Implantate

Perfekte Passform für jeden Patienten

9. März 2022, 13:22 Uhr | Melanie Ehrhardt
Benötigt ein Mensch ein Implantat im Schädel-Hirn-Bereich, sollen externe Faktoren den Heilungsverlauf unterstützen oder zumindest nicht behindern. Das gilt in besonderem Maße für das Implantat selbst.
Benötigt ein Mensch ein Implantat im Schädel-Hirn-Bereich, sollen externe Faktoren den Heilungsverlauf unterstützen oder zumindest nicht behindern. Das gilt in besonderem Maße für das Implantat selbst.
© AdobeStock.com/belekekin

Wie der 3D-Metalldruck hilft, Gelenke und Knochen zu ersetzen

Ungeschicklichkeit geht ganz schön auf die Knie. Denn beim Stolpern wirkt auf das Gelenk das neunfache des Körpergewichts. Und selbst bei Menschen, die deutlich geschickter beim Laufen sind, wird das Knie ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Bis zu zehn Millionen Deutsche haben Kniebeschwerden, bei jedem zweiten zeigen sich schon im Alter zwischen 30 und 39 Jahren Verschleißerscheinungen wie Knorpelverletzungen. Kein Wunder, ist das Knie – auch ohne Stolperer – ein stark beanspruchtes Gelenk: 330 Millionen Mal beugen wir es im Durchschnitt im Laufe unseres Lebens. Beim Stehen lastet auf jedem Kniegelenk das volle Körpergewicht, beim Stehen auf einem Bein das 2,5-fache. [1]

Dieser Dauerbelastung hält nicht jedes Gelenk stand. Der Kniegelenkersatz gehört zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffe in der Orthopädie. In Deutschland wurden 2019 knapp 194.000 künstliche Kniegelenke implantiert. Die allermeisten Patienten (87 Prozent) bekamen eine Totalendoprothesen (Knie-TEP). [2] Dabei handelt es sich um eine fest im Knochen verankerte Prothese aus Metall und Polyethylen, die das gesamte Gelenk ersetzt.

Obwohl das Angebot an Standardknieprothesen breit gefächert ist, gibt es dennoch nicht für jeden Patienten eine optimale Lösung. Knapp 20 Prozent der Patienten sind nach einer Knie-Totalprothese mit dem Ergebnis unzufrieden; bei jüngeren Patienten ist es sogar jeder Dritte. Das Problem: Zwar gibt es die tibialen Komponenten in 10 und die femoralen Komponenten in 16 verschiedenen Größen. Das passende Polyethylen ist in Millimeterschritten in den notwendigen Dicken und Größen erhältlich. Dennoch müssen Orthopäden bei jeder Konfektions-Prothese größere und kleiner Kompromisse eingehen. Letztendes passt sich das Knie der Prothese an – und nicht umgekehrt. Dieser Umstand führt zu einer Reihe von Restproblemen. [3] Gelenke, Implantate und Prothesen aus dem 3D-Drucker, passgenau gefertigt, sollen diesem Dilemma abhelfen – nicht nur in der Knieprothetik. 

LED statt Laser oder Elektronenstrahl

Der an der TU Graz entwickelte 3D-Drucker schmilzt Metallpulver mittels Hochleistungs-LED-Lichtquellen auf und verarbeitet es dann in additiver Fertigung zu Bauteilen.
Der an der TU Graz entwickelte 3D-Drucker schmilzt Metallpulver mittels Hochleistungs-LED-Lichtquellen auf und verarbeitet es dann in additiver Fertigung zu Bauteilen.
© TU Graz

Derzeit funktioniert der 3D-Metalldruck vorrangig nach dem Selektiven Laserschmelzen (kurz: SLM). Dabei wird mithilfe eines Lasers eines beweglichen Lasers Metallpulver (Stahl, Aluminium, Titan, Kobaltchrom-Legierungen) schichtweise selektiv aufgeschmolzen und verfestigt damit den Querschnitt des Bauteils. Um eine Oxidation des Pulvers zu verhindern, ist die Prozesskammer mit Inertgas gefüllt. Zu den großen Vorzügen des SLM-Verfahrens gehört, dass filigrane Formen ebenso leicht umsetzbar sind wie komplexe Strukturen und Geometrien. Ein ähnliches Verfahren stellt das Elektronenschmelzen (EBM) dar, bei dem pulverförmige Metalle unter Vakuum mittels Elektronenstrahl verschmolzen werden. So entstehen zum Beispiel Titanimplantate mit definierter Mikrostruktur. 

