3D-Röntgen

Durchblick im OP

19. März 2012, 9:10 Uhr | Marcel Consée
© Fraunhofer IPK

In Deutschland werden jährlich rund 1,2 Millionen komplexe chirurgische Operationen durchgeführt. Um das Komplikationsrisiko zu verringern und Folgeeingriffe zu vermeiden, kontrollieren Ärzte schon während des Eingriffs das Operationsergebnis mit Hilfe von Röntgendiagnostik. Zweidimensionale Röntgenbildaufnahmen sind oft nicht ausreichend, um Operationssituationen genau bewerten zu können. Die dreidimensionale Bildgebung dagegen liefert eine exakte räumliche Abbildung vom Körperinneren des Patienten.

Mit der 3D-Bildgebung lässt sich die Lage von Implantaten und Frakturfragmenten kontrollieren. Die Position von Knochenteilen zueinander kann exakt bestimmt, Implantate können millimetergenau ausgerichtet werden. Bei konventionellen 3D-Röntgensystemen, beispielsweise 3D-C-Bögen oder intraoperativ einsetzbaren Computertomographen, rotieren Röntgenquelle und Röntgendetektor in einer festen Anordnung kreisförmig um den Patienten, um einzelne Projektionsbilder aufzunehmen und daraus 3D-Bilddaten zu rekonstruieren.

Diese kreisförmige Bewegung ermöglicht zwar eine hohe Rekonstruktionsqualität, umschließt aber den Patienten vollständig. Wären die Geräte dauerhaft am OP-Tisch installiert, wäre der freie Zugang zum Patienten für die Chirurgen behindert. Deshalb müssen diese für jede Bildaufnahme an den OP-Tisch herangefahren, am Patienten ausgerichtet und anschließend wieder weggeschoben werden. Dafür müssen Operationen in der Regel mehrere Minuten unterbrochen werden, der chirurgische Arbeitsablauf wird erheblich beeinträchtigt.

Entsprechend hoch ist die Hemmschwelle für den routinemäßigen Einsatz dieser Systeme. Auf der letztjährigen Medica hat das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik eine gemeinsame Neuentwicklung mit Ziehm Imaging und der Berliner Charité unter dem Namen »ORBIT« (Offener Röntgenscanner für die bildgeführte interventionelle Therapie) vorgestellt. Sie kann dauerhaft am OP-Tisch installiert werden und lässt sich daher besser in den Operationsablauf integrieren.

Wirbelsäule im »ORBIT«

Ein Anwendungsbeispiel ist die Überprüfung der korrekten Lage von Implantaten in der Wirbelsäule relativ zu den sensiblen Nervenbahnen des Rückenmarks. Um Frakturen oder Instabilitäten der Wirbelsäule zu behandeln, werden benachbarte Wirbelkörper mit Hilfe von Pedikelschrauben dauerhaft fixiert. Der Spinalkanal der Wirbelsäule und das darin verlaufende Rückenmark dürfen dabei nicht verletzt werden.

Bild 1: Bildaufnahmen mit dem ORBIT-Funktionsmuster
Bild 1: Bildaufnahmen mit dem ORBIT-Funktionsmuster
© Fraunhofer IPK

Aufgrund der fehlenden Tiefeninformation ist mit zweidimensionalen Röntgenbildern eine Fehlplatzierung der Implantatschrauben und eine dadurch entstehende Verletzung des Nervenkanals nicht immer sicher auszuschließen. Beim momentanen Stand der Forschung kann nur die 3D-Bildgebung die exakte Überprüfung der Implantatlage gewährleisten. Um notwendige Korrekturen bereits während der Operation durchzuführen und patientenbelastende und kostenintensive Folgeeingriffe zu vermeiden, muss die 3D-Bildgebung intraoperativ zum Einsatz kommen.

ORBIT basiert auf einem neuen Bildaufnahmekonzept, das ausgehend von mathematischen Optimierungen der Projektionsrichtungen hinsichtlich der erreichbaren 3D-Bildqualität entwickelt wurde (Bild 1). Dabei bewegt sich die Röntgenquelle nicht um den Patienten herum, sondern auf einer Kreisbahn ausschließlich über ihm.

Das System besteht aus drei Modulen:

  • einem Gelenkarm mit steuerbarer Röntgenquelle (an die Decke oder auf einen mobilen Untersatz montiert),
  • einem digitalen Flachbilddetektor (in den OP-Tisch integriert oder fest auf diesem positioniert) und
  • einer Bildbetrachtungseinheit (mobil oder an die Wand montiert).

Mit einem Labormuster wurde die Machbarkeit des Bildaufnahmekonzeptes nachgewiesen und die erreichbare Bildqualität experimentell für eine Anwendung in der Wirbelsäulenchirurgie untersucht. Obwohl noch viele Fragen offen sind, stimmen die ersten Projektergebnisse optimistisch, dass die Projektziele einer flexiblen und schnell einsetzbaren intraoperativen 3D-Röntgenbildgebung erreicht werden können.

Das Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, gewann bereits die Innovationspreise Medizintechnik 2007 und 2010 des BMBF. Zurzeit entsteht im Röntgenlabor des Fraunhofer IPK ein Funktionsmuster, das anschließend in einem Experimental-OP in der Charité technisch und klinisch evaluiert werden soll. Das neue System soll dann den chirurgischen Arbeitsablauf nur noch minimal beeinflussen und routinemäßig im OP angewendet werden.

Prof. Keeve über ORBIT
Prof. Keeve über ORBIT
© Fraunhofer IPK

»Anders als bisherige dreidimensionale Bildgebungsverfahren umschließt ORBIT den Patienten bei der Aufnahme nicht. Es handelt sich um ein offenes System. Da sich die Röntgenquelle kreisförmig oberhalb des OP-Tischs bewegt, sind kurzfristige Bildaufnahmen ohne zeitaufwändige Vorbereitungen möglich«, sagt Professor Dr.-Ing. Erwin Keeve vom Berliner Zentrum für Mechatronische Medizintechnik, einer Einrichtung des IPK und der Charité.

»Bei einem C-Bogen benötigt man circa 15 Minuten, um das Gerät am Patienten auszurichten, die einzelnen Projektionsbilder aufzunehmen und daraus 3D-Bilddaten zu erzeugen. Mit ORBIT lässt sich der Röntgenscan schneller durchführen und der Operationsverlauf insgesamt beschleunigen. Die Handhabung des Systems ist weniger umständlich. Somit wird die Schwelle, so ein Diagnostiksystem routinemäßig einzusetzen, für Mediziner deutlich gesenkt«, erläutert der Forscher.

Ein weiterer Vorteil des Geräts: Bei C-Bögen kommt es in der Nähe von Implantaten und Schrauben zu Störsignalen. Diese Metallartefakte werden bei Aufnahmen mit ORBIT stark reduziert, denn im Gegensatz zum C-Bogen bewegen sich Röntgenquelle und Detektor nicht in einer Ebene. »Erste Experimente waren erfolgreich«, freut sich Keeve.


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