Für welche Indikationen die neue Maschine den meisten Nutzen bringt erforscht Prof. Aad van der Lugt. Er leitet die Radiologische Forschung am Erasmus Medical Center in Rotterdam, das im Frühjahr 2021 einer der weltweit ersten photonenzählenden CT-Scanner (Photon-Counting CT, PCCT) erhielt. Seitdem erkundet van der Lugt mit seinem Team die neuen Möglichkeiten – und damit auch die Business Cases, welche mit den neuen Computertomografen und den magischen Kristallen aus Forchheim entstehen. Der Radiologe statuiert im Videochat: »Kurz gesagt erkennt das PCCT mehr und genauer. Das ermöglicht uns eine präzisere Diagnose und präzisere OPs, weil Chirurgen die Anatomie besser erkennen.«
Für Van der Lugt ist die höhere klinische Verlässlichkeit der ausschlaggebende Punkt der Diagnose, »es geht um Schätzen versus Wissen«. Die signifikant höhere Auflösung des PCCTs liefere den Ärzten mehr Details, mit weniger Bildrauschen und mit weniger Fehlern im Bild. Kleinere Anomalien könnten damit viel früher erkannt werden. Ein weiterer Vorteil ist laut van der Lugt die Tatsache, dass die CdTe-Kristalle Spektralbilder liefern (Bild 6). So könnten via Jodkartierung gespritzte Kontrastmittel besser abgegrenzt werden. Der Niederländer sagt: »Die inhärente spektrale Bildgebung des PCCT erleichtert die Befundung signifikant und liefert neue, forschungsrelevante Informationen, um etwa Gefäßerkrankungen zu erkennen, die zu Schlaganfällen führen«.
»Die neue Technologie liefert markant bessere Bilder als die bisherigen CT«, bestätigt auch Prof. Dr. med. Hatem Alkadhi, Leitender Arzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsspital Zürich (USZ). Im USZ-Blog beschreibt er die Vorteile detailliert: »Die Bilder dieser Technologie sind idealerweise so detailliert, dass schon im CT Tumor-Typen bestimmt werden können oder sich bei Patienten mit einem Herzleiden eine Untersuchung mit einem Herzkatheter erübrigt. Der Verlauf von Gefäß- und Organerkrankungen kann damit sehr gut verfolgt werden. Gerade bei Lungenerkrankungen ist das ein massiver Fortschritt, weil Lungengewebe mit dem Photon-Counting CT noch besser abgebildet werden kann.«
Die Quintessenz der neuen CT-Technologie mit den photonenzählenden CdTe-Kristallen ist eine bessere visuelle Abgrenzung von Gewebe, Arterien, Knochen, Implantaten und allen anatomischen Gegebenheiten im menschlichen Körper. Chirurgen können mit dem verbesserten Blick in den Körper genauere Operationen durchführen, zum Beispiel bei einer Verengung der Halsschlagader. »Wir können anhand der PCCT-Bilder viel deutlicher sehen, ob ein Stent offen ist, und so einen weiteren Herzinfarkt vermeiden«, sagt van der Lugt. Sein Kollege Prof. Alkadhi glaubt sogar, »dass in naher Zukunft die Herz-CT-Angiographie mittels PCCT-Technologie die empfohlene Bildgebungsmethode für die Nachuntersuchung von Koronar-Stents sein wird.« In einem Video zu den klinischen PCCT-Erkenntnissen beschreibt der Radiologe aus Zürich: »Mit dem ultrahochauflösenden Modus gehen wir in der Herzbildgebung zum ersten Mal auf eine Schichtdicke von 0,2 Millimetern herunter. Wir können Details des Herzens sehen, die bisher unsichtbar waren.«
Die höhere Auflösung ist nur ein Vorteil der PCCT-Technologie. »Insbesondere bei Wirbelsäulen-CTs- und Kindern kommt auch die deutlich verringerte Strahlendosis der neuen Scanner zum Tragen«, erklärt Prof. van der Lugt aus Rotterdam. Denn CT-Untersuchungen können zwar lebensrettende Informationen liefern, sie sind aber auch eine hohe Belastung für den menschlichen Körper. Neueste Studien bestätigen sogar ein höheres Hirntumorrisiko durch CT-Röntgen bei Kindern. Dem entgegenwirkend kann die Strahlendosis mit den PCCT-Scannern laut Prof. Alkadhi um bis zu 40 Prozent reduziert werden, ebenso wie der Einsatz von Kontrastmitteln – so profitieren auch ältere Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion von den sehenden Kristallen.
»Für ein Krankenhaus bedeutet die Anschaffung eines PCCT-Gerätes eine außergewöhnlich hohe Investition«, sagt Prof. van der Lugt. In seiner Forschung muss der Radiologe neben der medizinischen Wirksamkeit auch die Wirtschaftlichkeit der neuen Geräte argumentieren. »In der klinischen Routine spart die Technologie auch jede Menge Kosten«. Er verweist auf effizientere radiologische Workflows inklusive aller dadurch entstehenden Einsparungen bei Personal, Material und Zeit. »Für Patienten reduzieren sich die Tage im Krankenhaus. Wir können viel schneller einschätzen, ob eine Operation nötig ist oder nicht,« die Zeit der Unsicherheit und des Wartens verkürze sich deutlich.
»Bei Innenohr-, Herzinfarkt-, arteriellen und neurologischen Indikationen sorgen die PCCT-Scanner bereits heute für eine besserer Wirtschaftlichkeit, u. a. durch einen höheren Durchlauf an Patienten«. Damit sollte sich mittelfristig auch die Wartezeit für CT-Untersuchungen verringern, zumal Siemens Healthineers auch kostengünstigere CT-Modelle mit der Photon-Counting-Technik andenkt. Nach knapp zwei Jahren Forschung resümiert der niederländische Arzt: »Photonenzählende CT-Scanner werden hoffentlich bald alle herkömmlichen CTs ersetzen.« Die grauen Kristallaugen aus Forchheim und die damit ausgestatteten Medizingeräte gelten für Prof. Aad van der Lugt und viele seiner Kollegen schon jetzt als die Zukunft der Computertomografie.