KI in der Kardiologie

Smarte Algorithmen für ein gesundes Herz

14. Mai 2021, 8:30 Uhr | Melanie Ehrhardt
Die digitale Kardiologie steht in den Startlöchern.
© AdobeStock/greenbutterfly

Einsatz von KI in der kardiologischen Diagnostik, Therapie und Prävention

Herzerkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland. Zwar hat die Zahl der stationär aufgenommen Herzpatienten in den vergangenen Jahren abgenommen, zum Beispiel zwischen 2016 und 2018 um 1,9 Prozent. Das ist nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) jedoch kein Grund zur Entwarnung. »Dass wir 2018 weniger Herzpatientinnen und -patienten in den Kliniken behandelt haben, bedeutet nicht, dass es in Deutschland damit weniger am Herzen erkrankte Personen gibt«, sagt DGK-Präsident Prof. Dr. Andreas Zeiher. Aufgrund einer besseren Vernetzung in der Versorgung und bei den ambulanten Diagnosemöglichkeiten müssten schlichtweg weniger Herzkranke stationär aufgenommen werden.

Das Versorgungsniveau beziehungsweise die Anzahl an Patienten und Patientinnen in der Kardiologie ist insgesamt weiterhin hoch. Und noch etwas wird im DGK-Herzbericht deutlich. Zum einen haben Männer ein erhöhtes Risiko, eine Erkrankung des Herzens zu erleiden. Und zum anderen betreffen vor allem Herzrhythmusstörungen immer häufiger auch junge Menschen. Ab dem 45. Lebensjahr ist nach DGK-Angaben ein deutlicher Anstieg der Erkrankungshäufigkeit, vor allem bei Vorhofflimmern erkennbar. Es gibt aber auch gute Nachrichten: »Wir können Herzerkrankungen vor allem dann gut und wirkungsvoll behandeln, wenn wir sie frühzeitig entdecken«, so Zeiher. Und dabei kommen immer häufiger Methoden aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz.

Künstliche Intelligenz, Maschine Learning und Deep Learning

Die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft macht auch vor der Medizin nicht halt und bietet uns umfassende Möglichkeiten, unseren Körper im Detail zu vermessen und zu überwachen. Längst passiert das nicht mehr nur im Krankenhaus, sondern nahezu überall und jederzeit – zum Beispiel mithilfe von Smartwatches mit EKG-Aufzeichnungsfunktion oder Smartphones mit entsprechenden Dokumentationsmöglichkeiten von Lebensstil sowie Krankheitsverlauf. Dadurch steigt auch der Umfang der für Diagnose und Therapie relevanten Daten. Es ist die Aufgabe der Medizin, diese Steigerung an Qualität und Effizienz nutzbar zu machen. 

Die Künstliche Intelligenz stellt Werkzeuge, um die Versprechen von Big Data auch in der medizinischen Versorgung einzulösen. KI ist in erster Linie der Überbegriff für Anwendungen, bei denen Maschinen (Computer) Ausgaben ausführen, welche unter Umständen menschliche Intelligenz erfordern, zum Beispiel Zusammenhänge erkennen oder Lernen. Die am häufigsten eingesetzte KI-Form ist aktuell das sogenannte Maschine Learning (ML). Das Ziel: Mithilfe von Algorithmen sollen Zusammenhänge in großen Datenmengen (Big Data) aufgedeckt werden. 

Deep Learning (DL), als ML-Teilbereich, geht noch einen Schritt weiter. Dabei handelt es sich um die Verarbeitung von Inputs auf mehreren Ebenen künstlicher neuronaler Netze. Deep Learning geht deutlich tiefer in die Daten und Trends hinein, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Grundlage dafür bildet meist ein Trainingsdatensatz, aus dem Schritt für Schritt Schlüsse gezogen werden können.

