Raumed Home ICP

Multimodales Neuromonitoring auch Zuhause

4. Februar 2021, 11:00 Uhr | Tina Lück, Lena Thüroff (beide Raumedic)
Die Signalübertragung zwischen dem Raumed Home ICP und dem implantierten Katheter erfolgt per Lastmodulation über die Reader-Antenne.
© Raumedic

Mobiles Messgerät von Raumedic misst den Hirndruck in den eigenen vier Wänden

Je weniger Zeit Patienten beim Arzt verbringen müssen, desto besser. Chronisch Kranken bleiben regelmäßige Klinikbesuche allerdings nicht erspart. So auch Menschen, die an Hydrocephalus leiden. Der Begriff setzt sich aus »Hydro« (Wasser) und »Cephalus« (Kopf) zusammen und bezeichnet eine Störung des Hirnwasserkreislaufs. Weil bei Hydrocephalus-Patienten das Hirnwasser (Liquor cerebrospinalis) nicht normal abfließen kann, erweitern sich die Hirnkammern (Ventrikel). Das Schädelvolumen ist allerdings begrenzt. Somit steigt der Druck im Schädelinneren, der sogenannte intrakranielle Druck (ICP). Hydrocephalus kann angeboren sein, im Erwachsenenalter erworben werden, aber auch als Folge von Hirntumoren auftreten. 

Die Symptome sind zunächst unspezifisch, was die Diagnose erschwert: Die Patienten klagen häufig über Kopfschmerzen, Übelkeit und unterschiedliche kognitive Beeinträchtigungen. Mithilfe der Bildgebung lässt sich feststellen, ob die Hirnkammern erweitert sind. Ob zudem ein erhöhter intrakranieller Druck – und damit Hydrocephalus – vorliegt, kann durch telemetrische Langzeitmessungen bestimmt und verfolgt werden. Erkenntnisse aus der Telemetrie können ebenso hilfreich für die therapeutische Behandlung sein. Dies gilt besonders bei Hydrocephalus, aber auch bei Krankheitsbildern, die eine langfristige Überwachung des ICP erfordern, wie es beispielsweise nach schweren Kopfverletzungen der Fall sein kann.

Telemetrisch messen mit RFID-Technologie

Voraussetzung für das Verfahren ist ein kurzer operativer Eingriff, bei dem der Neurochirurg einen telemetrischen Druckmesskatheter unter der Kopfhaut auf der Schädeldecke implantiert. Durch ein kleines Loch im Schädelknochen wird der Neurovent-P-tel (Hersteller: Raumedic) direkt in der richtigen Tiefe im Hirngewebe platziert. Die Gefahr von Folgeproblemen, wie sie bei konventionellen kabelgebundenen ICP-Druckmesssystemen auftreten können, sinkt bei dieser Methode. Lageveränderungen des Katheters, die durch Bewegungen des Patienten ausgelöst werden und so falsche Messwerte liefern können, sind praktisch ausgeschlossen. Als Langzeitimplantat darf das Gerät bis zu drei Monate im Körper verbleiben. Dadurch kann der Arzt nicht nur auf eine solide Datenbasis zurückgreifen. Es entfallen auch häufige Katheterwechsel, die wiederum zu Hirnläsionen führen können. Und zu guter Letzt steigt auch die Lebensqualität der Patienten, denn werden mobiler.

Der Neurovent-P-tel-Katheter wird manuell gefertigt und misst den intrakraniellen Druck in einem Bereich von -40 bis +400 mmHg mit Hilfe eines Sensors in der Sondenspitze.
Der Neurovent-P-tel-Katheter wird manuell gefertigt und misst den intrakraniellen Druck in einem Bereich von -40 bis +400 mmHg mit Hilfe eines Sensors in der Sondenspitze.
© Raumedic

Der Katheter selbst ist unter anderem mit einem RFID-Chip ausgestattet. Seine Stromversorgung erfolgt ausschließlich über eine ringförmige Antenne, den sogenannten Reader. Wird dieser nach der OP über dem implantierten Katheter auf die Kopfhaut des Patienten gelegt, entsteht ein magnetisches Wechselfeld. Nach entsprechender Konfiguration und Kopplung des Readers mit dem Implantat beginnt der Neurovent-P-tel den intrakraniellen Druck zu messen. Der Reader liest die Messdaten aus und die Hirndruckwerte werden periodisch via Lastmodulation an den Raumed Home ICP, ein Datenlogger-System zur Langzeitaufzeichnung, übertragen. 
Für die endgültige Diagnose, aber auch um geeignete therapeutische Maßnahmen bei bereits diagnostiziertem Hydrocephalus ableiten zu können, sind Ärzte auf viele Daten angewiesen. Demzufolge müssten sich die Betroffenen für die ICP-Messungen häufig in neurochirurgische Spezialkliniken begeben, die nicht immer in Wohnortnähe liegen. Das bedeutet einen erheblichen Aufwand. Insbesondere für die Patienten, aber auch für begleitende Familienmitglieder. Auf der anderen Seite muss das Klinikpersonal die langen Messungen in den Stationsalltag einplanen. Umso problematischer ist es, wenn die Patienten zu diesen Zeiten keine Symptome aufweisen und ihr Hirndruck im Normalbereich liegt.

