Bioinformatik

Computerbasierte Krebsdiagnostik

18. Februar 2013, 9:46 Uhr | Nach Unterlagen der Max-Planck-Gesellschaft
Bild 1: Auf die Schaltung kommt es an: Methylierte Basen der DNS - mit leuchtenden Punkten markiert - deaktivieren ein Gen. Das Methylierungsmuster verrät etwa, ob eine Chemotherapie gegen den Tumor wirkt.
© MPI für Informatik

Dass der Schlüssel zur Krebsvorsorge und womöglich Heilung im Erbgut liegt, ist heute weitgehend unumstritten. Moderne Rechner und Algorithmen helfen dabei, die Erbinformationen von Patienten nach verdächtigen Strukturen zu durchsuchen. Auf diese Weise lassen sich Methoden entwickeln, um die Diagnose zu verbessern.

Eine gängige Definition des Forschungsfeldes »Epigenetik« lautet: »Studium der erblichen Veränderungen in der Genomfunktion, die ohne eine Änderung der DNS-Sequenz auftreten«. Von diesem vergleichsweise jungen Forschungsgebiet erwarten sich viele Wissenschaftler bei der Erforschung der biochemischen Modifikationen jenseits des eigentlichen DNS-Strangs in den kommenden Jahren gewaltige Fortschritte im Verständnis der Regulation von Genaktivität.

Am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken nutzt man die Ergebnisse epigenetischer Forschung für konkrete medizinische Anwendungen: Prof. Dr. Thomas Lengauer und Dr. Christoph Bock durchforsten computerbasiert das Erbgut von Krebspatienten und entwickeln neue, schnelle und einfache Tools, die in Kliniken die Krebsdiagnose verbessern sollen.

Obwohl der menschliche Körper aus kaum vorstellbaren 10 bis 100 Billionen Zellen besteht, kann bereits eine einzige kranke Zelle Krebs auslösen. Schon kleine Schäden im Erbgut, zum Beispiel als Folge von UV-Licht oder Tabakrauch, können die natürliche Wachstumsschranke einer Zelle ausschalten: Sie beginnt sich unkontrolliert zu teilen, überwuchert im schlimmsten Fall als Tumor gesundes Körpergewebe und zerstört damit lebenswichtige Organe.

Lange galt dabei das Dogma: Nur Veränderungen in der DNS selbst sind bei der Krebsentstehung entscheidend. Doch heute ist klar, dass auch der biochemische »Überzug« des DNA-Strangs eine wichtige Rolle spielt. Denn das Erbgut einer Zelle wird durch allerlei chemische Anhängsel modifiziert. Vor allem die DNA-Methylierung nimmt eine zentrale Stellung bei der Genregulation ein: So entscheiden kleine, an die DNA-Basen geheftete Kohlenwasserstoffanhängsel darüber, ob ein Gen aktiv oder stillgelegt ist, also abgelesen werden kann oder nicht. Störungen in der DNA-Methylierung äußern sich in einer veränderten Genaktivität in der Zelle, die zur Tumorentstehung beitragen kann. Darüber hinaus weichen die Methylierungsmuster von Tumorzellen deutlich von denen gesunder Gewebezellen ab. Genau hier setzt die Arbeitsgruppe Computational Epigenetics in der Abteilung Bioinformatik und Angewandte Algorithmik von Prof. Lengauer an.

Methylisierung gesucht

Wie bei einer Rasterfahndung durchforsten die Wissenschaftler mithilfe selbstentwickelter Software-Programme umfangreiche Gendaten nach verdächtigen Methylierungsmustern. Prof. Lengauer erläutert: »Viele dieser Muster treten nur bei ganz bestimmten Krebstypen auf, sodass wir sie in der klinischen Diagnostik als Biomarker, also Indikatoren für die jeweilige Art der Erkrankung einsetzen können.« Dabei sind sie auf eine enge Zusammenarbeit mit Kliniken und Biotechnologielaboren angewiesen.

