Interview mit Markus Vogt (EBV)

»Diabetes-Management ist der heilige Gral«

25. Juni 2019, 17:00 Uhr | Melanie Ehrhardt
© WEKA Fachmedien

Spätestens seitdem die Apple Watch die Zulassung für seine EKG-Funktion auch in Europa erhalten hat, ist klar: Wearables sind schon heute Bestandteil der medizinischen Versorgung. Insbesondere der Bereich Diabetes-Management könnte zur großen Spielweise für die Elektronik werden.

EBV Elektronik hat seine vertikale Marktsegmentstruktur neu definiert. Dadurch möchte der Distributor den Zugang zu den Marktsegment-Services für Kunden optimieren. Die neue Marktsegmentstruktur wurde von sieben auf fünf Schlüsselsegmente heruntergebrochen: Industrial, Automotive & Aerospace, City & Infrastructure, Healthcare & Personal Devices sowie Light, Home & Building. Wir sprachen mit Markus Vogt, Direktor für das Segment Healthcare & Personal Devices, wie es dazu kam und was das konkret für den Medizinbereich im Unternehmen bedeutet. Außerdem werfen wir gemeinsam einen Blick auf den Markt für medizinische Wearables.

Medizin+elektronik: Pünktlich zum 50. Geburtstag hat sich EBV sozusagen selbst beschenkt und seine Marktsegmente neu ausgerichtet. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Markus Vogt: Gestartet sind wir mit der Segmentausrichtung bereits 2009. Das heißt, wir waren zehn Jahre mit unserer Zweiteilung in Markt- und Technologiesegmente präsent. Natürlich hat sich der Markt entsprechend weiterentwickelt und somit war es eigentlich an der Zeit, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Segmente neu strukturieren.

Was erhoffen Sie sich von dieser Struktur?

Die Grenzen zwischen den Märkten verschwinden ja immer mehr. Ein Beispiel: Ein klinisches EKG-Gerät benutzt den gleichen Frontend-Baustein wie eine Smartwatch im Sportbereich, oder Geräte aus dem Telecare-Bereich, mit denen Ärzte Patienten permanent überwachen. Indem wir das in einem Segment bündeln, haben wir gegenüber unseren Herstellern eine Kompetenz, durch die wirneue Informationen im Roadmap-Bereich bekommen können.

Wie sind die Segmente aufgeteilt?

Die Größe der Segmente unterscheidet sich vom Umsatz her. Etwa 57 Prozent entfallen auf den Bereich für Industrieelektronik und etwa 19 Prozent auf den Automotivebereich. Helathcare ist aktuell noch der kleinste Bereich, hier liegen wir bei etwa drei Prozent vom Gesamtumsatz.

Das soll wahrscheinlich nicht so bleiben?

Nein, natürlich nicht! Daher haben wir ja auch den Bereich »Personal Devices« integriert, um das Wachstum in dem Segment darstellen zu können.

Dennoch ist die neue Aufteilung auch ein klares Bekenntnis zur Medizintechnik. Damit sind Sie deutlich kommunikationsfreudiger als andere Unternehmen aus der Elektronik. Woher nehmen Sie dieses Selbstbewusstsein?

Einfach aus unserer Erfahrung heraus. Seitdem die EBV besteht, haben wir immer Kunden aus der Medizintechnik betreut. Das ist aufgrund der strengen Vorgaben nicht immer einfach, gerade im Bezug auf lebenserhaltende Systeme. Mit unserem Erfahrungsschatz aus 50 Jahren sind wir aber sehr gut aufgestellt Wir betreuen heute noch Kunden aus der Medizintechnik, mit denen wir in den 70er Jahren gestartet sind.

Mit der expliziten Ausgründung – sprich mit dem klaren Bekenntnis »Wir unterstützen Medizintechnik« – aus dem Jahr 2009 haben wir uns darüber hinaus in den letzten zehn Jahren eine Expertise aufgebaut, die einzigartig im Markt ist.

Konkret sprechen Sie im Segment »Healthcare & Personal Devices« vor allem von Wearables, die schon heute Bestandteil der medizinischen Versorgung sind. Wo sehen Sie – aktuell und zukünftig – deren größtes Potenzial?

Dazu muss man kurz zurück gehen: Als vor vier bis fünf Jahren die erste Welle den Markt erreichte, waren die Geräte wirklich schlecht, vor allem hinsichtlich Genauigkeit. Das waren im Grunde Schätzungen, kaum besser als ein Schrittzähler. Mittlerweile erreichen wir mit den Geräten eine klinische Genauigkeit, speziell im Bereich Pulsüberwachung.

EBV
Markus Vogt, Direktor Healthcare bei EBV: »Im Bereich Healthcare und Personal Devices sind wir absolut offen.«
© EBV

Können Sie das an einem Beispiel genauer erklären?

