Elektrische Rückenmarkstimulation

Kleine Schritte, großer Aufwand

27. September 2018, 14:00 Uhr | Mayo Clinic
3D-Aufnahem einer Wirbelsäule (Symbolbild)
© Designed by kjpargeter/Freepik*

Elektrostimulation bringt Gelähmten zum Gehen. Was zunächst nach einer Sensation klingt, ist bei genauer Betrachtung nur eine Seite der Medaille. Zwar sehen Mediziner in der Methode grundsätzlich einen Fortschritt, von Heilung kann jedoch keine Rede sein.

Ein Gelähmter kann mit etwas Hilfe wieder einige Schritt gehen. Mittels elektrischer Rückenmarkstimulation und 43 Wochen Rehabilitationstherapie konnte der Patient mit 331 Schritten 102 Meter zurücklegen, wie ein Forscherteam von der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota, USA) berichtet. Allerdings benötigte er dafür einen Rollator und eine Unterstützung an der Hüfte durch einen Therapeuten. Das Team um Kendall Lee und Kristin Zhao präsentiert seine Technik im Fachjournal Nature Medicine.

Bei einer Querschnittlähmung ist das Rückenmark des Patienten so stark beschädigt, dass die Signale aus dem Gehirn nicht mehr oder kaum noch an die Beine weitergeleitet werden. Mit der elektrischen Rückenmarkstimulation versuchen Mediziner, die verletzte Stelle zu überbrücken. In dem in der Studie beschriebenen Fall war das Rückenmark nicht vollständig durchtrennt. Deshalb wollten die Forscher herausfinden, wie weit sie mit einer Rückenmarkstimulation kommen würden.

Die Mediziner gaben Elektroimpulse in verschiedene Beinmuskeln. Dabei entdeckten sie, dass ein einzelnes Stimulationsmuster nicht ausreicht. Sie entwickelten zwei unterschiedliche Muster, die so miteinander verzahnt wurden, dass der Patient die verschiedenen Phasen eines Schritts meistern konnte.

»Nach unserem Wissen ist die Verwendung der elektrischen Rückenmarkstimulation während des aufgabenspezifischen Trainings, einschließlich Steh- und Schrittaktivitäten, neu«, schreiben die Forscher. Erforderlich seien nun weitere Untersuchungen mit einer größeren Zahl von Probanden, um deren Gültigkeit und Wirksamkeit zu bestimmen.

Kollegen sind skeptisch

Norbert Weidner, ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, hält die Studie prinzipiell für gut gemacht. Der beobachtete Effekt sei wissenschaftlich allemal interessant, aber auch mit den gezeigten Fortschritten könne der Patient nicht seinen Alltag meistern. Zudem sei es eher eine Fallbeschreibung, da nur ein Patient an der Studie beteiligt gewesen sei. »Es ist außerdem ein spezieller Patient, so dass fraglich ist, inwiefern andere querschnittgelähmte Patienten in gleicher Weise trainiert werden können«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Problematisch sei auch, dass es keine Rückkopplung über die Stellung der Beine im Raum ans Gehirn gebe, was für das sichere Gehen notwendig sei. Bei nicht vollständig Gelähmten, die unterhalb der verletzten Stelle am Rückenmark zumindest noch Bewegungen ausführen können, sieht Weidner ein größeres Potenzial für diesen Heilungsansatz.

Auch Jocelyne Bloch vom Centre Hospitalier Universitaire Vaudois in Lausanne (Schweiz) ist vom Ergebnis der Studie nicht ganz überzeugt. »Er kann mit viel Hilfe ein paar Schritte gehen, aber es gab keine neurologische Heilung«, sagte sie mit Blick auf den Patienten. Doch im Labor einige Schritte zu tun, bedeute nicht, dass das auch zu Hause und im Alltag klappt und das Leben verändert. Wir sollten also wortwörtlich einen Schritt zurücktreten und die Ergebnisse in der Realität betrachten. (me)

*Bild: Designed by kjpargeter / Freepik

Jered Chinnock (3.v.l) seht mit seinem Therapieteam in der Mayo Clinik.
Jered Chinnock (3.v.l) seht mit seinem Therapieteam in der Mayo Clinik.
© Teresa Crawford/AP/dpa

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