Modulares Systemdesign

Impedanzspektroskopie Für Life-Sciences

8. Dezember 2010, 11:04 Uhr | Sebastian Wegner
© Sciospec Scientific Instruments

Elektrische Impedanzspektroskopie hat sich als Messverfahren auf so unter- schiedlichen Anwendungsfeldern wie Biotechnologie, Chemie, Umwelttechnik oder Materialprüfung etabliert - allerdings vor allem in wissenschaftlichen Labors. Industrielle Anwendungen waren selten, weil die nötige Messtechnik sehr kosten- intensiv und schwer auf neue Anwendungen anpassbar war. Dank eines neuen, hochgradig modularen und skalierbaren Hard- und Softwarekonzepts sind nun kosteneffiziente, anwendungsspezifische Ein- oder Mehrkanallösungen für Präzisions- und/oder High-Throughput-Anwendungen realisierbar.

Um mit einem Konzept möglichst alle Anwendungen der elektrischen Impedanzspektroskopie bedienen zu können, müssen sowohl hohe Auflösungen, große Messbereiche und Präzision als auch kostenoptimierte Mehr-kanallösungen realisierbar sein. Als Lösungsansatz entstand ein alle Systemebenen umspannendes Modulkonzept, das sich in jedem Abschnitt der Signalkette anpassen lässt und eine Skalierung des Messsystems ermöglicht.

Neben analoger und digitaler Hardware beinhaltet diese Modulstruktur auch Embedded-Software im klassischen Sinne (ohne Betriebssystem), Java-Software auf Betriebssystembasis, Treiber für eine Embedded-Linux-Plattform auf »ARM«-Basis und den FPGA-Schaltungsentwurf. Große Teile der Module sind leicht austauschbar, um auf verschiedene Applikationsanforderungen zu reagieren. So ist beispielsweise ein analoges Frontend für Mehrkanal-Zellimpedanzspektroskopie mithilfe von Multi-Elektroden-Arrays verfügbar, aber ebenso ein einfaches Einkanal-Frontend mit BNC-Anschlüssen für den Laborbetrieb.

Nicht nur in der Hardware sondern auch in der Steuerungs-algorithmik, Signalverarbeitung und Datenauswertungssoftware lassen sich Module den Anforderungen entsprechend austauschen. Diese Modularität, die sich durch das gesamte Systemkonzept zieht, ist der Kernpunkt des flexiblen Systemdesigns. Zusammenstellungen der Module ergeben eine anwendungsspezifische Messlösung, die sich durch die Kombination mit einem Speicher- und Steuerungsknoten auf ARM-Basis auf fast beliebige Kanalanzahl erweitern lässt.

Bild 1: In der »Sciospec«-Mess- und -Analysesoftware sind neben der Konfiguration der Messgeräte vielfältige Darstellungs- und Datenexportmöglichkeiten für die aufgenommenen Messdaten und erweiterte Analysen wie Filterung, Parameterfitting oder stati
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Auch verteilte Netzwerklösungen beispielsweise für die Prozess- und Qualitätsüberwachung in Industrieanlagen sind damit leicht umsetzbar. Das Herz des Systems ist eine für hohen Datendurchsatz optimierte FPGA-Steuerungsplattform.

Abhängig von den konkreten Anforderungen der Anwendung fungiert diese entweder ausschließlich als Kommunikationsknoten zwischen Messsystem und der Steuerungs- und Kontrollsoftware auf dem PC oder beinhaltet neben der Prozesssteuerung auch Datenverarbeitung und -analyse, Fehlerkorrektur und Datenmanagement, womit das System unabhängig arbeiten kann. Als Schnittstelle zum Nutzer steht eine Java-Softwareplattform zur Verfügung, die entweder auf einem PC oder auf der Embedded-Linux-Plattform in einem Mess-gerät integriert läuft.

Damit lassen sich Messgeräte bedienen und Daten analysieren - über Maus und Tastatur, einem in das Gerät integrierten Touchpanel oder über Kommunikationsprotokolle auf TCP/IP-Basis.

Neben der Konfiguration der Messgeräte und vielfältigen Darstellungs- und Daten-exportmöglichkeiten für die aufgenommenen Messdaten sind auch erweiterte Analysen wie Filterung, Parameterfitting oder statistische Auswertung integriert (Bild 1).

Schnelle Abschätzung mit FPGA

Ein Schwerpunkt im Messsystem liegt auf der Extraktion von denjenigen Kennwerten aus dem Signalgemisch, die für die Berechnung der Impedanzspektren und die optimale Einstellung der analogen Hardwareteile benötigt werden. Der von Sciospec entwickelte »SineFit«-Schätzer ermöglicht hier genaue Messungen auch bei schlechtem Signal-Rausch-Verhältnis.

Im Vergleich mit einer klassischen schnellen Fourier-Transformation (FFT) und dem in der analogen Signalverarbeitung gängigen Lock-in-Effekt zeigt SineFit klare Vorteile: Bei gleicher Genauigkeit sind weit weniger Operationen als bei einem »Lock-in«-Algorithmus und ähnlich viele Operationen (jedoch bei weitaus größerer Genauigkeit) wie bei der FFT nötig, um ein Schätzergebnis zu erzielen. Für das Systemdesign ist die Implementierung dieses Schätzers ein entscheidender Faktor.