Die Gewebeproben von Krebspatienten werden im Labor aufbereitet und das darin enthaltene Erbgut in viele kleine Schnipsel zerstückelt. Die Lösung wird dann mit sogenannten Microarrays (DNA-Chips) oder mittels neuartiger Sequenzierverfahren verarbeitet. Am Ende erhält man eine Art Karte des Epigenoms, also sämtlicher biochemischer Markierungen jenseits der eigentlichen DNS-Sequenz.

Die nachfolgende mathematische Analyse der Saarbrücker erfolgt ausschließlich im Computer. Ausgeklügelte Algorithmen und statistische Verfahren suchen im Nebel der Epi-genomdaten nach Mustern, die nur bei bestimmten Krebsformen auftreten und bei gesunden Patienten fehlen - eine Aufgabe, die viel Feingefühl bei der Programmierung erfordert. Denn anders als das Genom, das in allen Körperzellen nahezu identisch ist, erweist sich der chemische Mantel der DNA als wahres Chamäleon.

Immerhin gibt es im menschlichen Körper etwa 200 verschiedene Gewebetypen mit jeweils unterschiedlichen Epigenomen, die sich noch dazu mit zunehmendem Lebensalter oder bei Krankheiten verändern. Die Forscher müssen alle diese Variationen in ihren Programmen berücksichtigen, damit nur noch die für Krebs relevanten Unterschiede ins Gewicht fallen. Und der Aufwand lohnt sich.

So entwickelten die Saarbrücker in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Bonn einen epigenetischen Biomarker für maligne Glioblastome, die häufigste Form bösartiger Hirntumore. Dabei schlägt die Chemotherapie -nur bei rund einem Viertel der betroffenen Patienten überhaupt an. Dr. Christoph Bock, der auch eine Arbeitsgruppe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien leitet, erklärt dies so: »Genau bei diesen Patienten ist ein bestimmtes Gen namens MGMT methyliert, also stillgelegt, das im aktiven Zustand in den Krebszellen einen Reparaturmechanismus steuert. Bei Patienten mit aktivem MGMT würden die bei der Chemotherapie entstehenden DNA-Schäden, die kranke Zellen absterben lassen, also rückgängig gemacht, sodass die Behandlung erfolglos bleibt.«

Mithilfe des neuen Biomarkers kann die Klinik nun schon vor der eigentlichen Behandlung diejenigen Personen identifizieren, bei denen die kräftezehrende Chemotherapie überhaupt sinnvoll ist. Die zur Identifizierung dieses Biomarkers durchgeführte zeitraubende manuelle Prozedur haben die Forscher dann systematisiert und in Software gegossen. Mit dieser Software ist nun eine wesentlich schnellere Identifizierung weiterer neuartiger Biomarker für Krebs möglich.

Reihenuntersuchung

In einem internationalen Großprojekt unter Leitung von Manel Esteller vom Bellvitge Biomedical Research Institute in Barcelona wurden über 1600 menschliche Gewebeproben analysiert. An etwa 1500 charakteristischen Stellen jedes untersuchten Genoms wurden die Methylierungsmuster abgefragt und schließlich in die Rechner des Saarbrücker MPIs gefüttert.

Die Ergebnisse der Analyse sind vielversprechend. Noch bedeutender ist aber die Tatsache, dass die Forscher anhand der Methylierungsmuster auch solche Tumore nach ihrem Krebstyp einstufen konnten, die zur Gruppe der »Cancers of unknown primary origin«, den sogenannten CUPs oder Tumoren unbekannten Ursprungs, gehören. »Man stelle sich vor, dass ein Patient zum Arzt kommt und über Schmerzen in der Leber klagt«, sagt Christoph Bock. »Der Arzt stellt daraufhin fest, dass sich in der Leber bereits zahlreiche Metastasen gebildet haben, die von einem noch unbekannten Primärtumor stammen.«

