CUP-Syndrom und Big Data

Genomprofil statt aufwendiger Suche

22. Oktober 2018, 16:30 Uhr | Melanie Ehrhardt
Für die richtige Therapie spielen das Genom- und Tumorprofil eine entscheidende Rolle.
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Die Suche nach der richtigen Krebstherapie kann auch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen sein. Noch komplizierter wird es, wenn Onkologen nicht wissen, wo sie ansetzen sollen, wie beim CUP-Syndrom. Helfen könnten hier Genomprofile, die Medizin, Elektronik und Big Data verbinden.

Krebserkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts hat sich die Zahl der Neuerkrankungen seit 1970 nahezu verdoppelt, zuletzt auf 476.000 (Stand 2014). Zugleich leben Betroffene heute deutlich länger als früher, was nicht zuletzt an den Fortschritten in der Früherkennung und in der Behandlung liegt. 

Eine Krebstherapie hängt dabei immer von der Art des Tumors ab. Dafür muss dieser jedoch erst einmal gefunden werden. Denn bei zwei bis drei Prozent aller Krebserkrankungen gelingt es Onkologen nicht, den Primärtumor zu identifizieren, sie finden lediglich Metastasen. [1] Über die Gründe rätselt die Wissenschaft bis heute. Die trivialste Hypothese zur Erklärung des CUP-Syndroms ist, dass der Primärtumor so klein ist, dass Ärzte ihn nicht finden. Möglicherweise ist es dem Immunsystem auch gelungen, Primärtumore selbst zu unterdrücken, während sich deutlich stärker mutierte Metastasen nicht mehr kontrollieren lassen. Ein anderes Modell erklärt das CUP-Syndrom auf Basis prämaligner, entarteter Stammzellen. Wie behandelt man also einen Tumor, der gar nicht da ist? Viel Hoffnung stecken Mediziner und Unternehmen in die personalisierte Krebsmedizin. [2]

Bekannt ist schon lange, dass nicht alle Patienten gleichermaßen gut auf eine Therapie ansprechen. Das liegt daran, dass jeder Mensch ganz persönliche Besonderheiten beziehungsweise seine ganz eigene genetische Ausstattung aufweist. Das führt dazu, dass auch die gleiche Krankheit bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Ursachen aufweisen kann oder dass Medikamente auf verschiedene Art und Weise vom Körper verarbeitet werden. Die unterschiedlichen Krankheitsursachen zu identifizieren und dementsprechend die Behandlung anzupassen, ist Ansatz der personalisierten oder individualisierten Medizin.

Voraussetzungen für die personalisierte Krebstherapie

Wie in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens spielt auch in der Medizin Big Data eine immer wichtigere Rolle. Für die personalisierte Medizin nehmen Forschungsdaten- und Biobanken einen geradezu existenziellen Stellenwert ein. Dabei geht es längst nicht mehr nur um das bloße Sammeln der Daten. »Wir sind mittlerweile in der Lage, diese auch zu analysieren und zu vernetzen«, sagt Dr. Martin Hager, Head of Personalized Healthcare in Medical Affairs bei Roche.

Hochdimensionale klinische Datentypen: Welche Daten gibt es? (© Roche)

Daten werden in der Medizin schon längst im großen Stil erhoben, zum Beispiel in Form von Patientendaten aus der Gesundheitsakte oder Smartphone-basierte klinische Biomarkerdaten sowie Bilddaten. Aber auch genetische Daten wie etwa Mutations- und Expressionsinformationen spielen vor allem in der Onkologie eine wichtige Rolle. »Eine umfassende Tumor-Diagnostik ist Voraussetzung für eine personalisierte Behandlung«, so Hager weiter. Doch wie so oft sieht es im Klinkalltag anders aus. Laut Hager erhalten nur 25 Prozent aller Krebspatienten einen Einzel-Gent-Test; ein Multi-Gen-Test wird noch seltener durchgeführt (15 Prozent). Und mehr als die Hälfte (60 Prozent) wird überhaupt nicht genetisch getestet.

Medizinscher Rundumschlag

Um das zu ändern, setzt Roche vor allem auf strategische Partner wie Flatiron Health, ein privat geführtes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen im Bereich von Softwarelösungen von elektronischen Gesundheitsakten in der Onkologie (EHR). Das Unternehmen mit Hauptsitz in New York City  ist zudem in der Analytik und Aufbereitung von Daten aus der klinischen Routine (Real-world evidence) für die Krebsforschung tätig. Seit Februar gehört das Start-up zu 100 Prozent zu Roche. Rund vier Monate später folgte die Übernahme von Foundation Medicine (FMI). Das Unternehmen mit Hauptsitz in Boston hat sich auf die Sequenzierung und genetische Analyse von Krebserkrankungen spezialisiert und bietet dafür zwei Verfahren an: FoundationOne und FoundationOne Liquid.

