3D-Druck

Implantate aus resorbierbaren Kunststoffen

29. Juli 2020, 8:00 Uhr | Lukas Pawelczyk
Die knochenähnliche Platten-Implantate werden durch körpereigenes Gewebe ersetzt und lösen sich nach vorgegebener Zeit von selbst auf.
© Arburg

Arburg Kunststoff-Freiformen für die Medizintechnik

Das Arburg Kunststoff-Freiformen (AKF) mit dem Freeformer ist prädestiniert für die additive Fertigung in der Medizintechnik. Wichtige Grundlage: Alle Freeformer, zum Beispiel der 200-3X, arbeiten im AKF-Verfahren auf Basis qualifizierter Standardgranulate. Die Anwender können mit dem offenen System ihre eigenen Originalmaterialien verarbeiten sowie die Tropfengröße und den Prozess selbst optimieren.

Alternativ können sie auf die Materialdatenbank von der Arburg GmbH & Co. KG, Loßburg,  zugreifen und dort zertifizierte Kunststoffgranulate, wie sie auch im Spritzgießen eingesetzt werden, auswählen und verarbeiten. Hier sind solche Materialien wie Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS), amorphes Polyamid (PA) und Polycarbonat (PC), elastisches thermoplastisches Polyurethan (TPU) und teilkristallines Polypropylen (PP), aber auch Polylactid aus der L-Milchsäure (PLLA) sowie andere spezielle und zertifizierte Originalmaterialien für medizinische Anwendungen enthalten.

Tröpfchen im Sekundentakt

Der Prozess beginnt – ähnlich wie beim Spritzgießen – mit dem Aufschmelzen eines herkömmlichen Kunststoffgranulats über einen beheizten Plastifizierzylinder. Anschließend trägt ein hochfrequent getakteter, starrer Düsenverschluss kleinste Tropfen der flüssigen Kunststoffschmelze aus. Der über drei Achsen bewegliche Bauteilträger ist in X-, Y- und Z-Richtung positionierbar und ermöglicht ein genaues Ablegen jedes einzelnen Tropfens auf die vorher berechnete Stelle. Der abgelegte Tropfen verbindet sich mit dem bereits umliegenden Material, sodass Schicht für Schicht dreidimensionale Bauteile mit hoher mechanischer Festigkeit entstehen. Die Austragsmenge und Schichtdicke können variiert werden.

Das AKF-Verfahren basiert auf Kunststoffgranulaten. Das qualifizierte Originalmaterial wird in einer Plastifiziereinheit aufgeschmolzen und über eine Düse tropfenförmig ausgetragen.
Das AKF-Verfahren basiert auf Kunststoffgranulaten. Das qualifizierte Originalmaterial wird in einer Plastifiziereinheit aufgeschmolzen und über eine Düse tropfenförmig ausgetragen.
© Arburg

Bei der Datenaufbereitung werden unter anderem die Parameter für die Positionierung der Tropfen auf dem Bauteilträger definiert. Für die Außenkontur und für die Füllung kommen verschiedene Ablagestrategien zum Einsatz. Die Tropfen der Außenkontur werden einzeln abgelegt. Für die Füllung der konturierten Schicht bewegt sich der Bauteilträger entlang eines definierten Pfads, während hintereinander gereihte Tropfen kontinuierlich ausgetragen werden. Die Datenaufbereitungs-Software für den Freeformer generiert standardmäßig eine dem Bauteil angepassten Stützstruktur.

Implantate aus PLLA und Resomer LR 706

Zu einen der ersten Freeformer-Kunden aus der Medizintechnik zählt die Aesculap AG, Tuttlingen. Seit Februar 2018 arbeitet das Tochterunternehmen von der B. Braun Melsungen AG, Melsungen, mit einem Freeformer 200-3X. Hergestellt werden Bauteile aus medizinisch zugelassenem, resorbierbarem PLLA und Hart-Weich-Verbindungen. Immer stärker nachgefragt sind zudem speziell angepasste Knochenkomponenten und Implantate zur individuellen Patientenbehandlung sowie medizinische Kunststoffprodukte »am Blut«, zum Beispiel Sägeschablonen oder Probeimplantate. Der Einsatz handelsüblicher Kunststoffgranulate verursacht hier nur ein Bruchteil der Kosten im Vergleich zu Spezialmaterialien.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz des AKF-Verfahrens in der Medizintechnik ist die Verarbeitung von Resomer LR 706, einem bioresorbierbaren Kunststoff, der Evonik Industries AG, Essen, zu Implantat-Platten, die bei Knochenbrüchen direkt in den Körper eingesetzt werden. Dazu wird ein Freeformer 200-3X mit zwei verschleißfesten Austragseinheiten eingesetzt. Denn das dem menschlichen Knochen nachempfundene Polymer-Composite enthält 30 Prozent keramische Zusätze, sogenanntes β-Tricalciumphosphat (ß-TCP). Das Bauteil ist dadurch stabiler und gibt zudem Calcium ab, um den Knochenaufbau zu fördern. Nach vorgegebener Zeit löst sich das Implantat vollständig auf.

Kein zweiter Eingriff nötig

Auch resorbierbare Schädel-, Wangen- und Fingerknochen aus medizinischem PLLA haben den Vorteil, nach der Heilung nicht operativ entfernt werden zu müssen. Zudem kann das Kunststoffgranulat mit entzündungshemmenden Wirkstoffen beladen werden, um Abstoßungsreaktionen zu minimieren. Damit sich das Material zum richtigen Zeitpunkt im Körper auflöst, ist die Auswahl des Materialtyps von großer Bedeutung. Darüber hinaus werden auch Dauerimplantate  zum Beispiel aus PCU im AKF-Verfahren hergestellt. Sie eignen sich etwa für den Einsatz im Wirbelsäulen-Bereich.

Die Samaplast AG, Margrethen (Schweiz), fertigt auf der gleichen Maschine unter anderem ein Dauer-Implantat für den Wirbelsäulen-Bereich aus FDA-zugelassenem Polycarbonaturethan (PCU), Implantate aus resorbierbaren Materialien wie Polylactid oder Mehrkomponenten-Bauteile. Von Vorteil ist, dass sich neue Materialien oder ungewöhnliche Geometrien schnell und mit geringen Kosten testen lassen, ohne dafür teure Spritzgieß-Werkzeuge entwickeln und bauen zu müssen.

Zusammenfassung

In der Medizintechnik ermöglicht das AKF-Verfahren von Arburg sehr anspruchsvolle Anwendungen, die so mit keinem anderen Verfahren machbar sind. Dank kontinuierlicher Weiterentwicklungen des Verfahrens und der Maschinen nähert sich das Unternehmen mehr und mehr den individuellen Anforderungen der Humanmedizin an.

Autor: Lukas Pawelczyk ist Abteilungsleiter Vertrieb Freeformer bei Arburg

Genannte Unternehmen: Arburg, Aesculap, B.Braun, Evonik, Samaplast

Schlagworte: Additive Fertigung, 3D-Druck, AKF-Verfahren, Kunststoffe, Implantate

Quelle: L. Pawelczyk: Freiformen für die Medizintechnik. medical design 4/2020, S. 46 – 48 (Hier geht’s zum ePaper)

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