Bioreaktor

Mikroreaktor statt Tierversuch

5. Februar 2016, 13:02 Uhr | Marcel Consée
Aufbau des Bioreaktors mit Mikrofluidik (im Bild oben). Mikropartikel (Oxygen Probes) mit den Zellen im Hintergrund (im Bild unten).
© Fraunhofer IZI

Europaweit arbeiten Forscher an Messverfahren, mit denen sich schädliche Nebenwirkungen von Medikamenten ohne Tierversuche bewerten lassen. In einem europäischen Verbundprojekt wurde ein Mikrobioreaktor entwickelt, in dem sich Leberzellproben sehr gut kultivieren lassen. Anders als im Tierversuch kann man damit erstmals live mitverfolgen, wie eine Substanz auf das Gewebe wirkt.

Die Zahl der Tierversuche in der Forschung soll künftig deutlich verringert werden. So hat die Europäische Union mit der EU-Kosmetikverordnung 2013 unter anderem den Handel von Kosmetika verboten, deren Inhaltsstoffe mit Hilfe von Tierversuchen geprüft wurden. Doch nicht nur in der Kosmetikindustrie, auch in der medizinischen Forschung fällt der Umstieg auf alternative Verfahren schwer.

In vielen Fällen fehlt es an Methoden, um die Giftigkeit von Substanzen zu testen. Zahlreiche Forschergruppen arbeiten an neuen aussagekräftigen Verfahren. Besonders vielversprechend sind unter anderem Testverfahren mit Leberzellkulturen. Die Leber ist das wichtigste Entgiftungsorgan des Körpers. Daher ist es sinnvoll, die Giftigkeit, die Toxizität, von Substanzen an Leberzellen zu untersuchen. Dazu muss sichergestellt werden, dass alle Zellen gleichmäßig mit den Prüfsubstanzen in Berührung kommen. Zum anderen besteht das Problem, dass Leberzellen in Laborgefäßen meist schon nach wenigen Tagen absterben. Langzeitversuche, bei denen ermittelt wird, wie sich eine giftige Substanz langfristig auf einen Organismus auswirkt, sind damit kaum möglich.

In dem Projekt »HeMiBio« haben Forscher vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Potsdam zusammen mit Partnern von der Hebrew University in Jerusalem einen Mikrobioreaktor entwickelt, in dem Leberzellen über einen Zeitraum von einem Monat gehalten und beobachtet werden können. Die Besonderheit besteht darin, dass die Forscher die Reaktion der Leberzellen auf die toxischen Substanzen unmittelbar und live mitverfolgen können. »Sowohl im Tierversuch als auch in herkömmlichen Laborversuchen führt man bislang in der Regel Endpunkt-Messungen durch«, sagt Dr. Claus Duschl, am IZI Leiter der Abteilung Zelluläre Biotechnologie. »Dabei verabreicht man verschiedene Dosen eines Wirkstoffs und analysiert anschließend das abgestorbene Gewebe oder das tote Tier. Wie der Wirkstoff im Detail auf die Zellen wirkt, kann man damit nicht ermitteln.«

Ganz anders der Mikrobioreaktor: Mithilfe winziger Sensoren wird in Echtzeit ermittelt, wie viel Sauerstoff die Leberzellen gerade verbrauchen. Bei angeregtem Stoffwechsel ist der Verbrauch hoch. Stirbt die Zelle ab, sinkt auch der Sauerstoffverbrauch. Zellbiologen können heute an dessen Verlauf sogar ablesen, welche Stoffwechselprozesse zu einem bestimmten Zeitpunkt in Zellen ablaufen. Das machen sich die HeMiBio-Projektpartner zunutze. Gibt man eine toxische Substanz hinzu, nehmen die Sensoren des Mikroreaktors genau wahr, wie sich der Sauerstoffverbrauch verändert. So lässt sich exakt erkennen, welche Stufen im Stoffwechselprozess der Wirkstoff beeinflusst oder unterbricht. »Im Projekt haben wir mit unseren Kooperationspartnern, Zellbiologen von der Hebrew University in Jerusalem, die Vermutungen überprüft, indem genau jene Substanzen ersetzt wurden, deren Produktion durch den Giftstoff blockiert wird«, erläutert Duschl. »Tatsächlich liefen danach die anschließenden Stoffwechselschritte ungestört weiter.«

Eine Aufgabe der Mitarbeiter von Duschl bestand darin, das von vielen kleinen Kanälen durchzogene Reaktorgefäß zusammen mit den Partnern aus Israel zu designen. Dabei mussten sie darauf achten, dass alle Zellen gut mit Nährmedium versorgt werden, damit sie sich fein verteilen und nicht verklumpen. Diese Feinverteilung aber brachte eine Schwierigkeit mit sich: Je feiner die Zellen verstreut sind, umso schwächer sind die Signale, die der Sensor empfängt. »Wir brauchten also eine Sensortechnologie, mit der man sich den Zellen möglichst stark annähern kann, die aber die Zellen andererseits nicht beeinflusst und so die Ergebnisse verfälscht.« Das IZI-Projektteam kam auf die Idee, kleine Polymerpartikel zu verwenden, die mit Farbstoffen versetzt sind. Diese Farbstoffe geben phosphoreszierendes Licht ab: Bestrahlt man die Farbstoffe mit monochromatischem Licht einer LED, werden einzelne Elektronen angeregt und auf ein höheres Energieniveau gehoben. Innerhalb von Sekundenbruchteilen fallen die Elektronen auf das ursprüngliche Energieniveau zurück. Dabei wird die überschüssige Energie als Phosphoreszenzlicht abgegeben. Die Zeit, die die Elektronen für diese Abregung benötigen, hängt direkt von der Sauerstoffkonzentration in der Umgebung ab. »Der Zeitverlauf der Abregung signalisiert uns also, wie aktiv der Stoffwechsel gerade ist oder wie sich eine toxische Substanz auswirkt.« Das ist nicht zuletzt wichtig, um die Wirkungsweise bestimmter Substanzklassen besser zu verstehen, um einzuschätzen, warum welche Stoffe giftig sind oder auch um Medikamente zu verbessern.

Dass der Mikrobioreaktor funktioniert, haben die Kooperationspartner bewiesen. Noch ist aber einiges zu tun. Da in der Leber verschiedene Zelltypen aktiv sind, wollen die Forscher den Reaktor künftig mit verschiedenen Zellen bestücken. »Dadurch können wir die Stoffwechselprozesse noch besser nachahmen«, sagt Duschl. Sogar Gewebe aus verschiedenen Organen könnten einst in einem Reaktor dieser Bauart kombiniert werden. »Bis dahin«, sagt Duschl, »ist es aber noch ein weiter Weg.« Am Projekt HeMiBio sind auch Forscher vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin beteiligt. Zusammen mit Kollegen aus Belgien entwickeln sie ein weiteres Reaktorformat mit sehr komplexen fluidischen Strukturen. Erste Testmessungen sind im Gange und zeigen vielversprechende Resultate.


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