Akustikdesign in der Medizintechnik

So feilen Hersteller am richtigen Geräteklang

22. November 2019, 9:33 Uhr | Alexander Ehinger, Elina Moser
Akustikdesign und die akustische Optimierung kennt man vor allem aus dem Automobilbereich, aber auch in der Medizin spielen die dort eingesetzten Methoden eine wichtige Rolle.
© M Plan

Fachbeitrag | Von Erfahrungen und Methoden aus der Automobilentwicklung kann auch die Entwicklung medizintechnischer Geräte profitieren. Für die Optimierung von Betriebsgeräuschen und gezieltes Sounddesign gibt es im medizinischen Bereich viele Anwendungsfälle – und gute Gründe.

In der Automobilentwicklung spielen Akustikdesign und akustische Optimierung von Bauteilen eine wesentliche Rolle. Der Klang, mit dem eine Tür ins Schloss fällt, elektrische Fensterheber arbeiten oder die Lüfter der Klimaanlage laufen, gilt als wichtiges Merkmal der Kundenerfahrung und Qualitätsanmutung eines Fahrzeugs. Gerade im Automotive-Premiumsegment spielt die akustische Differenzierung von Fahrzeugen verschiedener Marken eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund arbeiten Autohersteller in diesem Bereich mit Mobility-Engineering-Dienstleister wie M Plan zusammen. Bei dem Unternehmen mit Hauptsitz in Köln arbeiten erfahrene Teams aus Ingenieuren, Technikern und Designern.  Die als Teil dieses Teams tätigen Mess-Ingenieure arbeiten in nach DIN 3745  zertifizierten Akustikräumen.

Die damit verbundenen Erfahrungen und Kompetenzen solcher Dienstleister halten nun auch immer mehr Einzug in die Medizintechnik und begründen hier ein vergleichsweise junges Anwendungsfeld. Beispielsweise lassen sich durch die Verfahren Betriebslautstärken verringern oder für das menschliche Ohr angenehmere Laufgeräusche von Dialyse- oder Beatmungsgeräten erzeugen. Das hat einen direkten und positiven Einfluss auf das Befinden und somit den Heilungsprozess von Patienten. Tatsächlich verbessert die Reduktion der Lautstärke oder die bewusste Gestaltung von Betriebsgeräuschen und akustischen Rückmeldungen die Nachtruhe von stationären Patienten, reduziert Stress und fördert die Genesung.

Betriebsgeräusche beeinflussen Sprachverständlichkeit

Doch die Motivation, im medizinischen Gerätebau akustische Optimierungen vorzunehmen, geht noch weiter. Ob im Krankenzimmer, im Untersuchungsraum oder im Operationssaal: Akustisch optimierte medizinische Geräte reduzieren akustische Störquellen und verbessern dadurch die Kommunikation zwischen Arzt und Patient oder zwischen Ärzten beziehungsweise Klinikpersonal. So belegt eine Studie  des Instituts für Hörtechnik und Audiologie an der Jade Hochschule, Oldenburg, dass Störgeräusche das Sprachverstehen von Probanden mit normalem Hörvermögen erheblich beeinflussen. Die relevante Größe ist dabei der Signal-Rausch-Abstand (Signal-Noise-Ratio, SNR). Die Untersuchung zeigt, dass bei einem SNR von -12 dB das Sprachverstehen bereits auf 50 Prozent absinkt. Mögliche Missverständnisse und daraus resultierende Fehler können die Konsequenz auch im medizinischen Alltag sein. Und selbst wenn diese schlimmste Folge nicht eintritt, trägt die erhöhte Anstrengung für korrektes Verstehen in akustisch belasteten Umgebungen zu erhöhtem und unnötigem Stress des Personals bei. Das Ziel einer akustischen Optimierung sollte es daher sein, Störgeräusche – insbesondere im für die Verständigung wichtigen Sprachfrequenzband von etwa 1 Kilohertz bis 4 Kilohertz – zu reduzieren.

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Bild 1. Vergleich der Lüfter-Spektrogramme ohne Optimierung (links) und im optimierten Zustand. (© M Plan)

 

Axiallüfter: Produktoptimierung mit Simulation, Berechnung und Versuchen

Einen Einblick in das Vorgehen bei solchen Aufgabenstellungen geben konkrete Projekte, die M Plan in ihrer Niederlassung in Weissach-Flacht bei Stuttgart mit eigenen Akustikprüfständen und Messeinrichtungen für Auftraggeber aus der Medizintechnik realisiert, wie zuletzt die Betriebsgeräusche des zur Kühlung eines medizintechnischen Geräts eingesetzten Axiallüfters. Am Anfang stand die Erfassung und Dokumentation des Serienzustands, für den die Messungen in einem nach DIN 3745 zertifizierten Freifeldraum erfolgten. Erfasst wurde dabei der Schalldruckpegel des Lüftergeräuschs über den für das menschliche Ohr hörbaren Frequenzbereich von 20 Hertz bis 20 Kilohertz. Bild 1 zeigt das Spektrogramm der im Serienzustand des Geräts ermittelten Geräusche sowie die Veränderung nach akustischer Optimierung. Der im Serienzustand über das gesamte hörbare Frequenzband (20 Hertz bis 20 Kilohertz) verteilte Schalldruckpegel betrug im Mittel 55,8 dB(A). Eine psychoakustische Bewertung dieses Messergebnisses liefert einen in der ANSI-Norm S3.5  definierten Artikulationsindex. Im vorliegenden Fall sinkt dieser Index auf 85,3 Prozent (Tabelle 1) – fast 15 Prozent der relevanten Sprachinformation bleiben unverständlich.