SineFit bietet den Vorteil, dass sich große Teile der Operationen parallelisieren lassen und sich bei geschickter Aufteilung der Hardware-Ressourcen Echtzeitfähigkeit erzielen lässt. So gelang es, die rechenintensiven Teile des Schätzers aus der übergeordneten, prozessorbasierten Systemebene (PC bzw. ARM-Plattform) herauszulösen und im FPGA zu implementieren, der die Messwerte direkt vom A/D-Wandler bekommt und den aufwändigsten Teil der Schätzung direkt und in Echtzeit ausführt.

An die übergeordnete Rechenplattform werden dann nur noch verhältnismäßig kleine Datenmengen an Zwischenergebnissen übergeben, und die restlichen Operationen auf diesen Werten lassen sich dort einfach realisieren.

Spektroskop spürt Salmonellen auf

Wie flexibel das beschriebene Systemkonzept ist, lässt sich am einfachsten an zwei Beispielen demonstrieren. Eine Anwendung der Impedanzspektroskopie liegt in der Bioanalytik, zum Beispiel in der Überwachung von Zellkulturen auf Mikroelektroden-Strukturen. Im Rahmen einer internationalen Kooperation mit der Hebrew University of Jerusalem wird Sciospecs Technologie derzeit in einem vielversprechenden Projekt verwendet mit dem Ziel, Salmonellenbefall in israelischem Geflügel einzudämmen.

Der Nachweis basiert auf Bakteriophagen-Bibliotheken, mit denen nicht nur Gruppen von Bakterien unterschieden werden, sondern sogar eine Diskriminierung zwischen einzelnen Subtypen mit spezifischen Eigenschaften wie zum Beispiel geographische Ausbreitung, Wirtsabhängigkeiten, Virulenz oder Resistenz gegenüber Antibiotika möglich ist. Damit ist dieses Verfahren den Alternativen wie beispielsweise »Pulsed-Phase Gel Electrophoresis« weit überlegen.

Für diese Anwendung wurden spezielle Mikroelektrodenstrukturen gefertigt, die mit einem eigens für die Kontaktierung von verschiedenen Arten von Biochips entworfenen Frontend-Adapter, dem »Sciospec MEA-Rack« kompatibel sind. Da keine schnellen Messzyk-len notwendig sind, werden die verschiedenen Elektroden nacheinander über einen 64-Kanal-Multiplexer an ein Präzisions-Frontend geführt, dessen Bandbreite und Dynamikumfang für die Messung von Kiloohm bis Megaohm und von 1 mHz bis 1 MHz optimiert ist - genau der Bereich, in dem die Detektionsmechanismen der Bakteriophagen wirksam werden.

Exakt die gleiche Hardware-Anordnung, jedoch ohne MEA-Rack kommt auch bei einer vollkommen anderen Messanwendung zum Einsatz: der fotoakustischen Gasanalytik (eine Kooperation mit dem Unternehmen MIOPAS). Hier werden Gaskonzentrationen bis auf wenige ppm genau mit Hilfe eines Lasers und des fotoakustischen Effekts gemessen. Die Signalerregung wird nun nicht mehr direkt, also elektrisch auf das Messobjekt aufgeprägt, sondern das Signal-generatormodul speist die Lasermodulation.

Anstelle des Biochips wird über ein Vorverstärkermodul eine fotoakustische Messzelle an das Frontend angeschlossen und in der Signalverarbeitung werden lediglich zwei Module ausgetauscht, die für die Extraktion und Interpretation der Messergebnisse zuständig sind. Auf den ersten Blick haben diese beiden Anwendungen keine Gemeinsamkeiten, und doch lassen sie sich dank des hochgradig flexiblen Systemkonzepts ohne großen Entwicklungsaufwand auf derselben Hardwareplattform aufbauen.

Um eine anwendungsspezifische Messlösung zu erhalten, war es bislang notwendig, einen langwierigen und kostenintensiven Entwicklungsprozess in Kauf zu nehmen, der frühestens nach einigen Monaten ein erstes grobes Funktionsmuster hervorbrachte und unter Umständen viele Entwicklungszyklen mit immer neuen teuren Prototypen und zeitlich aufwändigen Tests umfasste. Mit den hier vorgestellten neuen Konzepten lassen sich innerhalb weniger Wochen Funktionsmuster zur Verfügung stellen, deren Einzelkomponenten allesamt bereits auf Funktionsweise und Zusammenspiel ausführlich getestet sind.

Die Anzahl der notwendigen Entwicklungszyklen und damit die Entwicklungskosten auch für hochgradig spezialisierte Applikationen werden so auf ein Minimum reduziert. Viele Anwendungen der Impedanzspektroskopie und bislang rein wissenschaftlich genutzten Verfahren werden so überhaupt erst denkbar.

Ausgezeichnet mit dem »University Award« der embedded world Conference
Mit dem hier vorgestellten Projekt bewarb sich der Autor um den im Rahmen der embedded world ausgelobten »University Award 2010« und konnte die Jury überzeugen. Ebenfalls ausgezeichnet wurde dieser Ansatz mit dem Förderpreis der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig und dem Preis des VDI 2008. Nach vier Jahren Projektarbeit erfolgte aus dem Projekt heraus die Gründung des Unternehmens »Sciospec Scientific Instruments«, das sich nun mit der Entwicklung von anwendungsspezifischen Lösungen zu Problemen der wissenschaftlichen Messtechnik befasst. Schwerpunkte liegen dabei neben der Impedanzspektroskopie auch auf der fotoakustischen und Fotoabsorbtions-Gassensorik. 

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