Medizin 4.0/IoT

Reinraumfertigung im IoMT

21. September 2020, 11:08 Uhr | Robert Souza (Plexus)
Höhere Automatisierung: Dadurch wächst auch das Aufgabengebiet von Roboter-System im Reinraum.
© Plexus

Produkte und Geräte müssen sich den Gegebenheiten im Internet of Medical Things anpassen

Die Anzahl der vernetzten Geräte steigt kontinuierlich. Gleichzeitig werden mehr und mehr Systeme und Software für die flächendeckende Erfassung von Daten implementiert und neue IoT-Services rund um Healthcare und Life Sciences ins Portfolio aufgenommen. Bis 2022 soll der weltweite Markt des Internet of Medical Things (IoMT) auf 158 Mrd. US-Dollar wachsen. Den Löwenanteil machen dabei medizintechnische Geräte mit 52 Milliarden US-Dollar aus. 

Fest steht: Die Komplexität medizinscher Produkte nimmt im IoMT zu. Viele Hersteller sind gezwungen Neuland zu betreten, wenn es darum geht den Elektronik- und Software-Anteil von Geräten zu managen und Konnektivität sicherzustellen. Eine Handvoll Prototypen lässt sich mit bestehenden Entwicklungs- und Produktionsprozessen noch realisieren. Gilt es jedoch, ein komplexes, innovatives und vernetztes Produkt in die Fertigung zu überführen, liegt die Messlatte deutlich höher. Die Qualitätsanforderungen auf Kundenseite steigen kontinuierlich und auch das regulatorische Umfeld hat sich spürbar verschärft. 

EMS-Dienstleister kann helfen

Die wohl größte Herausforderung für Hersteller ist es, ihr angestrebtes Kostenziel zu erreichen, um bei Einführung des Produkts eine breite Marktakzeptanz sicherzustellen. Viele setzen hier auf höhere Automatisierung, um Prozesse effizienter zu machen und Kosten zu reduzieren. Dazu zählen Robotersysteme für den Transport, die Montage oder die Verpackung, aber auch intelligente Prüf- und Inspektionssysteme zur Qualitätsprüfung. 

Die Implementierung solcher Prozesse in der Fertigung kostet Zeit und Geld. Zumal verfügen nicht alle Hersteller über das nötige – manchmal branchenferne – Know-how, um eine gänzlich neue Produktidee in ein Design zu überführen, zu fertigen und in den Markt einzuführen. Nicht ohne Grund geben knapp 80% der Unternehmen die Realisierung von Produkten in die Hände eines EMS-Partners. Dabei bleibt es meist nicht bei der Fertigung allein. Immer öfter wird der Full Value Stream-Partner über die gesamte Wertschöpfungskette miteinbezogen, angefangen beim Design und der Entwicklung eines Produkts über die Lieferkette bis hin zu Dienstleistungen auf dem Anschlussmarkt (Aftermarket). Gemeinsam mit einem Partner kann es gelingen, die Markteinführungszeit zu verkürzen ohne Qualitätsanforderungen zu gefährden oder Kostenziele zu überschreiten. 

Praxisbeispiel Reinraumfertigung

Ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit mit einem EMS-Partner ist die Reinraumfertigung. Fertigungskapazitäten, um Produkte frei von Kontamination in einer kontrollierten Umgebung herzustellen, sind für Medizinproduktehersteller und OEMs zentral. Das gilt insbesondere bei medizinischen Geräten der Klasse 2 und 3. 

Die Umsetzung der strengen Richtlinien hinsichtlich Hygiene und Arbeitstauglichkeit im Reinraum erfordert neben hohen Investitionen in die Fertigungsanlagen auch eine besondere Schulung und Qualifikation der Mitarbeiter sowie regelmäßige Kontrolle und Wartung. Dazu gehört die Reinraumtechnik (zum Beispiel HEPA-Filter), um Parameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Druck konstant zu halten, sowie Reinraumbekleidung (zum Beispiel Schuhüberzüge und Haarnetz), um eine biologische Kontamination durch Mikropartikel zu verhindern. Darüber hinaus müssen Reinigungsverfahren in den Fertigungsstätten regelmäßig geändert werden, um das Risiko von Bio-Belastung zu minimieren. 

Zuverlässige Inspektionsprozesse 

Selbst wenn im Reinraum alle Anforderungen für eine lupenreine Fertigung erfüllt sind, bleibt das Risiko von Kontaminationen durch eingehende Komponenten, die zur Weiterverarbeitung in den Reinraum gebracht werden. Wer mit verunreinigten Komponenten arbeitet, erhält trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein verunreinigtes Endprodukt. Die Überprüfung der Supply Chain über zuverlässige Inspektionsprozesse zählt damit zu den Grundvoraussetzungen für Hersteller. 

Auch beim Ultraschall- oder Laserschweißen sowie der sterilen Verpackung kann es zu Fehlern kommen. Zudem gilt: Je mehr Personen am Montageprozess beteiligt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von Kontamination. Findet die Qualitätskontrolle nur ein einzelnes Haar in den bereits steril verpackten Geräten, kann das zum Rückruf ganzer Produktchargen führen und immense Kosten zur Folge haben. 

Zunehmende Automatisierung im Reinraum

In der Reinraumfertigung ist der Automatisierungsrad daher seit jeher sehr hoch. Roboter übernehmen wichtige Arbeitsschritte, von der Montage der einzelnen Komponenten über die Prüfung und Inspektion des Endgeräts bis hin zur sterilen Verpackung. Dabei garantieren sie nicht nur ein hohes Maß an Sauberkeit, sondern auch höhere Zuverlässigkeit und Platzierungsgenauigkeit bei komplexen medizinischen Präzisionsgeräten. Einzelne Komponenten werden anhand spezieller Nuten, Einkerbungen oder Markierungen identifiziert, positioniert und zusammengeführt. Prozesse wie Laserschweißen, Löten, Kleben und UV-Lithographie lassen sich so vollautomatisieren, um unterschiedliche Einzelteile im Reinraum zu komplexen Systemen zusammenbauen. Nach der Montage führen Roboter selbstständig Hochspannungsprüfung, Kontinuitätstests, Durchflussprüfungen und andere Funktionstests, um die Qualität der Produkte zu prüfen bevor es an die Verpackung geht. 

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning-Technologien wird sich das Aufgabengebiet der Roboter-Systeme in Zukunft noch vergrößern. Ausgestattet mit Sensoren sind die Maschinen von Morgen dann beispielsweise in der Lage, Datenströme selbständig zu analysieren, Störungen frühzeitig zu erkennen und Kontaminationen zu vermeiden. 

Einen Standardprozess für die Reinraumfertigung wird es jedoch trotz aller Automation nicht geben. Die technischen und regulatorischen Anforderungen hängen zu stark von den jeweiligen Produkten und den damit verbundenen Vorgaben ab. Dasselbe gilt für den Automatisierungsgrad: Die Montage eines Produkts im Reinraum kann mit 20 Personen manuell sehr aufwändig sein oder komplett automatisiert ablaufen, wobei Mitarbeiter lediglich zur Überwachung bereitstehen. Meist ist es eine Kombination aus beiden.  

Anmerkung: Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in der medical design 3/2020 (S. 23 – 25). Hier geht’s kostenfreien zum ePaper.


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