Das Resultat dieses Falls belegt den klaren Nutzen solcher Maßnahmen: Der Schalldruckpegel im Frequenzbereich von 20 Hertz bis 20 Kilohertz ließ sich auf 44,8 dB(A) absenken. Das in Bild 1 rechts abgebildete Spektrogramm zeigt, wie sich Schwingungen insbesondere in dem Teil des Frequenzspektrums, der für die Sprachverständlichkeit relevant ist (etwa 1 bis 4 Kilohertz) reduzieren lassen. Der Artikulationsindex gemäß ANSI S3.5 ließ sich so auf einen Spitzenwert von 98,9 Prozent verbessern (Tabelle 1).

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Tabelle 1.  Der Artikulationsindex des Lüfters sinkt dank akustischer Optimierung auf 85,3 Prozent. (© M Plan)

 

Viele Begleitmaßnahmen zur akustischen Verbesserung

Typischerweise steht eine solche Optimierung wie die des Axiallüfters nicht allein. Akustikingenieure flankieren sie mit weiteren Maßnahmen wie der akustischen Entkopplung von Gehäuseteilen. Ein nicht unerheblicher Teil des von einem Gerät emittierten Betriebsgeräuschs entsteht dadurch, dass der eigentliche Verursacher (im Beispiel: der Lüfter) Schwingungen auf andere Elemente des Geräts überträgt, insbesondere auf sein Gehäuse. Eine akustische Entkopplung kann durch Gummielemente erfolgen und so die Übertragung störender Schwingungen reduzieren. Bei Gehäusekonstruktionen aus besonders leichten Kunststoffen lohnen sich Maßnahmen, die die akustische Dämpfung des Materials verbessern. Dies lässt sich entweder durch zusätzliche Masse oder eine erhöhte Steifheit erreichen. Letzteres wird zum Beispiel durch die Integration von Rippen oder Stegen erzielt, wobei deren Anordnung arhythmisch konzipiert werden sollte. Denn bei gleichen (»äquidistanten«) Abständen droht Eigenschwingung bei zu den Abständen passenden Wellenlängen.

Wie bereits dargestellt, kann neben der Reduktion von Schalldruckpegeln eine weitere oder auch alternative Zielsetzung darin bestehen, die akustische Qualitätsanmutung eines Gerätes zu verbessern. Auch hier zeigen Erfahrungen aus der Psychoakustik, dass die Vermeidung von Klang bisweilen sogar kontraproduktiv sein kann. So würde bei einer Absaugvorrichtung eine zu starke Reduktion des Betriebsgeräuschs den Anwender eher irritieren – er könnte vermuten, das Gerät würde nicht richtig funktionieren. Stattdessen besteht die Aufgabenstellung in solchen Fällen darin, das Betriebsgeräusch so zu gestalten, dass Anwender und Patienten es als angenehm empfinden beziehungsweise mit dem Höreindruck eine solide Qualität assoziieren. Um den Klang solcher Elemente gefälliger zu gestalten, steht Akustikexperten ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung. Hier gilt es, die spektrale Balance der emittierten Schallwellen auszugleichen, die spektralen Energien also gezielt über das hörbare Frequenzband zu verteilen, zum Beispiel indem man die Magnete des elektrischen Antriebs des Geräts anschrägt.

Fazit & Ausblick

Die Forderungen der DIN/IEC 60601 spielen auch beim gezielten Sounddesign eine entscheidende Rolle. Wie bei vielen anderen elektronischen Geräten zählen auch bei medizintechnischen Systemen Informations- und Warntöne zum Bedienkonzept. Die Unternorm DIN/IEC 60601-1-8 macht für solche Hinweistöne klare Vorgaben. Dennoch besteht die Herausforderung darin, die vorgeschriebenen Tonfolgen und Klänge so zu gestalten, dass sie eine hohe Wertanmutung erzeugen und somit zu einer Alleinstellung entsprechender Medizingeräte beitragen.  Somit ist auch dies ein Bereich, in dem die Entwicklung medizintechnischer Geräte von den Erfahrungen aus der Automobilbranche und anderen Anwendungsbereichen in Zukunft erheblich profitieren kann.

Quellen

[1] DIN EN ISO 3745:2017-10 (D) – Akustik – Bestimmung der Schallleistungs- und Schallenergiepegel von Geräuschquellen aus Schalldruckmessungen – Verfahren der Genauigkeitsklasse 1 für reflexionsarme Räume und Halbräume, Beuth Verlag,  Berlin 2017

[2] A. Winkler, I. Holube: Einfluss von verschiedenen Störgeräuschen auf das Einsilbenverstehen. 21. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie, Halle an der Saale 2018

[3] ANSI/ASA (Hsg.): Methods for Calculation of the Speech Intelligibility Index, Acoustical Society of America, Washington 1997

[4] Dakks: Revidierte Norm 17025: Aktualisierte Umstellungsanleitung (28.08.2018), https://www.dakks.de/content/revidierte-norm-17025-aktualisierte-umstellungsanleitung-ver%C3%B6ffentlicht (Stand 19.08.2019)

 

Autoren: Alexander Ehinger ist Fachteamleiter NVH bei M Plan, Elina Moser ist Trainee Vertrieb bei M Plan

Schlagworte: Akustikdesign, Akustische Optimierung, Medizingeräte

Genannte Firmen: M Plan

 


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