Sowohl Maschine als auch Deep Learning können entweder überwacht oder nichtüberwacht erfolgen. Beim überwachten Lernen werden große Mengen an Trainingsdaten, zum Beispiel EKGs, durch Experten (Menschen) klassifiziert, um einen Algorithmus zu programmieren. Dagegen nutzt das nichtüberwachte Lernen nur die rohen Daten und versucht, aufgrund statischer Analysen eine passende Klassifikation oder Muster zu erkennen. Erst danach bewerten medizinische Experten deren medizinische Relevanz. 

Aktuelle Beispiel für KI in der Kardiologie

KI verbessert Herz-CT

KI-Werkzeuge lassen sich in allen Phasen der kardiologischen Versorgung einsetzen. Die Charité Berlin beispielsweise nutzt Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen, um klinische Informationen sowie Bilddaten zu analysieren, bekannte Muster zu erkennen, zu interpretieren und in den Bereichen Prävention, Diagnostik sowie Therapieplanung einzusetzen. 

Ein bekanntes Problem aus der kardiologischen Diagnostik stellt auch die Berliner Radiologen vor Herausforderung. Denn auch wenn ein Herz-CT innerhalb weniger Sekunden durchgeführt wird, kann es bis zu 30 Minuten dauern, bis ein (erfahrener) Radiologe die Untersuchung analysiert hat. Die Hoffnung: Mithilfe von KI das Verfahren beschleunigen und optimieren. »Bionic Radiologist« heißt das Konzept, mit dem Ärzte einerseits besser entscheiden, welche Art von bildgebender Untersuchung der jeweilige Patient benötigt. Andererseits könne eine automatisierte Analyse von radiologischen Bildern eine größere Konsistenz zu jeder Tageszeit und in jedem Krankenhaus erzielen. »Und drittens können Therapieempfehlungen eng mit den Ergebnissen der Untersuchungen verknüpft werden, um Therapieoptionen maximal auszunutzen und Chancen nicht zu übersehen«, sagt Prof. Dr. med. Marc Dewey, Leiter des Instituts für Radiologie an der Charité.

Erste Schritte in die Richtung sind bereits gesetzt. »Wir haben eine Vorhersage entwickelt, für das Risiko an einer koronaren Herzkrankheit zu leiden«, so Dewey. Das gelang in einem internationalen Konsortium aus weltweit über 70 Zentren in mehr als 20 Ländern unter Leitung der Charité. Hintergrund: Weltweit stellen sich täglich etwa 50 Millionen Menschen mit Brustschmerzen bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt vor. Die Einschätzung des individuellen Risikos war bisher ungenau und führt oft zu Komplikationen bei den Behandlungen. Dank gut validierter Patienten- und Bilddaten konnte das Team jetzt diese Risikoeinschätzung verbessern. »Die Daten werden nun genutzt, um diese Vorhersage digital breit verfügbar zu machen und mit der automatischen Analyse von CT-Bilddaten des Herzens zu verknüpfen«, so Dewey. In einem nächsten Schritt sollen diese Erkenntnisse in der »Cardiac Risk App« zusammengefasst und behandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt werden. 

KI erkennt Herzinfarkte zuverlässiger als Kardiologen

Aber nicht nur in der bildgebenden Diagnostik lässt sich Künstliche Intelligenz einsetzen, sondern auch bei der EKG-Untersuchungen beziehungsweise bei der Interpretation der aufgenommenen EKG-Daten. Medizinstudenten oder junge Ärzte erwerben Fertigkeiten in der EKG-Interpretation zunächst in Vorlesungen und durch Lehrbücher. Später erlernen sie die Interpretation realer EKGs ihrer Patienten während des klinischen Alltags und sammeln eigene Erfahrungen. Nach diesem »Training« können sie EKGs selbstständig beurteilen. Bei der Diagnose können sie ihre Erfahrungen, basierend auf verschiedene Faktoren, einbringen. Was während dieser Prozesse in den Gehirnen der Studenten beziehungsweise Ärzte geschieht, kann nicht eindeutig definiert werden. Allerdings kann die Arbeit durch eine KI ähnlich und vereinfacht durchgeführt werden. Die Beurteilungen der EKGs sind sowohl bei Ärzten als auch bei der KI noch nicht zu 100 % korrekt. In beiden Fällen entwickelt sich die Beurteilungsfähigkeit aufgrund wachsender Erfahrungen.