Tiefere Einblicke für Neuromediziner

Vor diesem Hintergrund begann Raumedic vor etwa vier Jahren mit der Entwicklung eines neuen Produkts, das eine häusliche Langzeitüberwachung des intrakraniellen Drucks ermöglichen sollte. 2019 kam der Raumed Home ICP auf den Markt. Das Besondere daran: Mit dem Telemetriesystem wird der Patient selbst zum Nutzer. Im Zusammenspiel mit dem Telemetriekatheter Neurovent-P-tel zeichnet das Monitoring-Gerät in Smartphone-Größe den Hirndruck immer dann auf, wenn der Patient den Reader am Kopf befestigt. Folglich steigt die Zahl der klinisch verwertbaren Messdaten. Auch die Patienten profitieren: Sie werden unabhängiger vom Krankenhausbetrieb, müssen sich weniger CT-Scans unterziehen und können während der ICP-Messung aktiv sein, sie sogar in ihren Tagesablauf integrieren.   

Mit dem Raumed Home ICP kann der Patient den Messvorgang selbst starten und stoppen aber auch Symptome wie beispielsweise Kopfschmerzen erfassen.
Mit dem Raumed Home ICP kann der Patient den Messvorgang selbst starten und stoppen aber auch Symptome wie beispielsweise Kopfschmerzen erfassen.
© Raumedic

Bestimmte Alltagsaktivitäten, darunter Essen, Laufen und Schlafen, und plötzlich auftretende Symptome wie Kopfschmerzen oder Übelkeit kann der Anwender selbst per Knopfdruck erfassen. Allein dem behandelnden Arzt ist es mithilfe einer speziellen Software möglich, die Messdaten einzusehen. Per USB-Port überträgt er sie verschlüsselt auf seinen Rechner. Dort lassen sich die Langzeit-ICP-Werte visualisieren und die mit Zeitstempel versehenen Tätigkeiten und Ereignisse nachvollziehen. Da die Informationslage für den Mediziner insgesamt transparenter ist, kann er leichter Entscheidungen über die weitere Behandlung treffen. 
Da der atmosphärische Druck, der je nach Wetterlage schwankt, unmittelbaren Einfluss auf die Messung hat, kann er diese auch verfälschen. Der Raumed Home ICP berücksichtigt diesen Umstand mithilfe zusätzlicher Sensoren zur Luftdruckmessung. Um diesen Wert wird der mit dem implantierten Telemetriekatheter gemessene Druck bereinigt. Als Resultat stellt sich ein präziser intrakranieller Druckwert ein.

Elektromagnetische Wechselwirkungen vermeiden

Besonderes Augenmerk während der Entwicklung galt der elektromagnetischen Verträglichkeit. Das Gerät musste so ausgelegt werden, dass die Anforderungen der EMV-Richtlinie erfüllt werden. Denn gerade im häuslichen Umfeld kann das Monitoring-Gerät vielen elektromagnetischen Störfeldern ausgesetzt sein, die sich zudem schwer vorhersagen lassen. So musste das Entwicklerteam einerseits ausschließen, dass beispielsweise heimische Mikrowellen oder Computer die Funktionalität des Medizinprodukts beeinträchtigen. Auf der anderen Seite darf auch der Raumed Home ICP in seiner Einsatzumgebung bei anderen Geräten keine unzulässigen Störungen verursachen. Um sicherzustellen, dass er zuhause optimal funktioniert, führte der Hersteller neben Baumusterprüfungen bei akkreditierten Prüflaboren Usability-Tests gemäß den internationalen Standards IEC 60601-1-6 und IEC 62366 durch.

Da der Raumed Home ICP von Laien genutzt wird, war vor allem ein leichtes, handliches Medizinprodukt mit einfachem Bedienkonzept gefragt. Gehäuse, Kabel und Reader-Antenne hingegen müssen ausreichend robust sein. Das Gerät muss nicht nur Stürze aushalten können. Weil die Antenne direkt an der Kopfhaut anliegt, war für diese Komponente ein biokompatibler Werkstoff erforderlich. 

Bei der Materialauswahl galt es also verschiedene Faktoren, wie Langlebigkeit, Haptik und Biokomptabilität, in Einklang zu bringen. Hier kam Raumedic nicht nur seine Erfahrung in der Verarbeitung medizinischer Kunststoffe zugute. Der Standort im sächsischen Zwönitz ist schon seit Jahren in der Sensortechnik tätig. Dort werden unter anderem die telemetrischen Hirndruckkatheter hergestellt – und zwar in Handarbeit. Mit gutem Auge und viel Fingerspitzengefühl werden die Katheter unter dem Mikroskop konfektioniert. Die Fertigung braucht ihre Zeit. Bei der Montage sind sehr viele Schritte nötig und Präzision ist bei jedem Schritt oberstes Gebot. Im Schnitt dauert es bis zu vier Wochen, um eine Losgröße – das sind neun Stück – an Neurovent-P-tel-Kathetern zu fertigen. Allein die sogenannte Driftprüfung ist aufwändig. Sie dauert für jeden Katheter 60 Stunden. In dieser Zeit wird der Sensor auf etwaige Abweichungen vom Nullpunkt überprüft. Nach weiteren Drucktests werden die Katheter dann mittels EO-Behandlung sterilisiert. Ärzte und Kliniken erhalten also vorkalibrierte und sofort einsatzbereite Implantate.

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