Ein noch sehr junges Verfahren ist der LED-3D-Metalldruck (SLEDM = Selective LED based Melting). Anders als beim SLM- oder EBM-Verfahren wird mit einem Hochleistungs-LED-Strahl aufgeschmolzen. Mithilfe des SLEDM-Verfahrens sollen unter anderem bioresorbierbare Metall-Implantate produziert werden – also vorzugsweise Schrauben, die aus Magnesium-Legierungen bestehen und bei Knochenbrüchen eingesetzt werden. Diese Implantate lösen sich im Körper auf, nachdem die Bruchstelle zusammengewachsen ist. Eine zweite, den Menschen oft stark belastende Operation entfällt dadurch. Die Produktion solcher Implantate wäre dank SLEDM direkt im OP-Saal möglich. Denn »ein LED-Licht ist für den OP-Betrieb naturgemäß weniger gefährlich als eine leistungsstarke Laserquelle«, erklärt Franz Haas von der Technischen Universität Graz, wo seit Oktober 2019 Demonstrator des SLEDM-Verfahrens steht.

Hüftgelenk aus dem 3D-Drucker

Hüftprothese aus dem 3D-Drucker: Mit modernster Lasertechnik lassen sich passgenaue Prothesen erzeugen.
Hüftprothese aus dem 3D-Drucker: Mit modernster Lasertechnik lassen sich passgenaue Prothesen erzeugen.
© Materialise

Doch für wen kommen 3D-gedruckte Implantate aus Metall in Frage? Zum Beispiel Menschen, deren Knochen schwer defekt sind. Herkömmliche Kunstgelenke können dann in manchen Fällen nicht mehr verankert werden. Zu schweren Knochendefekten kann es zum Beispiel anlagebedingt, durch einen Unfall, Tumor oder infolge mehrfacher endoprothetischer Eingriffe kommen.

Für diese Patienten ist die Individualprothese aus dem 3D-Drucker eine neue Chance auf ein Kunstgelenk und somit auch auf Mobilität. Das zertifizierte Endo-Prothetik-Zentrum im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern implantiert solche maßgeschneiderten Prothesen für die Hüfte. In Zusammenarbeit mit einer belgischen Firma, die über eine Spezialsoftware sowie über 3D-Fertigungswerke verfügt, werden die High-Tech-Hüften produziert. [4] Die 3D-gedruckten Implantate aus Titan sind genau an die Anatomie der Patienten angepasst, sodass sie sicher sitzen und die Gefahr einer Dislokation (Verschiebung beziehungsweise Lageveränderung von Organen oder Organteilen aus ihrer anatomisch korrekten Position) oder Einklemmung sehr gering ist. [5]

Schädelimplantate nach Maß

Die Porosität des Schädelimplantats beträgt 95%, sodass Flüssigkeiten mit wenig Widerstand abfließen können und das Knochengewebe optimal mit den Außenrändern verwächst.
Die Porosität des Schädelimplantats beträgt 95%, sodass Flüssigkeiten mit wenig Widerstand abfließen können und das Knochengewebe optimal mit den Außenrändern verwächst.
© EOS

Auch Schädelimplantate müssen höchsten Anforderungen genügen – eine Vielzahl von Faktoren fällt dabei ins Gewicht. So auch bei einem Patienten in Argentinien, der nach einer Schlaganfalloperation ein besonders großes Implantat benötigte: Von der möglichst exakten Passform über die Verträglichkeit bis hin zur Integration biologischer Funktionen galt es alle relevanten Faktoren möglichst ideal zu gestalten. Der 3D-Druck-Dienstleister Alphaform setzte für das von Novax DMA entwickelte Schädelimplantat auf die EOS-Technologie.

Neben der Passgenauigkeit gaben die Ärzte weitere Herausforderungen mit auf dem Weg. Dazu zählten, wegen der Größe der Knochenlücke, die biologische Funktionsintegration sowie eine möglichst geringe Wärmeabgabe in das Gehirngewebe. Als Material kam Titan zum Einsatz – trotz seiner Eigenheiten. Der Werkstoff ist zwar sehr verträglich für den Körper, aber als Metall besteht bei starker Sonnenexposition die Gefahr, dass zu viel Wärme ins Körperinnere gelangt. Zudem ist eine Titanstruktur zunächst einmal nicht durchlässig für Gewebeflüssigkeit aus dem Gehirn.

Auch spezielle Folgeprozesse nach der eigentlichen Herstellung hatten die Mediziner ins Lastenheft für das Implantat diktiert. Denn erst die perfekte Nachbehandlung – und hier insbesondere die Reinigung – ermöglicht den Einsatz im medizinischen Bereich. Sie ist so wichtig, weil anhaftende Partikel sich durch kleinste Bewegungen vom Körper lösen und in der Folge Infektionen oder Abstoßungsprozesse auslösen könnten. Zudem ist die absolute Keimfreiheit ein zentrales Kriterium für eine erfolgreiche Aufnahme des Implantats durch den Körper.

