Teststrategien

Diagnose: Elektronik

7. Oktober 2013, 12:06 Uhr | von Matthias Hofmann
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Elektronische Bauteile, Komponenten und selbst komplette Produkte werden heute zumeist im Rahmen der Auftragsfertigung hergestellt. Zahlreiche Dienstleister bieten hierfür ihre Services mit individuellen Spezialisierungen an. Der Markt ist sehr breit, und jeder Einzelne verfügt über unterschiedliches Know-how. Besonders wichtig ist ein systematisches Qualitätsmanagement inklusive Teststrategie.

Bei der modernen, hoch standardisierten Elektronikfertigung lassen sich wesentliche Kostenfaktoren eindeutig beziffern. So spielen neben der technischen Ausstattung und dem entsprechend geschulten Personal beispielsweise allgemeine Fix- (Räume, Strom etc.) und Materialkosten eine wichtige Rolle. Diese Kosten beeinflussen den Angebotspreis der EMS-Dienstleister und sind für die Auftraggeber daher gut kalkulierbar.
Allerdings lassen sich Zusatzkosten für Ausschussproduktion, Reparaturen, Nachbesserungen oder Gewährleistungsforderungen vorab kaum realistisch abschätzen. Und gerade deshalb sollten diese teils erheblichen Folgekosten bei der Beauftragung von Fertigungsdienstleistern genau hinterfragt und abgewogen werden. So besagt etwa die sogenannte »Rule of Ten«, dass die nachträglichen Reparaturkosten einer fehlerhaften Baugruppe bei jeder weiteren Prozessstufe um den Faktor 10 zunehmen. Es ist daher wichtig, Fehler frühzeitig zu erkennen und die gesammelten Daten zur weiteren Prozessverbesserung zu nutzen.
Das Optimum ist natürlich eine Null-Fehler-Fertigung zu sehr geringen Kosten. Dieser Zustand lässt sich jedoch nur in Ausnahmefällen erreichen, oftmals können schon kleine Fertigungsschwankungen die Qualität der Produkte nachteilig beeinflussen. Hierbei gilt: Je mehr Lötstellen auf einer Leiterplatte vorhanden und je kleiner die verwendeten Bauteile sind, desto höher ist die Ausfallwahrscheinlichkeit. Je komplexer beziehungsweise wertvoller das Produkt darüber hinaus ist, desto schwerwiegender können die Folgen schon bei kleinsten Fehlern sein.

Bild 1: Häufige Fehler, und wie sie erkannt werden
Bild 1: Häufige Fehler, und wie sie erkannt werden
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Egal ob Eigen- oder Auftragsfertigung - die gezielte Kombination verschiedener Testverfahren lohnt sich fast immer. Tests decken bestehende Fehler und potenzielle Schwachstellen im Design frühzeitig auf (Bild 1). Erst durch ihren gezielten Einsatz kann es gelingen, Fehler zeitnah zu beheben, anfällige Komponenten frühzeitig zu optimieren und Fertigungsprozesse schon vorab an gegebene Bedingungen anzupassen.
So lassen sich beispielsweise die Ausschussquote und die Zahl fehlerhafter Produkte deutlich reduzieren. Gleichzeitig sinken die Kosten für Fehlersuche und Reparatur erheblich. Ganz zu schweigen vom Image-Gewinn, den ein Unternehmen erzielt, wenn es die Zahl von Rückrufaktionen oder Gewährleistungsforderungen gering halten kann.

Test frühzeitig planen

Bereits während der Entwicklung der Baugruppen muss die spätere Prüfbarkeit in der Fertigung berücksichtigt werden. So lassen sich zum Beispiel durch die Einhaltung bestimmter DFM- (Design for Manufacturing) und DFT-Regeln (Design for Testability) im Entwicklungsprozess die Diagnosemöglichkeiten verbessern, und die Zahl späterer Fehler sinkt. Zu diesem frühen Zeitpunkt lässt sich das Design in der Regel noch gut beeinflussen und an spätere Prüfaufgaben anpassen.
Zudem wird es möglich, Fertigungsprozesse bereits vorab zu optimieren, und durch die geschickte Auswahl bestimmter Komponenten lässt sich die spätere Fehleranfälligkeit reduzieren oder Reparaturen einfacher durchführen. Zudem wird der Einsatz von speziellen Testverfahren im Herstellungsprozess erst durch ein geeignetes Design möglich, erleichtert oder effizienter gestaltet.
Nach Abschluss von Entwicklung und Design sind die Produkte idealerweise in ihren einzelnen Lebenszyklen zu testen. Dabei kann sich die Teststrategie eines Prototypen durchaus von der späteren Serienfertigung unterscheiden. Aber auch die Art der Produkte ist zu berücksichtigen sowie die Anforderungen hinsichtlich der Rückverfolgbarkeit beziehungsweise Dokumentation der Testergebnisse. Um die Herstellung eines Produktes möglichst effizient zu gestalten, müssen die einzelnen Tests perfekt aufeinander abgestimmt werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Kompetenz der jeweils zuständigen Testingenieure sowie an die verfügbaren Testmethoden.

