In der Medizin hat jeder sein Päckchen zu tragen. Für Diabetiker galt das lange nicht nur sprichwörtlich. Denn die ersten Insulinpumpen hatten die Größe eines Rucksacks. Moderne Geräte sind deutlich kleiner, leichter und präziser. Die nächste Stufe: die künstliche Bauchspeicheldrüse.
Aktualisiert: 26. Januar 2021, 9:40 Uhr
Schon lange bevor die ersten Insulinpumpen auf dem Markt kamen, gab es Bemühungen um eine Insulinzufuhr, die der von Nichtdiabetikern entspricht. Aber die Geräte waren kaum für den Alltag geeignet. Berühmt ist das Bild von Arnold Kadish aus dem Jahr 1963. Es zeigt den Arzt aus Los Angeles mit einer Insulinpumpe in der Größe eines Rucksacks. Diese führte Insulin und Glukagon intravenös zu.
Die Therapie mit Insulinpumpen, wie wir sie heute kennen, begann Mitte der 1970er Jahre. Forscher in Großbritannien und Frankreich begannen, mit batteriebetriebenen Spritzenpumpen das Insulin kontinuierlich über einen Katheter dem Unterhautfettgewebe zuzuführen. Aufgrund ihrer Größe und Gewichts (bis zu 250 g) ließen die Geräte in Bezug auf den Tragekomfort viele Wünsche offen. 1985 brachte schließlich Disetronic (seit 2003 Ypsomed) die weltweit erste tragbare Insulinpumpe auf den Markt.
Die Insulinpumpentherapie ist vom Prinzip her eine ICT (intensivierte Insulintherapie, das heißt basaler und Bolus-Insulinbedarf wird getrennt betrachtet). »Die Geräte geben 24 Stunden am Tag eine individuell einstellbare Basalrate und nach Bedarf mehrere Bolusgaben ab«, erklärt Julian Stressig, Mediensprecher bei Ypsomed. Die Insulinpumpe imitiert sozusagen die Funktion der Bauchspeicheldrüse, die bei Diabetikern nicht mehr genügend oder gar kein Insulin produziert.
Allerdings wird kein Verzögerungsinsulin verwendet, sondern nur ein kurzwirkendes Insulin beziehungsweise Analoginsulin. Dieses wird zur Basalversorgung in kleinen Dosen mehrmals pro Stunde durch die Insulinpumpe mit einem kleinen Motor ins Unterhautfettgewebe abgegeben. Die erforderliche halb- oder ganzstündige Dosis muss zuvor für 24 Stunden vom Patienten zusammen mit seinem Arzt programmiert werden. »Das Insulin stammt entweder aus der vorgefüllten Insulinpatrone oder aus einem durch den Patienten mit dem Insulin seiner Wahl befüllten Reservoir«, erklärt Stressig.
Die Insulinpumpe kommt der physiologischen Insulinversorgung – also der Insulinversorgung wie bei einem Nicht-Diabetiker – näher als bei ICT mit Insulin-Pen bzw. -Spritze. Weitere Vorteile laut Stressig:
Das klingt, als nähme die Pumpe all die nervige Arbeit ab, die Diabetes mit sich bringt. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn wie viele Broteinheiten die nächste Mahlzeit enthält, muss der Patient nach wie vor wissen. Bei der Frage, für wen Insulinpumpen geeignet sind, zählt Stressig daher auch Zuverlässigkeit und Achtsamkeit auf. »Die Patienten müssen sicher in der Lage sein, die Pumpe allein zu bedienen und das Zubehör (Ampulle, Infusionsset, Batterie) regelmäßig auszutauschen.« Es gibt zudem Situationen, in welchen die Pumpe vorübergehend abgekoppelt werden muss, etwa bei Kontaktsportarten (wegen Verletzungsgefahren) oder in der Sauna (wegen der Hitzeempfindlichkeit der Pumpe und des Insulins).
Laut Stressig kommt es auch vor, dass sich manche Patienten nicht wohlfühlen, wenn sie ständig über einen Infusionsschlauch mit der Insulin-Pumpe verbunden sind. Für diese könnte sich eventuell eine Patch-Pumpe eignen, bei der das Insulinreservoir am Körper klebt. Dabei kann zwar auf Schlauch und Infusionsset verzichtet werden, allerdings kommt bei dieser Pumpenart – anders als bei der Schlauchpumpe – ein separates Steuergerät hinzu.
Mittlerweile werden die meisten Systeme durch eine App ergänzt. Sie zeigen dem Patienten alle relevanten Therapiedaten und helfen ihm so dabei, sein Diabetesmanagement zu optimieren. Mit der dazugehörigen Software können die Daten zudem mit dem zuständigen Arzt geteilt werden. »Auch Eltern eines Kindes mit Diabetes können so die Therapie überwachen«, ergänzt Stressig. Für Patienten, Angehörige und Arzt bedeute dies eine bessere Übersicht über alle relevanten Therapiedaten.
Das ist sicherlich schön und gut; insbesondere da es den Alltag mit Diabetes Typ 1 erleichtert. Es ist aber nicht zwangsläufig das, was sich viele Betroffene wünschen. Sie träumen davon, dass sich ihr Blutzucker wie bei gesunden Menschen automatisch reguliert. Sogenannte Closed-Loop-Systeme, die wie eine Bauchspeicheldrüse funktionieren, sind in Deutschland noch nicht offiziell zugänglich. Die Tüftler unter den Diabetikern wollen das jedoch nicht hinnehmen und basteln sich ihre eigene »künstliche Bauchspeicheldrüse«. Sie bestehen jeweils aus einem kontinuierlichen Glukose-Messsystem, einer Smartphone-App und einer ansteuerbaren Insulinpumpe.
Vorteil für den Patienten: Closed-Loop-Systeme passen die Insulinzufuhr gemäss dem individuellen Bedarf an. Neben aktuellen Glukosewerten berücksichtigt die Software unter anderem Abweichungen zu zuvor gemessenen Werten (sogenannter Glukosetrend), das aktuell im Körper wirkende Insulin, den eingestellten Blutzucker-Zielwert und über Mahlzeiten zugeführte Kohlenhydrate. Allerdings haben geschlossene Systeme laut Stressig auch ihre Grenzen: »Sie können nicht vorausschauend auf individuelle Situationen reagieren, das System weiß zum Beispiel nicht, wann der Patient essen oder Sport treiben möchte.« Er glaubt daher auch nicht, dass es auf ein »entweder … oder« hinauslaufen wird. »Normale Insulinpumpen werden nicht verschwinden aber durch teil-autonome geregelte Systeme ergänzt.«