FoundationOne bietet eine individuelle Tumoranalyse sowie Interpretation der Analyse im klinischen Kontext und unterstützt so den Arzt bei der Therapieentscheidung. Onkologen können so die Tumor-DNA ihrer Patienten analysieren lassen. Mehr als 300 bei Krebserkrankungen häufig veränderte Gene werden sequenziert, um sogenannte genetische Alterationen zu identifizieren. Auf Basis dieses Wissens recherchieren Wissenschaftler Behandlungsmöglichkeiten, die der Onkologe unter Berücksichtigung des Gesamtbildes des Patienten in die Therapieentscheidungsfindung mit einfließen lassen kann. Hierzu zählen sowohl zugelassene Therapien bei der Krebsart, als auch Therapien, die für andere Tumorarten zugelassen sind sowie Informationen zu klinischen Studien, für die sich der Patient eignet.

Optionen der Personalisierten Medizin bei CUP-Patienten (CUPISCO-Studie) (© Roche)

FoundationOne Liquid nutzt dagegen die Methode der Flüssigbiopsie, auch Liquid Biopsy genannt. Winzige Mengen zellfreier, im Blut zirkulierender Tumor-DNA werden mit Hilfe der Liquid Biopsy auf genetische Veränderungen hin untersucht. Mit einer einfachen Blutprobe können Ärzte so 70 an der Krebsentstehung beteiligten Gene analysieren lassen. Die Vorteile: Eine invasive und manchmal risikoreiche Gewebeentnahme ist nicht notwendig und eine einfache Verlaufskontrolle durch mehrmalige Blutproben ist möglich.

Dem Tumor auf der Spur

»Die umfassende genetische Analyse hunderter krebsrelevanter Gene und die Integration dieser Ergebnisse mit weiteren Patienten- und Studiendaten ist ohne digitale Technologien nicht möglich« so Laborleiterin Dr. Vera Grossmann, Senior Director International Laboratory Operations. Die Digitalisierung ist für sie der Schlüssel, um die personalisierte Medizin in die Praxis zu bringen. Wie das konkret aussieht, zeigt eine Studie von Jeffrey Ross, Medical Director bei Foundation Medicine und Pathologe am Albany Medical College (New York).

Mit einem von der Roche-Tochter entwickelten Verfahren erstellte Ross für 200 CUP-Patienten ein Genomprofil. Es umfasste 3769 Exone von 236 bekannten Krebsgenen sowie 47 Introne von 19 Genen, die durch Umlagerung im Genom das Krebswachstum fördern. In 192 CUP-Proben (96 Prozent) wurde wenigstens eine Genomveränderung gefunden. Pro Tumor waren es im Durchschnitt 4,2 Genomveränderungen. Bei 169 Patienten war darunter eine Variante, die Ansatzpunkt für eine Therapie ist.

Da die Studie retrospektiv war, konnten die Ergebnisse in den meisten Fällen nicht mehr für therapeutische Entscheidungen verwendet werden. Bei zwei Patienten konnte die Therapie durch das Genomprofil jedoch noch erfolgreich umgestellt werden.

Die erste Patientin war nach der Entfernung einer Hirnmetastase, dessen Histologie auf ein Schilddrüsenkarzinom hindeutete, erfolglos mit Carboplatin plus Docetaxel behandelt worden. Als dann die Ergebnisse des Genomprofils eine 16-fache Amplifikation im MET-Gen anzeigten, wechselten die Onkologen auf den Kinase-Hemmer Crizotinib. Es kam daraufhin zu einer kompletten Remission, die Ross zufolge seit drei Jahren anhält.

Der Workflow von Foundation Medicine (©FMI/Roche)

Bei dem zweiten Patienten war eine Hautmetastase das erste Zeichen eines CUP-Syndroms. In der Computertomographie wurde dann ein großer Tumor in der rechten Lunge entdeckt. Im Genomprofil erkannten Ross und Mitarbeiter eine Fusion der Gene EML4 und ALK, die ebenfalls auf eine Wirksamkeit von Crizotinib hindeutet. Unter der Therapie mit dem Kinase-Hemmer bildete sich der vermeintliche Primärtumor innerhalb eines Monats komplett zurück. [3]

Quellen:

[1] Löffler H, Neben K, Krämer A. Cancer of unknown primary. Epidemiology and pathogenesis (Februar 2014),  https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24435156 (Stand: 21. Oktober 2018)

[2] DocCheck News. CUP-Syndrom: Wenn der Tumor sich versteckt (27. November 2015), http://news.doccheck.com/de/109327/cup-syndrom-wenn-der-tumor-sich-versteckt/ (Stand: 21. Oktober 2018)

[3] rme/aerzteblatt.de. Genomprofil liefert Therapieziele bei Krebsleiden ohne Primärtumor (18. Februar 2015), https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/61845/Genomprofil-liefert-Therapieziele-bei-Krebsleiden-ohne-Primaertumor (Stand: 21. Oktober 2018)

Hintergrund: Am 18. Oktober 2018 lud Roche Journalisten im Rahmen des ESMO-Kongress 2018 zu einem Pressegespräch nach Penzberg ein. Mitarbeiter von Roche (Dr. Franziska Mech und Dr. Martin Hager) sowie Foundation Medicine (Dr. Vera Grossmann) präsentierten dort ihre Vorstellung von der personalisierten Medizin. Aus der medizinischen Praxis berichtete Dr. Benedikt Westphalen vom Comprehensive Cancer Center München.  

 

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