Bild 2: Einfluss der Baugruppenkomplexität auf den First-Pass-Yield
Bild 2: Einfluss der Baugruppenkomplexität auf den First-Pass-Yield
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Bei der Entwicklung und Umsetzung von ganzheitlichen Teststrategien besitzen die sogenannten E²MS-Dienstleister (Electronic Engineering & Manufacturing Services) oft besonders gute Erfahrungen, denn diese Unternehmen testen nicht nur fertigungsbegleitend. Vielmehr übernehmen sie in der Regel auch Aufgaben im Rahmen der Planung und Entwicklung. Hierzu zählt beispielsweise die Konzeption einer produktspezifischen Teststrategie. Eine wichtige Kenngröße ist dabei der sogenannte First-Pass-Yield (FPY) im abschließenden Prüfschritt. Oftmals ist das der Funktionstest. Der FPY gibt an, wie viele Baugruppen nach dem Durchlauf aller Prozessschritte fehlerfrei sind. Bei einer Fertigungsqualität von 50 dpmo (dpmo = Defects per Million Opportunities) ist beispielsweise auf einer Baugruppe mit 10  000 Lötstellen ohne vorheriges Testen ein FPY von etwa 60 Prozent zu erwarten. Durch die eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten des Funktionstests ist die Reparatur hier sehr zeitintensiv und erfordert ein tief-gehendes Verständnis der Baugruppenfunktion. Um den Fertigungsprozess nicht unnötig zu beeinflussen, sollte daher ein First-Pass-Yield von mehr als 98 Prozent angestrebt werden. In der Praxis werden oftmals jedoch deutlich geringere FPY-Werte erreicht (Bild 2).

»Design for Excellence« als Dienstleistung

Eine mögliche Ursache für diese Diskrepanzen besteht darin, dass die Fertigungsdienstleister häufig erst nach dem Abschluss der Designphase beauftragt werden. In diesen Fällen kann beispielsweise ein ungünstiges Design dazu führen, dass bestimmte Tests mit besonders hohem Aufwand verbunden sind oder gar nicht realisiert werden können. Vor diesem Hintergrund setzen ganzheitlich denkende E²MS-Dienstleister mittlerweile verstärkt auf das sogenannte »Design for Excellence« (DFX). Mit Hilfe dieser Dienstleistung stellen sie sicher, dass das Design eine möglichst einfache und reibungslose Fertigung erlaubt. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung der jeweiligen Prüfbarkeit im Design.
Die Optimierung der Fertigungsprozesse spielt im sogenannten Low-Volume-/High-Mix-Segment (kleine Fertigungsstückzahlen bei hoher Produktvielfalt), das im deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist, eine besonders große Rolle. Gerade in diesem Bereich sind individuelle Teststrategien gefragt, denn allgemeine Standardlösungen der Massen-
fertigung lassen sich nur in Ausnahmefällen erfolgreich anwenden.

Welche Tests sind wirklich sinnvoll?

Für die moderne Elektronikfertigung stehen zahlreiche Testverfahren zur Auswahl. Eine gute Teststrategie kombiniert verschiedene dieser Verfahren systematisch und schneidet sie auf die individuellen Anforderungen der Baugruppe zu. Durch eine gezielte Planung aller Details werden die jeweiligen Tests so in den Fertigungsprozess der Baugruppen eingebunden, dass der eigentliche Herstellungsprozess möglichst wenig gestört wird. Daher müssen Tests sehr zielgerichtet und schnell erfolgen. Die Zeit ist hier ein besonders kritischer Faktor.
Aber welches Testverfahren ist wann, wie und mit welcher Prüftiefe geeignet? Wann ist eine kostengünstige Sichtkontrolle sinnvoll und wann sollte man keinesfalls auf eine automatische Röntgeninspektion verzichten? Die eindeutige Antwort lautet wie so oft: Es kommt darauf an. Die technischen Merkmale des herzustellenden Produktes müssen anhand von Einzelfallentscheidungen ebenso berücksichtigt werden wie Losgrößen, wirtschaftliche Faktoren oder andere Besonderheiten des Fertigungsprozesses. Selbst individuelle Gegebenheiten eines Unternehmens wie Fragen zur Produkthaftung müssen dabei Beachtung finden.
Je nach Art und Umfang eines Prozesses kommen mehr oder weniger Tests zum Einsatz. Eine gute Teststrategie kombiniert die unterschiedlichen Stärken der verschiedenen Prüfverfahren, um eine möglichst hohe Fehlerabdeckung bei möglichst wenig Überlappungen zu erreichen. Dabei sind in der Elektronikfertigung beispielsweise AOI- (Automatic Optical Inspection), AXI- (Automatic X-Ray Inspection), ICT- (In-Circuit-Test), Flying-Probe- und Funktionstestsysteme weit verbreitet. Diese Tests liefern aussagekräftige Informationen.
Welche Tests bei welchem Fertigungsschritt zum Einsatz kommen, hängt jedoch von zahlreichen Faktoren ab. Dabei ist es schon aufgrund der hohen Komplexität moderner Baugruppen sinnvoll, verschiedene Testverfahren gezielt miteinander zu kombinieren, um nach Abschluss der Fertigung fehlerfreie Produkte zu erhalten. Unternehmen profitieren hierbei insbesondere von den Erfahrungen und Kompetenzen der jeweils zuständigen Testingenieure. Diese entwickeln im Idealfall individuelle Teststrategien, führen die Tests durch und legen mit Hilfe der gesammelten Testdaten gleichzeitig auch die Basis für die vorausschauende Optimierung zukünftiger Herstellungsprozesse.

