Elektrozeutika

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29. März 2019, 16:00 Uhr | Melanie Ehrhardt
Das Prinzip der elektrischen Modulation ist nicht neu, Geräte wie Herzschrittmacher oder THS-Implantate gibt es schon lange. Im Fokus jetzt: kleine Mikro-Implantate sogenannte Elektrozeutika
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Die bioelektronische Medizin verspricht Behandlungserfolge, auch dann noch, wenn Medikamente nicht mehr wirken. Zunutze macht sie sich dabei den Körper selbst. Außer Verbesserungen soll der Patient so gut wie nichts davon mitbekommen – Elektroschocks ganz ohne Nebenwirkungen?

Defekte Elektrogeräte, Leitungen oder schlecht isolierte Kabel – das alles sind Auslöser für Stromschläge. Meistens kommt man nach einem Stromschlag mit einem Schrecken davon, manche können aber auch zum Tod führen. Die meisten davon, 80 bis 90 Prozent, passieren im Haushalt. Die restlichen werden durch Starkstrom oder Hochspannung verursacht. Etwa durch Berührung von Überland- und Freileitungen. Im Gegensatz zu Starkstrom hat der Strom aus der Steckdose zu Hause mit 230 Volt nur Niederspannung – und eine Stromstärke von 50 Milliampere, wenn der Strom durch den Körper fließt. Wenn man beispielsweise einen Föhn einschaltet, beginnt der Strom zu fließen. Ist da ein Kabel oder eine Leitung beschädigt, kann es gefährlich werden Denn dann gerät der Mensch in den Stromfluss zwischen Gerät und Erde. Die Folge: Der Strom folgt seinem natürlichen Instinkt und will trotz Hindernis die Erdung erreichen. Und das tut er dann durch den Körper des Menschen. Wer Glück hat, kommt mit einem kurzen heftigen Schlag davon, einem sogenannten »Wischer«. Wenn der Strom aber von der Hand über das Herz zum Boden fließt, können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auftreten. Im schlimmsten Fall versagt das Herz-Kreislauf-System. Möglich ist auch ein Atemstillstand, bei dem die Lungenmuskulatur verkrampft.

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Stromstöße sind aber nicht nur gefährlich; im geringen Umfang macht sie sich der Körper auch zunutze. Beinahe alle Zellen im Körper werden direkt oder indirekt durch die Aktivität neuronaler Schaltkreise beeinflusst [1]. Diese gezielte elektrische Stimulation des Nervensystems nutzt man in der Medizin, um Funktionsstörungen von Organen und andere chronische Krankheiten zu behandeln. Die Annahme: Durch die elektrische Modulation neuronaler Schaltkreise und Reflexbögen werden spezifische zelluläre Reaktionen ausgelöst und Signal-Proteine freigesetzt, die sich mildernd auf die Symptome auswirken oder gar ihre Ursachen beheben [1]. Bekannt ist dieser Therapieansatz unter anderem von bioelektronischen Geräten, zum Beispiel Herzschrittmachern und Implantaten für die Tiefe Hirnstimulation (THS). Ganz nach dem Motto »Das geht noch eine Nummer kleiner« arbeiten Unternehmen und Forschungseinrichtungen weltweit an Mikroimplantaten – sogenannte »Elektrozeutika« – die mithilfe elektrischer Impulse Nervensignale gezielt manipulieren und so eine Alternative zur medikamentösen Behandlung von Epilepsie, Asthma, Bluthochdruck oder Diabetes darstellen.

Elektrische Wechselwirkung

»Der Begriff Elektrozeutika ist als Wortspiel und Gegenstück zu Pharmazeutika entstanden und beschreibt Ansätze und Medizinprodukte, die anstelle einer pharmazeutischen eine elektrische Wechselwirkung mit dem Körper erzielen«, erklärt Prof. Dr. Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Umgangssprachlich werde auch gern der Ausdruck »Strom statt Pillen« benutzt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um elektrisch aktive Implantate, die Signale natürlicher Sensoren und Organe im menschlichen Körper überschreiben. »Elektrozeutika«, »elektronische Pillen« und »bioelektronische Medizin« sind Begriffe, die seit 2013 von GlaxoSmithKline und einigen US-amerikanischen Forschungsgruppen geprägt wurden und nun innerhalb einer schnell wachsenden Gemeinschaft den Einsatz von neuronalen Schnittstellen und Implantaten in diesem Forschungsfeld beschreiben [2]. »Idealerweise haben die Elektrozeutika auch eine Aufnahmeeinheit eingebaut und einen Mikro-Computer«, so Stieglitz.

Im Organismus ist eine Vielzahl von Regelkreisen permanent aktiv, die sämtliche Körperfunktionen steuern. Dabei modulieren oder aktivieren Messwerte körpereigener Sensoren physiologische Abläufe. An dieser Stelle setzt die bioelektronische Medizin an [2]. Den Blutdruck nehmen beispielsweise körpereigene Drucksensoren wahr und senden die Information als Folgen von Aktionspotenzialen über das autonome Nervensystem. Diese Fasern bilden einen Teil des Vagusnervs. »Wenn ich nun diese elektrischen Signale aufnehme, kann ich den Blutdruck aus den Signalen herausbekommen – wenn ich den neuronalen Code entziffert habe«, erklärt Stieglitz. Man könnte die Signale aber auch überschreiben und dem Körper einen anderen Blutdruck »vorgaukeln«. Der Körper reagiert darauf, stellt die Gefäße weit und der Blutdruck sinkt.


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  2. Entscheidende Wirkmechanismen
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