DiGA

Medizin aus dem Smartphone

29. März 2021, 13:02 Uhr | Jens Fuderholz
Handy mit Stethoskop (Symbolbild)
© AdobeStock/ greenbutterfly

Medizin-Apps sollen mehr bieten als nur reine Datenansammlungen

Zehn digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind seit dem Inkrafttreten des Digitalen-Versorgungs-Gesetzes (DVG) im Dezember 2019 im Verzeichnis für DiGAs des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet. Für Patienten heißt das, dass die Krankenkassen die Kosten für die Anwendungen übernehmen. Im Vergleich zu anderen Zulassungsverfahren in der Medizin wurden die ersten DiGAs nahezu in Lichtgeschwindigkeit zugelassen. »Das BfArM hat in den vergangenen Monaten einen großartigen Job gemacht. Kriterien und Anforderungen mussten im Detail festgelegt werden, der Prüfkatalog wurde erstellt – all das dauert seine Zeit, zumal jeder einzelne Schritt auf Neuland gesetzt wurde«, sagt Julia Hagen, Director Regulatory and Politics beim Health Innovation Hub (hih).  Dies alles in so kurzer Zeit zu realisieren, verdiene ein großes Lob.

Die erste, im Oktober 2020 zugelassene »App auf Rezept« ist Kalmeda von Mynoise, eine App gegen chronischen Tinnitus. Die Vorbereitungen für das Zulassungsverfahren das junge Unternehmen schon früh getroffen, sodass es direkt nach dem Inkrafttreten des DVG den entsprechenden Antrag einreichen konnten. »Wir haben uns gedacht, egal was kommt, wir werden ein umfangreiches und aussagefähiges Dokument vorlegen können«, sagt Christof Schifferings, Geschäftsführer von Mynoise. Von Anfang sei klar gewesen, man wolle ein Medizinprodukt programmieren. Das heißt auch, sich noch vor der ersten Code-Zeile mit den Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit aber insbesondere auch mit den Dokumentationspflichten auseinanderzusetzen.

Ein weiterer Grund dafür, dass sie bei der Zulassung wenige Probleme hatten, war die frühe Auseinandersetzung mit den Kriterien und die Zusammenarbeit mit Ärzten und Psychologen. Mynoise wollte den Antrag so früh wie möglich einreichen – digital wie vom BfArM gefordert. Das Problem: Es gab noch kein Antragsportal. Also schickte Schifferings den Antrag einfach per Mail. Der erste Schritt in Richtung DiGA war gemacht; ie vorläufige Zulassung erfolgte Ende September 2020. 

Herausforderungen und Chancen der digitalen Helfer

Direkt im Anschluss wollte Mynoise mit der für die dauerhafte Aufnahme notwendigen klinischen Studie zum Nachweis des medizinischen Nutzens beginnen. Kalmeda wurde zunächst für ein Jahr auf Probe zugelassen: »Probanden für die Studie zu finden, erwies sich als schwierig. Warum denn an einer Studie teilnehmen, wenn es die App auch kostenlos über die Krankenkasse gibt«, sagt Schifferings. Den Nachweis über den positiven Versorgungseffekt wird das Unternehmen voraussichtlich innerhalb des angesetzten Jahres trotzdem erbringen können. Auch hier ist eine frühe Planung wichtig. Bereits nach der kurzen Zeit auf dem Markt sind die Rückmeldungen zu Kalmeda positiv, sowohl von Patienten als auch von Medizinern. »Wir bieten auch Testzugänge für Ärzte an und das funktioniert sehr gut. Da bekommen wir sehr positive Rückmeldung. Unser Ziel ist es, nicht vorbei an den Ärzten, sondern mit ihnen gemeinsam zu arbeiten«, so Schifferings. 

Eine der zusätzlichen Herausforderungen des Formats sieht er zuweilen darin, dass es sich um eine Verhaltenstherapie handelt und nicht jeder Betroffene die kognitiven Fähigkeiten besitzt, sein Verhalten den Dingen gegenüber anzupassen, die verantwortlich für seine Beschwerden sind. Mit der richtigen Motivation sei aber auch das kein Problem. Auch Julia Hagen vom hih ist der Meinung, dass die Kommunikation mit der Zielgruppe besonders wichtig ist: »Man muss verstehen, wie die Behandlungsphasen aussehen und welche Bedürfnisse Ärzte und Patienten haben und diese genau dort abholen.« Dass das Interesse an Medizin-Apps groß ist, bekommt ebenso Dr. Julian Braun, Vorstandsmitglied im Spitzenverband Digitale Gesundheitsvorsorge e.V., mit: »Gleichzeitig gibt es aber auch ein großes Informationsbedürfnis. Wir sehen es als Vertreter der Hersteller daher als unsere Aufgabe, umfassend und transparent Ärzte, aber auch andere Akteure im Gesundheitswesen über DiGAs zu informieren.« Der Weg zum Erfolg führt damit auch über eine umfassende und transparente Kommunikation. Wichtig sei es, die Mediziner ausreichend aufzuklären, damit diese die Anwendungen passenden Patienten empfehlen und verschreiben können.