Bild 3: Die Suche nach der optimalen Teststrategie
Bild 3: Die Suche nach der optimalen Teststrategie
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Die Entscheidung für die richtigen Tests setzt fundiertes Know-how und verfügbare Ressourcen beziehungsweise Kapazitäten voraus. So muss der jeweils verantwortliche Testingenieur beispielsweise die Testverfahren aus dem Effeff kennen und das zu fertigende Produkt als Ganzes sowie im Detail verstehen. Gleichzeitig muss er den gesamten Fertigungsprozess überblicken, Risiken bewerten und Kosten kalkulieren. Denn der Einsatz von Tests birgt auch Risiken. So können falsch platzierte Tests zu hohen Kosten führen oder Prozesse unnötig verlangsamen. Fehlerhafte Testergebnisse haben fast immer drama-tische Konsequenzen (Bild 3).
Daher sollten Unternehmen, die Aufträge an einen EMS- oder E²MS-Dienstleister vergeben, immer auch nach dessen Test-Expertise fragen. Diese Kompetenz ist bei jedem Anbieter unterschiedlich ausgeprägt. Grundsätzlich sollte ein Dienstleister alle gängigen Tests durchführen und zuvor die jeweils sinnvollste Teststrategie im Sinne seines Kunden empfehlen können. Möglichst viel zu testen kann dabei unter Umständen ebenso falsch sein wie der Verzicht auf wichtige Tests aus vermeintlichen Kostengründen. Daher existieren gerade im Low-Volume-/High-Mix-Segment keine sinnvollen Standardlösungen - die Entscheidung für bestimmte Testverfahren ist stets von Fall zu Fall zu treffen.

Medizinische Spezialitäten

Die Medizinbranche stellt besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer elektrischen Geräte, denn hier steht die Gesundheit von Menschen im Mittelpunkt. Da viele Patienten während ihrer Behandlung in direktem Kontakt zu elektrischen Geräten stehen, kann es zu ungewollten elektrischen Entladungen kommen - mit unter Umständen dramatischen Folgen.
Um diese Gefahren grundsätzlich auszuschließen, wurden verschiedene Leistungsmerkmale von Geräten zur Diagnose, Behandlung oder Überwachung von Patienten in der Normenreihe IEC 60601 zusammengefasst, die seit mehr als 40 Jahren länderübergreifend gilt. Sie wurde vor wenigen Jahren in ihrer dritten, komplett modernisierten Ausgabe veröffentlicht. Als sogenannte Basisnorm gilt hier die EN 60601-1 inklusive ihrer speziellen Ergänzungsnormen EN 60601-1-x. Diese Normen treffen allgemeine Festlegungen für die Sicherheit und die wesentlichen Leistungsmerkmale von medizinischen elektri-schen Geräten beziehungsweise Systemen zur Diagnose, Behandlung oder Überwachung eines Patienten mit genau einem Anschluss an ein Versorgungs-netz. Demnach hat die Basisnorm EN 60601-1 einen maßgeblichen Einfluss auf die Herstellung von medizinischen elektrischen Geräten, denn sie bestimmt den Weg zur erfolgreichen Risikominimierung.
Diese Vorgaben gelten natürlich auch für die Elektronikfertigung und damit für die Auswahl der Teststrategie. Will ein Unternehmen sichere und normgerechte Produkte herstellen, sollte es die Anforderungen der Basisnorm EN 60601-1 bereits bei der Entwicklung seiner Produkte beachten und im Rahmen der später folgenden Gerätezulassung durch Konformitätstest nachweisen. Hinzu kommen fertigungsbegleitende Tests wie die Überprüfung der Schutzisolierung beziehungsweise Schutzerde, bei der die Einhaltung der maximalen Ableitströme verifiziert wird. Nicht zuletzt benötigen die Hersteller dabei auch eine entsprechende IT-Infrastruktur, denn die Prüfergebnisse müssen dokumentiert und gespeichert werden. Europaweit werden medizinische Produkte in vier Risikoklassen unterteilt (I, IIa, IIb und III). Basierend auf der Zweckbestimmung des jeweiligen Produktes sind die Hersteller für deren Klassifizierung zuständig. Aus diesem Grund hat also auch die Risikoklasse einen direkten Einfluss auf die jeweilige Teststrategie. So können beispielsweise bei einem Klasse-III-Gerät besonders wichtige Funktionen mit unterschiedlichen Testverfahren redundant geprüft werden.

Über den Autor:

Matthias Hofmann ist Senior Test Design Engineer bei Plexus Deutschland.


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