Chirurgierobotik in Deutschland

Minimal invasiv

1. Dezember 2010, 9:36 Uhr | Professor Dr. Gerhard Hirzinger
© Marisa Robles Consée

Es ist seit Langem bekannt, dass die rein händische minimal invasive »Schlüsselloch-Chirurgie« nur eine Zwischenlösung sein kann. Zwei lange Instrumente durch kleine Löcher im Körper herumbewegen, dabei immer auf den Bildschirm schauend, ist nicht besonders intuitiv; die Bewegungsrichtung innerhalb und außerhalb des Körpers ist gegenläufig, viel taktiles Gefühl geht verloren, der Kameramann, der das Endoskop nachführt, soll immer konzentriert sein und nicht zittern. Deshalb befassten sich schon in den 1980er Jahren die ersten Forschergruppen mit der Frage, wie robotische Elemente die Situation verbessern können, wie insbesondere die sechs Raumfreiheitsgrade der menschlichen Hand »intuitiv« durch kleine Löcher ins Körperinnere gelangen könnten. In Deutschland bedeutet »Forschungsförderung« jedoch oft »Forschungsverhinderung« – auch in diesem Fall.

Eine Schlüsseltechnik ist die »wirklichkeitsnahe Telepräsenz«. Darunter ist das Ziel zu verstehen, an einem Ort zu agieren und (nicht nur im medizinischen Sinn) zu »operieren«, der im Allgemeinen nicht zugänglich ist, sei es wegen zu großer Entfernung und unwirtlicher Umgebung (Weltraum), zu großer Strahlenbelastung (Kernkraftbereich) oder wegen der »Barriere « Körperhülle (Chirurgie).

Dabei sollte aber der Teleoperator das realistische Gefühl haben, er wäre direkt vor Ort und hätte keine bedeutenden Einschränkungen; dies bedeutet wenigstens Stereobildübertragung und haptische Kraftrückkopplung (gegebenenfalls auch akustische Signale).

Bild 1: Da ist man als Patient für die Anästhesie doppelt dankbar: das chirurgische Robotersystem »Da Vinci« aus dem Jahr 1999
© Intuitive Surgical

So nimmt es nicht wunder, dass es in den USA eine Truppe ehemaliger NASA-Mitarbeiter war, die am Stanford Research Institute SRI Ende der 80er Jahre ein dreiarmiges Telechirurgiesystem zu entwickeln begann, das von der um 1995 ausgegründeten Firma Intuitive Surgical später den Namen »Da Vinci« (Bild 1) bekam.

In Deutschland war es vor allem das Forschungszentrum Karlsruhe, das sich nach Wegfall der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf neue Ziele für die Manipulatorfernsteuerung suchte. Und in der Tat entstand dort Anfang der 90er Jahre der vermutlich weltweit erste Demonstrator »ARTEMIS« für die aus wenigen Metern ferngesteuerte, minimal invasive Roboterchirurgie.

In Kalifornien begann etwa zur gleichen Zeit die neu gegründete Firma Computer Motion, sich um die minimal invasive Roboterchirurgie zu kümmern.

Bild 2: Der Aesop 3000 von Computer Motion
© DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. Institut für Robotik und Mechatronik

Deren zunächst für die sprachgesteuerte Laparoskopführung (ein Instrument zur Bauchspiegelung) gedachten »AESOP«-Roboter (Bild 2) entwickelte das DLR-Institut für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen im Hinblick auf die vollautomatische Laparoskopführung weiter (bei ansonsten noch händischer Instrumentenführung).

1995 wurden damit am Münchner Klinikum rechts der Isar die ersten 30 Patienten im Bereich der Abdominalchirurgie erfolgreich operiert. In den USA aber begann ein zum wesentlichen Teil über die Patentsituation ausgetragener Kampf zwischen den Firmen Intuitive Surgical und Computer Motion.

Letztere war ja als erste auf dem Markt aufgetreten. Deren dreiarmiges »ZEUS«-System,  das mit einfach abwinkelbaren Instrumentenspitzen allerdings nur fünf Freiheitsgrade nachbilden konnte, wurde auch in deutschen (Herz-) Kliniken angeschafft, mit ihm wurde im September 2001 sogar die erste transatlantische Gallenblasenoperation von New York nach Straßburg demonstriert.

Zwietracht

Offiziere der US-Armee trugen in voller Uniform auf Robotik-Konferenzen die Visionen vom Schlachtfeld der Zukunft vor, auf dem verletzte Soldaten in die gut verfügbaren Sanitätswagen gebracht, dort aber aus sicherer Entfernung vom nicht ersetzbaren Chirurgen fernoperiert würden.

In Deutschland konnte man mit solchen Visionen wenig anfangen, dachte aber nicht daran, dass es für dieses Konzept kaum einen Unterschied macht, ob der fernsteuernde Chirurg wenige Meter oder viele Kilometer vom Patienten entfernt sitzt.

Und außerdem sorgten in Deutschland die Probleme, die bei Hüftoperationen mit dem so genannten RoboDoc aufgetreten waren, für eine sehr zurückhaltende, um nicht zu sagen negative Stimmung gegenüber der Chirurgie-Robotik. Der Firma Intuitive gelang es dann 2003, den (einzigen) Konkurrenten Computer Motion zu übernehmen und damit den Patentstreit zu beenden.

