung unter (leitenden) Flüssigkeiten sind Beispiele für gelungene Erweiterungen. Doch was kommt als Nächstes?

Entwickler sind sich darin einig, dass Bedienvarianten für Touchscreens dann sinnvoll sind, wenn ein Kunden-/Nutzerbedarf gedeckt oder geweckt wird. Neben der Kraftmessung (»Force Sensing«) und Gestensteuerung (»3D-Gesten«) verspricht die Bedienung durch haptisches Feedback für spezifische Anwendungen oder ausgewählte Anwendergruppen eine sinnvolle Ergänzung zu sein.

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Bild 1. Elektrostatischer Aktor: Die Bewegung verläuft auf der Z-Achse in Richtung des Fingers.
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Haptisches Feedback heißt, dass der Anwender ein sensitives Gefühl am Finger erfährt, wenn er den Touchsensor berührt. Das bietet besondere Vorteile für Benutzer, die aus unterschiedlichen Gründen keine oder nur eingeschränkte Sicht auf den Bildschirm haben, zum Beispiel Personen in der Intensivmedizin, im Automotive-Bereich oder in der Flugsicherung/Fluglotsen, aber eben auch blinde oder sehbehinderte Personen. In einem Test konnte Next System zeigen, dass 80 Prozent der Personen mit Sehbehinderung das Funktionsprinzip eines Touchdisplays mit haptischem Feedback bereits nach der ersten Anleitung verstehen. Für den Versuch mussten die Probanden an einem Geldautomat eine PIN eingeben. Eine beliebige Stelle auf dem Bildschirm bildet die Taste 5. Diese gab bei der ersten Berührung ein kurzes taktiles Feedback und dient als Bezugspunkt, um alle weiteren Tasten aufzufinden. Die Anordnung der umliegenden Zahlen 1 bis 10 ist meist schon über andere Eingabemedien bekannt. Erreicht der Benutzer einen bestimmten Kraftschwellenwert, wird die PIN-Eingabe vom System akzeptiert.

Die Form der Zahleneingabe lässt sich auch auf andere Applikationen übertragen, zum Beispiel in Aufzügen sowie im öffentlichen Nahverkehr. Emuliert werden alle Arten bekannter, mechanischer Eingabekomponenten wie Tasten, Schieberegler, Knöpfe oder Schaltkontakte. Die passenden Effekte dazu werden über die Signalform der angesteuerten Aktoren und der damit verbundenen mechanischen Bewegung der Oberfläche erreicht.

Die glatte, durchgängige Bildschirmoberfläche wirkt einerseits ästhetisch schlicht und bringt andererseits auch hygienische Vorteile mit sich: Sie ist einfach zu reinigen, was speziell in medizinischen Geräten und in Anwendungen der Lebensmittelindustrie notwendig ist.

Elektrostatik oder Piezo als Aktor?

Aufgrund ihrer natürlichen und zuverlässigen haptischen Rückmeldung bieten sich zwei Eingabekonzepte an: Elektrostatik und Piezo. Die natürliche Rückmeldung von Tastatur und Tasten erfolgt bei beiden Varianten durch eine Bewegung in der Z-Achse. Die Entscheidung, welche der beiden Haptik-Konzepte in der jeweiligen Applikation Verwendung findet, wird von mehreren Faktoren beeinflusst.

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Bild 2. Piezo Aktor: Die Bewegung verläuft auf der Z-Achse in die gegenläufige Richtung zum Finger.
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Piezo eignet sich eher für kleinere Display-Diagonalen, dagegen ist Elektrostatik für größere Displayabmessungen besser umsetzbar. Das subjektive Empfinden der Nutzer und deren Anforderungen an die Usability spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Auswahl. Während die elektrostatischen Touches ein weiches, natürliches Tastgefühl vermitteln, ist die Rückmeldung bei Piezo eher stärker und präziser. Aber auch die Entwicklungs- und Produktionskosten sind von Belang. Piezo ist aufgrund der verwendeten Materialien kostenintensiver.

Die Druckbewegung liegt bei elektrostatischen Touches bei bis zu 0,8 mm, was ungefähr auch dem Gefühl bei einer Tastenbedienung entspricht. Das Bediengeräusch selbst ist kaum hörbar und die größeren Sensoren (> 10 Zoll) machen die Bedienung sehr einfach. Die Bewegung des Aktors verläuft auf der Z-Achse in die Bewegungsrichtung des Fingers (Bild 1). Bei Piezo liegt die Druckbewegung bei < 0,3 mm. Piezoaktoren eignen sich daher gut für Geräte, die mit Handschuhen bedient werden. Kleinere Berührungssensoren > 3,5 Zoll sind mit Piezo einfach zu bedienen. Die Aktorbewegung verläuft ebenfalls auf der Z-Achse, allerdings in der gegenläufigen Richtung zum Finger (Bild 2).

Auswahl und Integration des haptischen Elements

Wo genau der Aktor implementiert wird, definieren Anwendung, Kundenbedarf und das Budget. Letztendlich entscheidet immer der Kunde, welche Art Bedienkonzept für seine Applikation am sinnvollsten ist. Für die haptische Rückmeldung stehen drei Varianten zur Verfügung (Tabelle).

Möglichkeiten zur Auswahl und Integration des haptischen Elements
Möglichkeiten zur Auswahl und Integration des haptischen Elements
© Weka Fachmedien/ Quelle Data Modul

Die Lücke zwischen Coverglas und Gehäuse zu schließen, erfordert ebenfalls Entwickler-Know-how. Zum einen darf die Beweglichkeit bei Druck nicht eingeschränkt werden, zum anderen muss der Verschluss auch im Dauerbetrieb funktionieren, ohne zu reißen, zu brechen oder porös zu werden. Je nach Applikation gibt es die Möglichkeit einer Profildichtung mit Schaumstoff. Die Herausforderung hierbei besteht allerdings darin, Haftung und Haltbarkeit sicherzustellen.

Kunden-Anpassungen nach Bedarf

Haptik-Touchdisplays bieten für bestimmte Branchen und Anwendungen große Vorteile. Die Integration erfolgt ausschließlich kundenspezifisch. Dies schafft höchste individuelle Gestaltungsfreiräume und bedarfsgerechte und nutzerorientierte Anpassungsmöglichkeiten. Alle virtuellen Eingabetasten (zum Beispiel Slider, Joystick etc.), die Art der Bedienung sowie Materialien und Komponenten können individuell ausgewählt werden. In Kombination mit Berührungs- und Kraftmessung wird außerdem zusätzliche Betriebssicherheit geschaffen. Diese Technologie reduziert die Head-Down-Zeit in den Situationen erheblich, in denen der Nutzer visuell abgelenkt wird.


Autor: Markus Hell ist Head of Product Management, Touch Solutions bei Data Modul

Schlagworte: Touchscreen, Haptisches Feedback, PCAP-Technologie

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Originalpublikation: Dieser Artikel erschien zuerst in der Medizin+elektronik 5/2019 vom 6. September 2019.


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