Bildgebende Diagnostik

Automatisierte Analyse von Bilddaten

17. Juni 2020, 10:30 Uhr | Fraunhofer IGD
Fraunhofer-Forscher entwickeln eine Software, die bereits im Ultraschall bösartig veränderte Lymphknoten erkennt.
© Fraunhofer IGD

Wie sich bösartig veränderte Lymphknoten per Ultraschall diagnostizieren lassen

Die Sonographie ist eines der wichtigsten bildgebenden Verfahren, auch in der Diagnostik von Krebserkrankungen. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, Darmstadt, entwickeln eine digitale Plattform, die bösartig veränderte Lymphknoten im Hals-Kopf-Bereich in Ultraschallaufnahmen erkennt und Biopsien überflüssig macht. Für die Software »Echomics« prüfen die Entwickler derzeit die Aussagekraft zahlreicher Bild- und Biomarker. Mitte 2021 soll die Software einsatzbereit sein. 

Diagnose ohne Umwege

Die Medizin der Zukunft sucht nach Technologien, die eine schnelle und sichere Diagnostik ohne Umwege erlauben. So sollen Ärzte bald per Ultraschall bösartig veränderte Lymphknoten erkennen können, die von Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich streuen. Eine Biopsie wäre überflüssig. »Die Aussagekraft unserer Anwendung wird so gut sein, dass sich die passende Therapie ohne weitere Untersuchungen direkt anschließen kann«, sagt Matthias Noll, stellvertretender Leiter der Abteilung Visual Healthcare Technologies am Fraunhofer IGD. Im Idealfall schlägt die Software anhand der Daten die beste Therapie vor, die bei diesem speziellen Patienten Sinn macht.

Schon heute wird Ultraschall in der Diagnostik dieser Tumore regelmäßig eingesetzt, allerdings genügt die Bildgebung nicht für eine hundertprozentige Diagnose. Das soll sich mit der Software des Fraunhofer IGD nun erstmalig ändern. Sie nutzt Bio- oder Bildmarker, die aus der automatisierten Analyse von Tumoren in radiologischen Bilddaten bekannt sind, sogenannte Radiomics. Weitere ultraschallspezifische Marker verbessern die Erkennung zusätzlich, sodass eine objektive Analyse der Bilddaten möglich ist. In der aktuellen Entwicklungsphase werden bis zu 4000 verschiedene Marker getestet. Neben Aussehen und Größe berücksichtigt die Software beispielsweise auch die Härte des Lymphknotens, seine Randbeschaffung oder die Texturierung des Gewebes. »Derzeit sind wir dabei, die Aussagekraft jedes einzelnen Markers zu bestätigen und die besten auszusuchen«, so Noll. 

Signatur für Plattenepithelkarzinom erlaubt Diagnose

Neben den reinen 3D-Bilddaten wird die Anwendung auch klinische Daten der Patienten, wie Geschlecht, Alter, Lebensgewohnheiten berücksichtigen. Dadurch lassen sich bei der Diagnose individuelle Risiken berücksichtigen. Am Ende wird eine Art Signatur für das in Lymphknoten metastasierte Plattenepithelkarzinom stehen, die eine exakte Diagnose erlaube und in die Wahl einer personalisierten, idealen Therapie mündet. Mit jedem weiteren Patienten, der anonymisiert in die Datenbasis aufgenommen wird, werden die Ergebnisse genauer. Die Software kann bei der Erstdiagnose genauso gut wie für einen Follow-up verwendet werden. 

Analyseumgebung für die klinische Forschung

Zum besseren Verständnis der erzeugten Patientendaten werden diese mithilfe von Methoden der Visual Analytics explorierbar gemacht. Dafür entwickeln die Wissenschaftler des Fraunhofer IGD ein Dashboard, also eine Oberfläche zur Darstellung der Daten. »Mit dieser Analyseumgebung für forschende Kliniker lassen sich verschiedene wissenschaftliche Fragestellungen untersuchen«, sagt Jörn Kohlhammer, Leiter der Abteilung Informationsvisualisierung und Visual Analytics. Durch die große Datenmenge lassen sich Hypothesen herleiten und anhand der Daten validieren. Mediziner können nach ähnlichen Patienten suchen und ihre Hypothesen anhand von Patientenkohorten prüfen. Dadurch könnten neue Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie gewonnen werden. 

Rasche Progression erfordert schnelle Diagnose

Jedes Jahr erkranken rund 17.000 Patienten an Tumoren im Kopf-Hals-Bereich wie Zunge, Mundboden und Kehlkopf, dreiviertel von ihnen sind Männer. Neun von zehn Tumoren lassen sich den Plattenepithelkarzinomen zuordnen. Das heißt, sie gehen von der Schleimhaut aus. Die Hals-Lymphknoten sind Teil der Diagnostik und Nachsorge bei derartigen Tumoren.

Wichtiges Untersuchungsmittel: der Ultraschall. Er ist günstig, kommt ohne ionisierende Strahlung aus und ist überall verfügbar. Allerdings ist das Ergebnis von Untersucher und Gerät abhängig. Im Zweifel müssen auffällige Lymphknoten biopsiert werden. Vor allem beim Plattenepithelkarzinom ist jedoch schnelles Handeln gefragt. Biopsien bedeuten für die Patienten einen möglicherweise überflüssigen Eingriff mit viel Verunsicherung und Ängsten. (me)


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