3D-Drucker – Implantate auf Knopfdruck

Nachdem die Experten alle Aspekte zusammengetragen und bewertet hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass nur eine poröse Struktur die erforderlichen Eigenschaften erfüllt. Ein gitterförmiges Implantat mit integrierten Anschraublaschen hin zum Schädelknochen ist in der Lage, sowohl Flüssigkeiten durchzulassen als auch mit dem Schädel gut zu verwachsen. Darüber hinaus hat ein solches Design eine isolierende Wirkung, sodass die Wärmeableitung ins Schädelinnere minimiert wird. Die Dimensionen: Die Poren selbst sind etwa 1 mm groß, die Stegbreite beträgt etwa 0,2 mm. Nachdem die grundlegende Struktur gewählt war, gingen die Medizintechnikspezialisten in die Umsetzung über.

Das additive gefertigte Implantat erfüllt die notwendigen Voraussetzungen, um dauerhaft die Schädeldecke des Patienten zu stabilisieren und zu schützen. Die Porosität erreicht 95 Prozent, sodass Flüssigkeiten mit möglichst wenig Widerstand abfließen können; zudem kann das Knochengewebe optimal in die Außenränder des Implantats eindringen und mit ihm verwachsen. Gleichzeitig ist das Material stabil genug, um dem Patienten die erwünschte Normalisierung seines Lebens zu ermöglichen. Die als Regelgitter gefertigte Struktur erreicht darüber hinaus die erwünschten Wärmeleitfähigkeiten – damit sind für den Patienten auch Aufenthalte in der Sonne kein Problem.

Daniel Fiz, CEO von Novax DMA, erinnert sich: »Zeit spielt in diesem Umfeld eine wichtige Rolle. Immerhin sollen Patienten ihr Implantat möglichst schnell erhalten. Nachdem wir die Informationen über die Dimensionierung erhalten hatten, begannen wir daher unmittelbar mit den Konstruktionsarbeiten.« Das fertige Implantat war nach drei Wochen im Operationssaal. Den größten Block beanspruchte dabei der Transport mit etwa einer Woche. Datenaufbereitung und Bauzeit waren in etwa zweieinhalb Tagen erledigt, die restliche Zeit entfiel auf unterschiedliche Abläufe im Bereich der Logistik und Abstimmung.[6]

Fazit & Ausblick

Der 3D-Metalldruck eröffnet neue Möglichkeiten und verändert dadurch die Behandlung von Prothesenpatienten. Sie erhalten ihr »Ersatzteil« nicht nur deutlich schneller, sondern es ist auch zu 100 Prozent auf ihren Körper und ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Im Idealfall erhalten sie es direkt am Point-of-Care. Doch das Material hat seine Grenzen. In Situationen, in denen beispielsweise sehr große Teile des Knochens entfernt werden müssen oder verloren gegangen sind, reicht es häufig nicht aus, ausschließlich Gerüste oder Netze aus Metall zu verwenden. Dann werden Keramiken als Füllmaterial verwendet. Hinzu kommt, dass sich Kunststoffe zunehmend als Materialien bei Rekonstruktionen von Knochendefekten, zum Beispiel im Schädelbereich, etablieren.

Quellen

[1] Sportklinik Stuttgart: Ein Knie aus dem 3D-Drucker (10. Februar 2018), https://www.sportklinik-stuttgart.de/news/ein-knie-aus-dem-3d-drucker (Stand: 14. Januar 2022)

[2] Endoprothesenregister Deutschland: Mit Sicherheit, mehr Qualität (Jahresbericht 2019), https://www.eprd.de/fileadmin/user_upload/Jahresbericht_2019_doppelseite_2.0.pdf (Stand: 14. Januar 2022)

[3] Arnold, Markus P.; Ryhcen Thomas. Knieprothetik nach Mass aus dem 3D-Drucker. In: Swiss Medical Forum. EMH Media, 2016. S. 702-706.

[4] Gesund in OOE: Pionierleistung – künstliches Hüftgelenk aus dem 3D-Drucker (23. Mai 2018), https://www.gesund-in-ooe.at/de/gesund-in-ooe/aerzteblog/aerzteblog/pionierleistung-kuenstliches-hueftgelenk-aus-dem-3d-drucker.html (Stand: 14. Januar 2022)

[5] Materialise: Patientin kann wieder gehen - dank eines patientenspezifischen Hüftimplantats aus dem 3D-Drucker (27. August 2017), https://www.materialise.com/de/blog/patientin-kann-wieder-gehen-dank-eines-patientenspezifischen-hueftimplantats-aus-dem-3d (Stand: 14. Januar 2022)

[6] EOS: Innovation Story – Additiv gefertigtes Schädelimplantat (o.J.), https://www.eos.info/de/3d-druck-beispiele-anwendung/beispiele-additive-fertigung/3d-druck-titan-schaedelimplantat-additive-fertigung (Stand: 14. Januar 2022)

[7] Innovation Origins: Mit dem LED-3D-Metalldruck könnten medizinische Implantate bald im Operationssaal gedruckt werden (16. Dezember 2019), https://innovationorigins.com/de/mit-dem-led-3d-metalldruck-koennten-medizinische-implantate-bald-im-operationssaal-gedruckt-werden/ (Stand: 14. Januar 2022)
 


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