Ecmo-Therapie

Wenn die künstliche Lunge versagt

16. März 2022, 10:25 Uhr | Gisela Gross
Eine Mitarbeiterin steht in einem Zimmer einer Corona-Intensivstation bedient ein Ecmo-Gerät, eine Herz-Lungen-Maschine.
© Fabian Strauch/dpa

Studie zeigt: Hohe Sterberaten bei Therapie gegen Covid-19

Durch dicke Kanülen fließt Blut aus dem Körper der Patientin heraus. Ihre Lunge muss vorübergehend nicht arbeiten, die Funktion übernimmt eine Maschine neben dem Bett. Diese reichert das Blut mit Sauerstoff an, bevor es wieder zurückgeleitet wird. Im Winter 2015/16 passierte es, dass Sabine Weiß (Name geändert) im Zuge einer Grippe-Infektion erst starken Husten entwickelt und schließlich ein schweres akutes Lungenversagen erleidet. In einem Universitätsklinikum schließen Ärzte die damals 50-Jährige an ein sogenanntes Ecmo-Gerät an: praktisch eine künstliche Lunge, die dem lebensnotwendigen Organ Zeit verschaffen soll, sich zu erholen.

Insgesamt rund einen Monat liegt Weiß nach eigenen Angaben im Koma, davon 16 Tage an der Ecmo. Erinnerungen an die Zeit habe sie kaum. Wie Weiß hinterher erzählt bekommt, besuchte ihr Mann sie täglich: Er habe mit ihr gesprochen, vorgelesen, ihre Hand gehalten. Und er brachte Bilder aus gemeinsamen Urlauben am Fußende des Bettes an, als Anreiz zur Genesung. 

Als Weiß Ende Januar 2016 aus dem Koma geholt wird, ist sie zwar desorientiert. Denn sie weiß nicht, dass sie per Spezialtransport aus einem anderen Krankenhaus verlegt worden war. Die vielen Schläuche am Körper und die Situation generell empfindet sie damals aber nicht als schlimm. »Da war immer Vertrauen, gesund zu werden.«

Ecmo-Therapie in der Pandemie

Die Therapie, die Weiß das Leben gerettet hat - die extrakorporale Membranoxygenierung (Ecmo) -, ist in der Covid-19-Pandemie auch außerhalb von Fachkreisen bekannter geworden. Denn wie viele andere Atemwegserreger kann Sars-CoV-2 schweres akutes Lungenversagen auslösen. Die Bilder von Infizierten, die an Ecmo-Geräten um ihr Leben ringen, waren auf Fotos in Zeitungen zu sehen, in TV-Dokus. Bis zum Frühjahr 2022 dürften Tausende hierzulande betroffen gewesen sein, endgültige Daten liegen noch nicht vor. Die Zahlen, die zur Pandemie in Deutschland schon bekannt sind, lassen Fachleute jedoch aufschrecken.

Denn es ist ein sehr viel höherer Anteil der Ecmo-Patienten im Krankenhaus gestorben als vor der Pandemie üblich. Je nach Art der Ecmo-Therapie überlebten 72 beziehungsweise rund 66 Prozent der Covid-19-Erkrankten nicht, hält eine Gruppe um Facharzt Benjamin Friedrichson vom Uniklinikum Frankfurt in einer Studie von Ende Februar im »European Journal of Anaesthesiology« fest. Dafür analysierten sie alle 4.279 Ecmo-Behandlungen bei Covid-19-Patienten an deutschen Krankenhäusern zwischen Januar 2020 und Ende September 2021. Internationale Publikationen mit den Ergebnissen von meist spezialisierten Zentren wiesen demnach deutlich bessere Raten aus, dort starben je nach Studie nur 37 beziehungsweise 53 Prozent.

Die ECMO - Teil 1 - Definition

Anders als man wegen der anfangs fehlenden Erfahrung mit Covid-19 vermuten könnte, wurden die Ergebnisse auch im Pandemieverlauf nicht besser. »Die Ärzte hierzulande machen keine schlechte Medizin und die Ecmo ist eine wunderbare Therapie, die wir nicht missen wollen«, sagt Friedrichson. Bei jüngeren Menschen seien die Ergebnisse auch sehr gut. In Deutschland sind laut Friedrichson aber im Vergleich zu anderen Ländern viele Menschen über 60 Jahre an der Ecmo behandelt worden. In dieser älteren Gruppe starben über drei Viertel (77 Prozent - »inakzeptabel hoch« laut Studie). Das schlage auf das Gesamtergebnis durch.

In einer vorherigen Studie mit ähnlichem Ergebnis zu den ersten drei Corona-Wellen hieß es, die Daten sollten als Warnung für Kliniker dienen. Mitautor Thomas Bein, früher Intensivmediziner am Uniklinikum Regensburg, sagt: »Die Ecmo ist in der Corona-Pandemie insgesamt zu unkritisch und unreglementiert eingesetzt worden: als letztes Mittel, wenn sonst nichts mehr half.« Er spricht von einem »Qualitätsproblem« und hält stärkere Regulierung für nötig.

Schweinegrippe sorgt 2009 für Booster

In Deutschland bieten relativ viele Kliniken Ecmo bei akutem Lungenversagen an: mehr als 270 nach den aktuellsten Daten von 2020, rund 40 mehr als zwei Jahre zuvor, wie Friedrichson sagt. »Schon die Schweinegrippe-Pandemie 2009 war ein Booster für die Technologie.« Die mobilen Geräte von heute ließen sich einfach bedienen, wie ein Smartphone. »Vermeintlich erfordert das keine Riesenexpertise.« Corona dürfte laut Fachleuten für weitere Verbreitung gesorgt haben.

