Formnext 2021 rückt Verarbeitung von Polyetheretherketon in den Fokus
Knapp 606 Aussteller aus 36 Nationen präsentierten auf der Formnext 2021 ihre Lösungen für die Additive Fertigung. Während der Messtage (16. – 19. November 2021) verwandelten die 17.859 Besucher und Besucherinnen das Messegelände in Frankfurt am Main zum internationalen Treffpunkt; fast die Hälfte (48 Prozent) reiste aus dem Ausland an.
Die Aussteller sowie das umfangreiche Rahmenprogramm zeigten die vielfältigen Möglichkeiten des industriellen 3D Drucks für zahlreiche Anwenderbranchen – darunter auch die Medizintechnik. So präsentierte beispielsweise Arburg erstmals einen Hochtemperatur-Freeformer (Bild 1), der medizinisch zugelassenes Polyetheretherketon (PEEK) »Vestakeep i2 G« des Partners Evonik zu Schädelknochen-Implantaten verarbeitet (Bild 2). Das für dauerhaft implantierbare Medizinprodukte zugelassene Originalmaterial erweitert das Materialspektrum für das Arburg-Kunststoff-Freiformen (AKF) um einen wichtigen Werkstoff.
Mussten Patienten und Patientinnen sonst bis zu zwei Wochen auf das Implantat warten, kann es ihnen nun nach bereits vier Stunden eingesetzt werden. Möglich macht das der Freeformer 300-3X, der speziell für die Verarbeitung von Hochtemperatur-Kunststoffen ausgelegt ist. Der Bauraum lässt sich auf 200 °C beheizen, die Düsentemperatur erreicht sogar Werte zwischen 400 – 450 °C. Das Temperaturmanagement sorgt für die erforderliche Kühlung des Systems, insbesondere der Achsantriebe, die den Bauteilträger hochpräzise auf 0,022 Millimeter genau in x-, y- und z-Richtung positionieren.
Während Arburg noch Neuling in Sachen 3D-Druck mit PEEK ist, gehört das Team von Kumovis schon fast zu den alten Hasen – obwohl das Unternehmen noch sehr jung ist. Das 2017 gegründete Start-up hatte von Anfang an die Vision, einen 3D-Drucker speziell für die Medizintechnik zu entwickeln. Die Idee ging auf, knapp 20 Kunden und Kundinnen vertrauen heute auf die Expertise der Münchner.
Der 3D-Drucker des Unternehmens, der Kumovis R1 (Bild 3), hat etwa die Dimensionen eines großen Kühlschranks und kann bis zu 250 °C an Hitze (Bauraumtemperatur) erzeugen. An der Düse erreicht der 3D-Drucker sogar 500 °C. Gemeinsam mit Medizintechnikherstellern und Krankenhäusern produziert das Start-up vorwiegend im Rahmen von Pilotprojekten Implantate aus Hochleistungspolymeren, darunter auch PEEK von Evonik.
Der Vorteil der Werkstoffe: Sie behalten auch bei hohen Temperaturen ihre Eigenschaften. Während Arburg mit Granulat und Tropfen arbeitet, verwendet Kumovis ein PEEK-Filament. Schicht für Schicht entstehen damit Schädel-, Gesichts- und Wirbelsäulenfusionsimplantate (Bild 4).
Während das Start-up beim Einsatzszenario eingleisig fährt – der Fokus liegt ganz klar auf der Medizintechnik – so setzt es beim Geschäftsmodell auf einen breiteren Ansatz – über den Einzelverkauf der 3D-Drucker hinaus. Kumovis bietet gegen eine jährliche Gebühr Service und Wartung für die verkauften Maschinen an. Darüber hinaus ist geplant, bei jedem Verkauf eines Implantats einen Anteil am Gewinn zu erhalten, da das Start-up bei jedem Schritt – von der Ideenfindung über das Design und die Regulierung bis hin zum fertigen Implantat – eng mit den Partnern zusammenarbeitet.
Auch Arburg weiß, dass der Verkauf der Geräte allein nicht ausreicht. Mit der eigens für den Freeformer entwickelten App »ProcessLog« lassen sich für die im AKF-Verfahren gefertigten Bauteile alle wichtigen Prozess- und Bauauftragsdaten übersichtlich grafisch darstellen und zum Beispiel zu Dokumentationszwecken als PDF-Datei ausdrucken. Um dies auf der Messe zu demonstrieren, erhielt jedes gefertigte Bauteil ein Etikett mit QR-Code (Bild 5). Dazu wurde der Bauauftrag über einen Wechseldatenträger von der Freeformer-Steuerung auf einen PC übertragen. Das dort ausgedruckte Etikett enthielt bereits Angaben zur Freeformer-Maschine, den verwendeten Materialien, Auftragsstart und -ende, Bauzeit sowie Material- und Bauraumtemperatur.
Über den QR-Code können in der App zusätzlich die aufgezeichneten Prozessdaten über die komplette Bauzeit eingesehen werden mit detaillierten Informationen zu Massedruck, Schneckenposition, Tropfenfrequenz und Austragsmenge. Die erfolgreiche und lückenlose Überwachung, teilespezifische Rückverfolgung und Dokumentation der Prozessdaten ist nicht nur für die Medizintechnik, sondern auch für die Bereiche Automotive sowie Luft- und Raumfahrt interessant.
Aber warum setzten sowohl Arburg und Kumovis als auch viele andere Unternehmen aus dem Bereich auf PEEK als 3D-Druck-Werkstoff. Für den Kunststoff sprechen – wie bereits erwähnt – die Tatsachen, dass der Werkstoff für medizinische Anwendungen zugelassen ist und auch bei hohen Temperaturen seine Eigenschaften beibehält. Dazu gehören unter anderem:
Hinzu kommt: Ein PEEK-Implantat ist dem menschlichen Knochen in mechanischer Steifigkeit und Elastizität sehr ähnlich. Dadurch kann es den inneren Bewegungen des Körpers folgen. Da das Material strahlendurchlässig ist, stört es auch nicht bei der radiologischen Diagnostik oder in der therapeutischen Strahlenbehandlung. Durch seine isolierenden Eigenschaften ist das Material zudem weniger anfällig für Temperatureinwirkungen. Das alles macht den Kunststoff zum idealen Kandidaten für langfristig implantierte Medizinprodukte.
Nützliche Links