In der Studie am Universitätsklinikum Düsseldorf wurde als Objekt und Lehrsatz eine KI wie folgt fokussiert: »Ist das ein EKG eines Patienten, der in den letzten 3 Monaten einen Myokardinfarkt (= Herzinfarkt) erlitten hat?«. Die Grundlage für dieses Programm war ein »Deep Learning«, das Informationen nach Mustern des Nervennetzwerks im menschlichen Gehirn bearbeiten kann. Dadurch wurde die KI mittels EKGs mit der jeweiligen Anmerkung »Ja« oder »Nein« trainiert. Anschließend wurde sie mit unabhängigen EKG-Datensätzen getestet. Zeitgleich haben auch unsere neun Kardiologen auf dieselbe Frage, »Ist das ein EKG eines Patienten, der in den letzten 3 Monaten einen MI erlitten hat?«, geantwortet. Zur Überraschung des Teams war das Resultat bei der KI besser als bei den Kardiologen.

Früherkennung von Vorhofflimmern mit KI

EKG-Daten standen auch im Rahmen einer Studie des US-Forschers Dr. Christopher M. Haggerty am Geisinger Medical Center in Danville im US-Bundesstaat Kalifornien im Fokus. Haggerty und sein Team gingen der Frage nach, ob KI dabei helfen kann, schon bei Personen mit normalem Sinusrhythmus für den Arzt nicht erkennbare Auffälligkeiten im EKG zu entdecken, die eine akkurate Voraussage von künftigem Vorhofflimmern ermöglichen. 

Um diese Frage zu beantwortet nutzte die Gruppe um Haggerty digitalisierte 12-Kanal-EKG-Streifen von 430.909 Patienten ohne bekanntes Vorhofflimmern in der Vorgeschichte. Die EKG-Aufzeichnungen waren zwischen 1984 und 2019 erfolgt. Anhand von 382.604 EKGs (Trainingsdatensatz) aus der Zeit vor 2010 wurde das DNN-Modell (DNN = Deep Neural Networks) zunächst darauf trainiert, innerhalb von einem Jahr nach EKG-Aufzeichnung neu aufgetretenes Vorhofflimmern vorauszusagen. Ergebnis: Das Modell war in der Lage, innerhalb des ersten Jahres nach dem EKG neu aufgetretenes Vorhofflimmern vorauszusagen. 

Was erkennt der Algorithmus in den EKG-Daten?

Die Gruppe um Haggerty räumt allerdings ein, dass ihr Ansatz ein »Black-Box-Modell« sei:  Welche spezifischen Signale, Muster oder Merkmale das DNN-Modell in den EKG-Datensätzen erkennt und zur Basis seiner Risikoprädiktion macht, bleibt im Dunkeln. Es liefert somit ein Ergebnis, von dem man nicht weiß, wie es zustande gekommen ist.

Vorhofflimmern geht häufig mit strukturellen Veränderungen der Vorhöfe einher. Es sei deshalb möglich, dass das DNN-Modell strukturelle Manifestationen der atrialen Myopathie im EKG registriere und für die Risikoprädiktion nutze, spekulieren die Studienautoren.

Quellen

[1] B. Zippel-Schultz (u.a.): Künstliche Intelligenz in der Kardiologie. Springer Medizin Verlag GmbH. Heidelberg 202,  https://www.dsck.de/fileadmin/Media/Downloads/2021_Zippel-Schultz_Article_Ku%CC%88nstliche_Intelligenz_in_der_Kardiologie.pdf (Stand: 10. Mai 2021)

[2] KI Berlin: An der Berliner Charité wird daran gearbeitet, mit Künstlicher Intelligenz Diagnose und Behandlung der Volkskrankheit zu verbessern (13. August 2019),  https://ki-berlin.de/blog/article/berliner-charite-digitale-loesungen-fuer-herzpatienten (Stand: 10. Mai 2021)
 


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