Eine Vergleichszahl nennt Steffen Weber-Carstens, Intensivmediziner an der Charité: »In ganz Großbritannien machen derzeit acht Kliniken Ecmo. Patienten werden dorthin verlegt.« Wenige Häuser haben also jeweils viele Patienten. Anders in Deutschland: Eine Studie im Journal Plos One blickte auf knapp 30.000 Ecmo-Behandlungen aus der Vor-Pandemie-Zeit - mit dem Ergebnis, dass gut 60 Prozent der Kliniken, die Ecmo anboten, nur einen Fall jährlich versorgten. Als erfahren gelten Zentren ab 20, 30 Patienten pro Jahr.

»Ecmo gehört in sehr erfahrene Hände, es gibt ein hohes Komplikations- und Nebenwirkungspotenzial. Sehr viele, vor allem kleinere Krankenhäuser haben die Expertise aber nicht«, sagt Bein. Dabei sei auch in anderen Medizinbereichen gezeigt worden, dass Routine zu besseren Ergebnissen führe. Eine Gruppe um Bein und Weber-Carstens hat kürzlich im Deutschen Ärzteblatt zudem die Hypothese geäußert, dass finanzielle Fehlanreize im Gesundheitssystem kleinere Kliniken verleiteten, solche Behandlungen vorzunehmen. Die Kosten für das Gesamtpaket der Behandlung belaufen sich laut Fachleuten auf eine hohe fünfstellige Zahl. Wenn Patienten 100 oder 120 Tage versorgt werden müssen, kann es noch mehr sein.

Andere angefragte Fachleute sehen eher geringe bis keine derartigen Anreize. »Ärzte wollen maximal helfen«, sagt etwa Friedrichson. Da häufig Leihgeräte genutzt würden, sei es auch nicht so, das sich die Anschaffungskosten amortisieren müssten. Facharzt Oliver Milbradt vom Clemenshospital in Münster, wo die Zahl der jährlichen Ecmo-Behandlungen seit 2014 von ein bis zwei auf sechs bis sieben gestiegen ist, berichtet zudem, in der Hochphase der Pandemie von überlasteten Ecmo-Zentren angefleht worden zu sein, Patienten zu übernehmen. Trotz toller Ergebnisse setze man eine Ecmo nie leichtfertig ein: »Wir sind froh, wenn das Gerät nicht läuft.«

Mehr Zurückhaltung gewünscht

Für die Versorgung hierzulande würden aus Sicht Friedrichsons 100 oder weniger statt über 270 Ecmo-Anbieter völlig ausreichen. Wo genau macht Expertise den Unterschied? Wie Mediziner berichten, ist es nicht damit getan, Patienten an das Hightech-Gerät anzuschließen. Vielmehr sei dies ein Puzzlestein in einem Behandlungskonzept.

Dazu gehören laut Experten zum Beispiel die richtigen Medikamente gegen Covid-19, aber auch gegen andere Infektionen und zusätzlich oft auch Dialyse, zudem sollten für den Fall von Komplikationen Gefäßchirurgen verfügbar sein. Als optimal gilt, Patienten auf dem Bauch zu lagern, auch wenn das die Pflege aufwendiger macht. »Es spielt auch eine Rolle, ob es gelingt, Patienten mit Unterstützung spontan atmen zu lassen, ob man sie begleitend trainiert, ob man sie ab und an aufrecht hinsetzt für die Durchblutung oder über den Flur laufen lässt«, sagte Weber-Carstens.

Das Beispiel zeigt: Als dauerhaft regungslosen Tiefschlaf sollte man sich eine Ecmo-Behandlung heutzutage aus Expertensicht nicht mehr vorstellen. Nach der Akutphase versetze man Patienten nicht mehr so tief in Narkose wie früher. Zwar gilt es Stress und Schmerzen zu unterbinden, auf Ansprache sollen sie aber etwa die Augen öffnen können. Auch all das bedeutet mehr Pflegeaufwand. Die Erkrankten profitierten, sagte Bein: So habe das veränderte Sedieren wesentlich zu höheren Überlebensraten seit der Jahrtausendwende beigetragen.

All das heißt für Thomas Bein aber nicht, dass jeder Patient eine realistische Chance hat, es zu schaffen. Vielmehr müssten Ärzte auch darauf achten, kein unnötiges Leid zu verursachen. Selbst wer das Krankenhaus lebend verlasse, sei oft nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor. Viele ehemalige Ecmo-Patienten stürben im Jahr nach der Entlassung. Da dürfe man Angehörigen keine falschen Hoffnungen machen. »Ich plädiere für mehr Zurückhaltung im hohen Alter. Drastisch ausgedrückt zögert man sonst nur den Tod hinaus.«

Sabine Weiß ist immer noch dankbar, dass es die Therapie gibt, wie sie sagt. Zwar sei es schlimm gewesen, in der ersten Zeit danach an vermeintlich simplen Tätigkeiten zu scheitern: beim Aufstehen aus dem Bett oder dem Schritt auf eine Bordsteinkante etwa. Ein halbes Jahr habe sie gebraucht, um körperlich wieder fit zu werden. Und noch heute, Jahre später, bekomme sie schneller Muskelkater als früher. Damit schätze sie sich aber glücklich im Vergleich zu manch anderen ehemaligen Ecmo-Patienten, die mit Ängsten, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben. (dpa/me)


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