Adaptive Mikroelektronik

Künstliche Muskeln erzeugen Bewegung

23. Februar 2021, 15:00 Uhr | TU Chemnitz
Dank Sensoren und künstlicher Muskeln im Mikrobereich kann künftige Mikroelektronik komplexe Formen annehmen
© IFW Dresden/TU Chemnitz

Forscher entwickeln adaptive Mikroelektronik, die sich selbstständig verformt

Die flexible und adaptive Mikroelektronik gilt als Innovationstreiber für neue und effektivere biomedizinische Anwendungen. Dazu gehört beispielsweise die Behandlung beschädigter Nervenbündel, chronischer Schmerzen oder die Steuerung künstlicher Gliedmaßen. Damit das funktioniert, ist ein enger Kontakt zwischen der Elektronik und dem neuronalen Gewebe für eine effektive elektrische und mechanische Kopplung unerlässlich. Darüber hinaus ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten durch die Herstellung kleinster und flexibler chirurgischer Werkzeuge.

Ein internationales Team um Prof. Dr. Oliver G. Schmidt, Leiter des Instituts für Integrative Nanowissenschaften am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden sowie Inhaber der Professur für Materialsysteme der Nanoelektronik an der Technischen Universität Chemnitz und Initiator des dortigen Zentrums für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) sowie Boris Rivkin, Doktorand in der Forschungsgruppe von Prof. Schmidt, konnte nun erstmals zeigen, dass eine solche adaptive Mikroelektronik durch die Analyse von Sensorsignalen in der Lage ist, sich kontrolliert zu positionieren, biologisches Gewebe zu manipulieren und auf seine Umgebung zu reagieren. Die Ergebnisse unter der Erst-Autorenschaft Rivkins sind in dem Fachmagazin „Advanced Intelligent Systems“ erschienen.

Adaptive und intelligente Mikroelektronik

Bisher war es nicht möglich, dass mikroelektronische Strukturen sowohl ihre Umgebung wahrnehmen als auch sich daran anpassen können. So gibt es zwar Strukturen mit einem Dehnungssensor, die ihre eigene Form überwachen, Mikroelektronik mit magnetischen Sensoren, die sich im Raum orientieren oder Geräte, deren Bewegung durch elektroaktive Polymerstrukturen gesteuert werden können. Eine Kombination dieser Eigenschaften zur Anwendung in einem dynamischen sich verändernden Organismus im Mikrometer-Bereich, also deutlich unterhalb eines Millimeters, gab es bisher noch nicht.

Die Grundlage für diese Anwendungen bildet eine gerade mal 0.5 mm breite und 0.35 mm lange Polymerfolie, die als Träger für die mikroelektronischen Komponenten fungiert. Zum Vergleich: Ein 1-Cent-Stück hat einen Durchmesser von rund 16 mm. Das Team der TU Chemnitz und des Leibniz-Instituts IFW in Dresden stellt nun in ihrer Veröffentlichung eine adaptive und intelligente Mikroelektronik vor, die sich mittels mikroskopisch kleiner künstlicher Muskeln gezielt verformt und sich dank Sensoren an dynamische Umgebungen anpasst.

Steuersignale für künstliche Muskeln

Dafür werden die Sensorsignale durch elektrische Verbindungen an einen Mikrocontroller geleitet, wo diese ausgewertet und genutzt werden, um Steuersignale für die künstlichen Muskeln zu erzeugen. Das ermöglicht es beispielsweise, dass sich die Werkzeuge im Miniaturformat auch an komplexe und unvorhersehbare anatomische Formen anpassen können. So sind zum Beispiel Nervenbündel immer unterschiedlich groß. Die adaptive Mikroelektronik ermöglicht es nun, diese Nervenbündel schonend zu umschließen, um ein geeignetes bioneurales Interface zu etablieren.

Wesentlich dafür ist die Integration von Form- oder Positionssensoren in Kombination mit Mikroaktuatoren. Idealerweise wird die adaptive Mikroelektronik daher in einem sogenannten „monolithischen Wafer-Scale-Prozess“ hergestellt. Sogenannte „Wafer“ sind flache Unterlagen, zum Beispiel aus Silizium oder Glas, auf denen die Schaltkreise gefertigt werden. Durch die monolithische Fertigung können viele Bauteile gleichzeitig auf einer Unterlage parallel hergestellt werden. Das ermöglicht eine schnelle und zugleich kostengünstigere Fertigung.

Einsatz in organischer Umgebung möglich

Die Bewegung und Verformung der adaptiven Mikroelektronik erfolgt mittels künstlicher Muskeln, der sogenannten »Aktuatoren«. Dieser erzeugen durch den Ausstoß oder die Absorption von Ionen eine Bewegung und können so beispielsweise die Polymer-Folie verformen.

Grundlage dieses Prozesses ist der Einsatz des Polymers Polypyrrol (PPy). Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass eine Manipulation der Form gezielt und mit bereits sehr kleiner Vorspannung (unter einem Volt) erfolgen kann. Dass künstliche Muskeln auch für den Einsatz in organischen Umgebungen sicher sind, konnte bereits in der Vergangenheit von anderen Gruppen gezeigt werden. Dabei wurde die Leistungsfähigkeit der Mikromaschinen in verschiedenen für die medizinische Anwendung relevanten Umgebungen, darunter Hirnflüssigkeit, Blut, Plasma und Urin, getestet.

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(me)


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