Werden solche bösartigen Krebszellen unbekannten Ursprungs im Körper gefunden, startet in der Regel die fieberhafte Suche nach dem Primärtumor, die in etwa 25 Prozent der Fälle erfolglos bleibt. Weil Krebszellen außerhalb ihres Ursprungsgewebes häufig entarten, lässt sich ohne den Primärtumor kaum feststellen, um welchen Krebstypen es sich handelt, was die Heilungschancen der Patienten stark vermindert. »Durch die Epigenomanalyse konnten wir 70 Prozent der CUPs in unseren Proben eindeutig einem Krebstyp zuordnen«, freut sich der Forscher. »Entsprechende Analyse-Tools wie wir sie auch für Glioblastome entwickelt haben, können daher die Prognose dieser Patienten verbessern, weil die Klinik ganz spezifisch die am besten geeignete Therapie auswählen kann.«

Weltweite Kartierung

Inzwischen wurde das Potenzial der Epigenom-Kartierung auch auf internationaler Ebene erkannt. Unter dem Dach des International Epigenome Consortium (IHEC) werden verschiedene Großprojekte koordiniert. Das Ziel ist es, Epigenome von mindestens 1000 in Biologie und Medizin bedeutsamen Zelltypen und Zellzuständen komplett zu kartieren.

Die einzelnen Projekte innerhalb von IHEC setzen dabei verschiedene Schwerpunkte. Während zum Beispiel die US-amerikanischen Institute Referenzprofile für möglichst viele gesunde Zelltypen des menschlichen Körpers anstreben, hat das EU-geförderte Projekt »BLUEPRINT« die Zellen des Blut- und Immunsystems samt seiner Erkrankungen im Fokus. »Der Ansatz von BLUEPRINT ist äußerst anwendungsorientiert, weil viele klinische Diagnoseverfahren auf der Analyse von Blutproben basieren«, erläutert Christoph Bock.

Neben etwa 60 gesunden Zelltypen im Blut sollen auch mehr als 60 Formen der Leukämie kartiert werden. Nicht nur das MPI in Saarbrücken ist an IHEC beteiligt, auch das MPI für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und das MPI für molekulare Genetik in Berlin sind eingebunden. »Dank der Bioinformatik wird sich unser Wissen im Bereich der Epigenetik in den kommenden zehn Jahren vervielfachen«, hofft Thomas Lengauer.

Der Professor aus Saarbrücken ist optimistisch: »Die Epigenetik wird künftig das Rückgrat bei der Aufklärung darüber sein, wie Zellen sich selbst steuern - eines zentralen Problems der Biologie. Viele noch völlig unbekannte Vorgänge im Zellkern, vor allem die Regulation der Genaktivität, wird man mithilfe bioinformatischer Methoden aufdecken können.«

Ganz vorne auf der langen To-do-Liste steht dabei schon jetzt das Datenmanagement. Prof. Lengauer spezifiziert: »Hier in Saarbrücken platzen die Server bald aus allen Nähten, sodass wir gerade darüber nachdenken, unsere Daten zumindest teilweise in die Cloud zu verlagern.« Klar ist, die gewonnenen Epigenom-Kartierungen müssen im Netz gespeichert, leicht verfügbar sowie mit geeigneten Tools und Suchmaschinen nutzbar gemacht werden.

»Die derzeit ernsthaft diskutierte Alternative wäre, dass Labore und Kliniken eingelagerte Proben jedes Mal neu sequenzieren müssen, wenn sie diese brauchen, nur weil kein Platz für die Datenspeicherung vorhanden ist; eine zumindest für Informatiker eher fernliegende Lösung.« Der Forscher sieht in der Epigenom-Analyse zwar einen entscheidenden Faktor für rasante Fortschritte der Krebsdiagnostik in der nahen Zukunft, dämpft allerdings die Erwartungen bei der Entwicklung neuer Medikamente: »Viele Wissenschaftler reden heute viel über Medikamente, die gezielt Störungen im Epigenom kranker Zellen reparieren können. Ich neige da zur Vorsicht. Solche gezielten Eingriffe bergen große Gefahren, allein schon weil die hochkomplexen Genregulationsmechanismen, die hier manipuliert werden, noch kaum bekannt sind.«


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