DiGAs werden ihren Platz in der Medizin finden

Digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept sind in dieser Form ein gesellschaftliches Novum und müssen sich ihre Akzeptanz erst erarbeiten: Die digitale Medizin steht am Anfang ihrer Entwicklung. Doch bereits heute ist sie in der Lage, Versorgungslücken zu schließen. »Genauso wie ein Smartphone innerhalb von sehr kurzer Zeit zum allgegenwärtigen Begleiter der Menschen geworden ist, werden auch DiGAs ihren Platz in der Medizin finden«, schätzt Schifferings die Zukunft der digitalen Anwendungen im Gesundheitssektor ein. Es sei alles eine Gewöhnung. Genau darin erkennt der Mynoise- Geschäftsführer auch die große Chance der DiGAs. Sie unterstützen die Medizin und werden seiner Meinung nach bald nicht mehr wegzudenken sein. Denn die digitale Medizin und die Gesundheitsanwendungen im Speziellen adressieren ganz konkrete Versorgungslücken. 

Julia Hagen vom hih legt den Schwerpunkt auf die Aufklärung: »Chancen und Risiken gibt es hier, wie es sie immer bei neuen Technologien oder Prozessen im Gesundheitssektor gibt«. Auch die DiGAs müssten den Nachfragen nach Datensicherheit und Datenschutz standhalten – weswegen Informationen rund um Verschreibung und Handling umso wichtiger sind. »Vielen ist noch immer nicht klar, dass gerade die DiGAs, anders als andere Applikationen, vom BfArM einer ausführlichen Prüfung in Hinblick auf Patienten- und Datensicherheit unterzogen werden.«

Die Zukunft gehört auch den digitalen Anwendungen

Braun sieht in DiGAs vor allem viele Chancen: »Wenn es uns gelingt, DiGAs im Versorgungsalltag zu etablieren, schaffen wir damit nicht nur einen neuen Versorgungszweig, sondern können auch bestehende Leistungsangebote ergänzen und Versorgungslücken schließen.« Die Erweiterung des Marktes entlastet also nicht nur die Ärzte, sondern schafft auch neue Möglichkeiten. »Der Alltag des Patienten kann Teil der Therapie werden und Behandlungsabläufe so besser strukturiert werden«,  Braun. 

Dass den digitalen Gesundheitsanwendungen noch eine große Zukunft bevorsteht, davon ist auch Julia Hagen vom hih überzeugt: »Die DiGAs sind gerade gestartet, also noch in den Kinderschuhen, das wird natürlich noch eine Zeit dauern bis man davon sprechen kann, es hätte sich im Verschreibungskanon verankert.« Aber der Start sei vielversprechend verlaufen und »wir sind sehr gespannt auf die Rückmeldungen, die wird im kommenden Quartal erwarten.« Und in einem sind sich Entwickler, Regulatoren und Anbieter einig: Die Apps auf Rezept bringen die Digitalisierung des Gesundheitswesens wesentlich voran.

Ausblick: DiGAs auf der Medtec Live 2021

Das nach eigener Aussage eher untypische Start-up Mynoise stolz auf das Erreichte. Vor allem die langjährige Berufserfahrung der Geschäftsführer und die unterschiedlichen Qualifikationen im Team machen schnelles Handeln möglich. Als Tipp für junge Start-ups gibt Schifferings mit, sich von Anfang an Partner aus der Medizinbranche zu suchen, auch für die klinische Studie. Das hilft, die Anforderungen an ein Medizinprodukt zu erfüllen und schafft Kontakte zum Markt.

Christopher Boss, Leiter der Fachmesse Medtec Live, weist hierzu auf die Dialogplattform der Branche hin: »Wir bieten im Frühjahr 2021 die perfekte Möglichkeit, sich über den aktuellen Stand und das Vorgehen anderer DiGA-Hersteller auszutauschen sowie Dienstleister und Sparringspartner als Hilfe für die Zulassung zu finden.« Zudem bekomme man einen Überblick über neue Technologien und Innovationen im Medtec Summit.

Das vollständige Programm von Medtec Live & Summit, alle Aussteller und alle Informationen zur Teilnahme an der kommenden Ausgabe als Aussteller und zur Registrierung als Besucher finden sich unter www.medteclive.com.


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