Es gibt einen neuen Trend, bei dem man mit einem Wearable in Kombination mit einem optischen Pulsmesser und einem EKG-Signal den relativen Blutdruck bestimmen kann. Das ist natürlich auch für die Medizin interessant. Funktionen, die man vorher nur mit einem Patientenmonitor abbilden konnte, lassen sich heute in einer Smartwatch unterbringen. Die ersten klinischen Tests sind jetzt auf dem Weg, um die Geräte entsprechend zu zertifizieren. Zum Teil sind die Geräte auch schon im Markt, etwa die neue Apple Watch, die sogar auf Herzerkrankungen hinweisen kann.

Apple keeps the Doctor away …

… das heißt nicht, dass die Apple Watch ein medizinisches Gerät ist, aber diese Funktionalität inklusive App wurde sowohl von der FDA für die USA als auch mittlerweile für 19 europäische Länder zugelassen. Und daran sieht man sehr gut, wie die Grenzen zunehmend verschwinden. Und da sehen wir als Unternehmen ein riesiges Potenzial für die nächsten Jahre, auch vom Volumen her. Denn es ist natürlich etwas anderes, ob ich ein Patientenmonitor mit 20.000 oder 30.000 Stück pro Jahr baue oder eine Smartwatch, die sich im sechs bis sieben stelligen Bereich bewegt.

Dafür müssen die Patienten auch gewisse Hemmschwellen ablegen. Sehen Sie da schon heute eine Veränderung im Umgang mit den Geräten?

Die Akzeptanz durch den Benutzer steigt eigentlich mit jeder neuen Generation. Genauso wie das Vertrauen in die Genauigkeit. Blutdruckpatienten beispielsweise müssen akribisch ihre Werte notieren. Wenn die nun ein Gerät tragen, das mehrmals am Tag sowie in der Nacht den Blutdruck misst und die Daten eventuell direkt an den Arzt weitergibt, dann sind die mehr als begeistert. Was jedoch fehlt, ist die Bereitschaft der Krankenkassen, solche Anwendungen zu finanzieren und Modelle zu entwickeln, damit Ärzte in solchen Fällen ihre Leistungen abbrechen können. Trotz technologischer Möglichkeiten müssen Mediziner noch immer ihre Standardprozeduren einhalten.

Was heißt das für die Hersteller?

Die bringen ihre Geräte trotz medizinscher Genauigkeit nicht als Medizinprodukt auf den Markt. Der Gründer unseres Kunden Cosinuss, Johannes Kreuzer, beispielsweise kam schon aus der Medizintechnik. Der einzige Grund, warum er nicht direkt mit einer medizinischen Zulassung gestartet ist, waren die Kosten und der Zeitaufwand. Im Moment zielt er auf den professionellen Sportbereich ab, wo ich auch eine sehr hohe Genauigkeit von den Messwerten her brauche.

Ein Blick auf Ihre Kunden zeigt, dass sie durchaus verschiedene Anwendungsszenarien realisieren. Gibt es auch Bereiche, die Sie nicht angehen?

Nein, im Bereich Healthcare und Personal Devices sind wir absolut offen. Vorausgesetzt, sie sind technisch machbar und ethisch vertretbar. Das kommt letzten Endes auch immer darauf an, welche Unternehmen uns dabei unterstützen. Es gibt zum Beispiel Halbleiterfirmen, die uns strikt verbieten, ihre Produkte in sogenannte Klasse-III-Geräte zu integrieren.

Das heißt, diese ziehen die Grenze am menschlichen Körper?

Man muss da ein bisschen differenzieren: Im Körper heißt nicht zwangsläufig Klasse III. Wir haben derzeit ein Gerät in der klinischen Studie, das querschnittsgelähmten Menschen mithilfe von Nervenstimulation dabei hilft, wieder Laufen zu lernen.

Bei den meisten dieser Patienten ist das Rückenmark zwar beschädigt, aber nicht komplett durchtrennt. Die Nervenbahnen können gezielt stimuliert werden, aber ich benötige die Informationen auch draußen. Das heißt, die Patienten haben zusätzlich noch Sensoren am Kniegelenk, am Sprunggelenk oder an der Hüfte. Die messen quasi die Bewegung und geben so ein direktes Feedback zur Stimulation – habe ich den Nerv richtig getroffen und habe ich ihn richtig stimuliert. Und obwohl der Stimulator in den Menschen implantiert wird, handelt es sich dabei nicht um ein Klasse-III-Gerät.

An diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass es bei Wearables auch immer um Daten geht. Relativ schnell ist man dann auch beim Thema Datensicherheit. Wen sehen Sie hier in der Verantwortung – Arzt, Patient oder gar die Elektronik?

Also ich sehe die Elektronik hier an erster Stelle, denn es gibt Möglichkeiten, Daten auf den Geräten zu sichern – einfach die Hardware-Sicherung der Daten. Das heißt, mit Encryption-Bausteinen kann ich die Datenübertragung verschlüsseln. Dann natürlich die Hersteller der Apps, die dazwischen sind – sprich Software. Die können ihr Möglichstes tun, damit die Daten nur verschlüsselt weitergegeben sowie anonymisiert werden können. Die Entwickler der Cloud-Anwendung sind natürlich auch gefragt, denn die bündeln die ganzen Daten. Auch hier kann man dafür Sorge tragen, dass die Daten anonymisiert werden.