Das ZEUS-System wurde zugunsten des eigenen Da Vinci eingestellt. In Deutschland musste das Forschungszentrum Karlsruhe schon Ende der neunziger Jahre seine Arbeiten an der Chirurgie-Robotik beenden, weil dort andere Prioritäten gesetzt wurden.

Das DLR-Robotik-Institut, das die weltweit längste Erfahrung mit der telepräsenten Roboterfernsteuerung im Erdorbit hat und den DFG-Sonderforschungsbereich »Wirklichkeitsnahe Telepräsenz und Teleaktion« an der TU München mitbegründet hat, begann daraufhin, ein eigenes Drei-Arm-System namens »MiroSurge« für die minimal invasive Roboterchirurgie zu entwickeln.

2005 bewarb sich das Institut im Rahmen eines größeren Konsortiums mit führenden deutschen Kliniken um die Ausschreibung »SOMIT« (Schonendes Operieren Mit Innovativer Technik) und gelangte in die Endausscheidung. Für den Tag nach der Präsentation der sechs Finalisten (aus über 30 Bewerber-Konsortien) in Berlin war das Gutachtervotum öffentlich angekündigt.

Es gab aber keine Verkündung. Nach Wochen und mehreren Nachfragen wurde den MiroSurge-Entwicklern mitgeteilt, das Gutachtervotum sei leider »durch eine nachgängige Entwicklung im Bundesforschungsministerium überholt«. Es half dann auch nicht, dass der Vorsitzende der Gutachterkommission gegenüber der amtierenden Ministerin Frau Bulmahn seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck brachte, dass das »innovativste Projekt der Ausschreibung nicht zur Förderung gelangt«.

Die Bayerische Forschungsstiftung, der großer Dank gebührt, versuchte schließlich mit einer Förderung von ca. 1,5 Mio. € die Arbeiten zu retten, weil das DLRInstitut keinerlei Grundfinanzierung in der Medizintechnik hat.

Marktmacht

Inzwischen hatte aber der US-Monopolist Intuitive längst einige Da-Vinci-Systeme in deutschen Herzzentren platziert, jedes im Wert von ca. 1,5 Mio. €. Die Chirurgen sprachen sich verhalten positiv aus, das Leipziger Herzzentrum gehörte bald zu den Kliniken mit der weltweit größten Erfahrung in der minimal invasiven Roboter-Chirurgie. Mit einem echten Durchbruch in kurzer Zeit rechneten aber die wenigsten.

Bild 3: Das Chirurgiesystem »da Vinci Si HD« aus dem Jahr 2009
© DLR Deutsches Zentrumn für Luft- und Raumfahrt e.V. Institut für Robotik und Mechatronik

Der kam zur Überraschung aller Experten vor etwa zwei Jahren mit der Entdeckung der Urologen, dass es bei Operationen im so genannten kleinen Becken mit dem eng beieinander liegenden Nervensystem zu wesentlich weniger bleibenden Komplikationen kommt (von der wesentlich schnelleren Rekonvaleszenz ganz zu schweigen), wenn man mit dem Da Vinci operiert (Bild 3).

Und es begann ein Aufschwung, der von Insidern manchmal mit dem von Microsoft oder Google verglichen wird. Es heißt, dass derzeit ca. 80% aller radikalen Prostataoperationen in USA mit dem Robotersystem ausgeführt werden, vor kurzem in Deutschland auch bei einem bekannten Politiker.

Kliniken in USA werben sich gegenseitig Patienten ab mit dem Hinweis auf die neue Chirurgie, die Firma Intuitive ist an der Börse mit mehreren Milliarden Euro bewertet und hat inzwischen ca. 1000 Mitarbeiter.

Allerdings gibt es gerade von klinischer Seite auch aus den USA erhebliche Kritik an dieser Monopolstellung und der damit verbundenen Kostensituation, verursacht vor allem durch die von Intuitive selbstgebauten Instrumente, die nach einigen Operationen ersetzt werden müssen.

Auf erhebliches Interesse stieß daher ein Bericht des Wall-Street-Börsenanalysten Oppenheimer, der das MiroSurge-System des DLR als die einzig sichtbare beziehungsweise ernsthafte Konkurrenz zum Da Vinci bezeichnete.

Auch Prof. Rassweiler von den SLK-Kliniken Heilbronn erregte Aufsehen, als er als Präsident des Urologen-Weltkongresses 2009 in München auf MiroSurge hinwies und sein Unverständnis darüber ausdrückte, dass namenhafte Medizintechnik-Konzerne in Deutschland die weltweite Entwicklung der Zukunfts-Chirurgie übersehen haben.

Mit kaum mehr als zwei bis drei Prozent der Entwicklungskosten, die die US-Kollegen verfügbar hatten, versuchte das DLR-Team, ein europäisches, technologisch überlegenes Pendant zum Da Vinci aufzustellen, das den Chirurgen auch die Kräfte an den Instrumenten in die Hände zurückspielt.


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