Patient und Arzt sind also ganz raus bei der Sache?

Nein, natürlich nicht. Der Benutzer selbst sollte lernen, etwas vorsichtiger mit seinen Daten umzugehen und diese nicht überall im Internet zu hinterlassen. Die Ärzte sind ganz am Schluss in der Pflicht. Die haben aber schon immer die Auflage – allein schon durch ihre Schweigepflicht –, sensibel mit den Daten der Patienten umzugehen.

Der Markt für (medizinische) Wearables ist schon heute unglaublich wertvoll – Tendenz steigend. Aber wie wird dieser sich Ihrer Meinung nach konkret entwickeln?

Wir sehen derzeit vier große Themen. Zum einen wird sich der gesamte Kardiobereich weiterentwickeln, auch getrieben durch die Grauzone zwischen einem reinen Patientenmonitoring-Gerät und einem reinen Fitnesstracker. Dann natürlich das große Thema Blutdruck – hauptsächlich Bluthochdruck. Sprich, wie kann ich dessen Messwerte verfolgen? Der dritte Bereich ist die Schlaf- und Wohlfühlanalyse, obwohl es hier vielmehr um Stress – Ursachen und Bewältigung – geht. Hier spielt die Schlafanalyse eine ganz große Rolle. Anwendungen finden sich bereits heute. Der Markt dafür ist also da. Denn Schlafstörungen ziehen letztendlich auch immer einen ganzen Rattenschwanz an chronischen Erkrankungen nach sich. Ob das am Ende eine Uhr, ein Armband oder ein smartes Kopfkissen ist, das ist nur ein reiner Formfaktor.

Sie sprachen von vier Bereichen. Was ist der letzte?

Der letzte Bereich ist sozusagen immer noch der heilige Gral: Diabetes-Management. Hier sehen wir vor allem die Blutzuckermessung als großes Thema. Die Patienten wollen eigentlich minimalinvasive beziehungsweise optische Möglichkeiten dafür. Auch da wird noch immer fleißig entwickelt und geforscht, denn den absoluten Durchbruch hat man hier bisher noch nicht erreicht.

Der Markt – ob nun Typ 1 oder Typ 2 – wird immer größer, vor allem in den Industriestaaten, …

… das war mal so. Die Anzahl der Diabetiker ist lange fast ausschließlich in den Industrieländern angestiegen. Aber im Moment kommen vor allem die asiatischen Länder massiv dazu. Gerade mit dem Anstieg des Lebensstandards, beispielsweise in China, ist auch die Zahl der Diabeteserkrankungen und insbesondere Typ 2 explosionsartig angestiegen.

Kommen wir abschließend nochmal zu EBV: Wie anfangs bereits erwähnt, feiern Sie in diesem Jahr das 50. Jubiläum. Gibt es außer den neuen Segmenten noch etwas, was Sie sich für 2019 vorgenommen haben?

In erster Linie wollen wir vor allem unserer Grundphilosophie treu bleiben. Für uns war schon immer wichtig, den Kunden direkt bei der ersten Idee abzuholen und zu unterstützen. Das möchten wir beibehalten. Genauso wie den persönlichen Kontakt. Das gilt insbesondere für unsere Kunden aus der Medizintechnik, die ein sehr sensitiver Bereich ist. Gerade hier braucht es den persönlichen Kontakt. Ein Gerätedesign, das ausschließlich über das Internet entsteht, das geht schlicht und ergreifend nicht. In der Kommunikation sind alle gefragt, vom Hersteller bis hin zu den Lieferanten.

Vielen Dank für das Gespräch!

EBV IoT-Hero: Dank KI zu mehr Leistung

Im Rahmen des IoT/WT Innovation World Cup verleiht EBV Elektronik den Sonderpreis »EBV IoT Hero« an ein besonders vielversprechendes europäisches IoT-Startup. Der Techpreneur kann sich über einen Geldpreis von 10.000 Euro freuen. Im vergangen Jahr ging der Preis an Arion. Das Unternehmen aus Eindhoven hat eine intelligente Schuhsole entwickelt, mit der Sportler ihre Lauftechnik nachhaltig verbessern können und die dabei hilft, das Verletzungsrisiko zu minimieren sowie die Gesamtleistung zu verbessern. Die druckempfindlichen Einlegesohlen messen die Interaktion zwischen dem Fuß des Läufers und dem Boden. Die Bewegung des Körpers wird vom »Foodpod« verfolgt, der mit einem mehrachsigen Beschleunigungssensor, Gyroskop-Sensor, Bluetooth und GPS ausgestattet ist.

 

EBV
Auf das nächste Level gehoben: Mit der Einlegesohle von Arion sollen Läufer ihre Leistung verbessern können.
© Arion

  1. »Diabetes-Management ist der heilige Gral«
  2. Anwenderbericht Cosinuss: In-Ear-Überwachung von Vital-parAmetern

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