Unscharfe Hörwahrnehmung

Forschen für bessere Cochlea-Implantate

10. März 2020, 12:00 Uhr | TU München
3D-Abbildung des menschlichen Innenohrs mit einer Cochlea-Implantatelektrode: In violett sind die rekonstruierten Fasern des Hörnerven dargestellt.
© TUM

Dank eines Cochlea-Implantats können gehörlose Menschen wieder hören. Um die Implantate zu optimieren, haben Forschende der Technischen Universität München ein Computermodell entwickelt, mit dem sich die vom Implantat erzeugten neuronalen Erregungsmuster im Hörnerv vorhersagen lassen.

Normalhörende Menschen nehmen Schall über die Haarsinneszellen auf, die sich in der Hörschnecke – dem mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum des Innenohrs (lateinisch Cochlea) –befinden. Die Haarsinneszellen setzen Schallschwingungen in Nervenimpulse des Hörnervs um, welche zum Gehirn weitergeleitet werden und dort Hörempfindungen hervorrufen.

Seit einigen Jahrzehnten können gehörlose Menschen, bei denen diese Haarsinneszellen beschädigt sind, dank sogenannter Cochlea-Implantate in einem erstaunlichen Maße wieder hören. Die Geräte nehmen über ein externes Mikrofon die Schallinformation aus der Luft auf und leiten sie zu im Innenohr implantierten Elektroden. Mit Stromimpulsen reizen sie dort unmittelbar die Hörnerven und lösen so bei der Patientin oder dem Patienten wieder einen Höreindruck aus.

Anzahl der Elektroden beschränkt

Durch die spezielle Konstruktion des Innenohres sind die Hörsinneszellen an verschiedenen Stellen der Hörschnecke für verschiedene Frequenzen empfindlich. Die Impulse, welche über die angedockten Nerven weitergeleitet werden, nehmen wir als Töne der entsprechenden Höhe wahr. Auch die Elektroden eines Cochlea-Implantats sind an verschiedenen Stellen entlang der Hörschnecke positioniert. Trifft Schall einer bestimmten Frequenz auf das Mikrofon des Implantats, sendet eine spezifische Elektrode elektrische Signale aus.

Eine Elektrode erregt aber nicht nur die Nervenfasern in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern wegen der breiten Stromausbreitung im mit Salzwasser gefüllten Innenohr auch Nervenfasern in weiter entfernten Bereichen der Hörschnecke. Dies führt dazu, dass Cochlea-Implantat-Nutzer Signale von Elektroden, die sich zu nah nebeneinander befinden, nicht unterscheiden können. Dieser Effekt beschränkt die Anzahl der Elektroden beim Bau der Implantate.

Computermodell zeigt Signalausbreitung

Um zu verstehen, wie die Elektrodenkontakte am günstigsten platziert werden können, muss man wissen, wie die Signale der einzelnen Elektroden die Nerven erregen. Diesem Ziel sind nun Forschende der Arbeitsgruppe von Werner Hemmert, Professor für Bioanaloge Informationsverarbeitung an der Technischen Universität München (TUM) laut eigener Aussage ein großes Stück nähergekommen. Sie haben ein Computer-Modell entwickelt, mit dem sich die Ausbreitung der elektrischen Signale im Innenohr präzise berechnen lässt.

Als Grundlage haben sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen am Klinikum rechts der Isar der TUM mithilfe eines Computertomografen zunächst eine hochaufgelöste dreidimensionale Abbildung des Knochens erzeugt, der die Hörschnecke beinhaltet. »In der Darstellung waren auch die feinen Poren sichtbar, durch die die Faserbündel des Hörnervs verlaufen« erklärt Siwei Bai, Postdoc in Hemmerts Forschungsgruppe und Erstautor der Studie. Mithilfe eines in der Arbeitsgruppe entwickelten Algorithmus konnte anhand der dreidimensionalen Mikrostruktur dieser Poren der Verlauf einzelner Nervenfasern rekonstruiert werden – von der Hörschnecke durch den Knochen bis in den Hirnstamm.

Komplexer als angenommen

»Wir waren überrascht, wie ungleichmäßig die Nervenfasern auf die elektrischen Signale des Implantats reagieren«, so Hemmert. Manche seien sehr empfindlich und würden von fast allen Elektroden leicht erregt. »Andere sind unempfindlicher und werden hauptsächlich von den ihnen am nächsten liegenden Elektroden stimuliert.«

Das liegt an feinen anatomischen Unterschieden und dem genauen Verlauf der Hörnervenfasern.Man könne also nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Elektrode näher gelegene Nerven stärker erregt als weiter entfernte. Bisher hatten Forschende radialsymmetrische Modelle verwendet, welche eine mit dem Abstand zur Elektrode gleichmäßig abfallende Empfindlichkeit der Hörnervenfasern vorhergesagt hatten.

Implantate optimieren – Lebensqualität verbessern

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden in ihrem Modell auch die genaue Struktur der einzelnen Nervenfasern berücksichtigen. Dann werden sie zusätzlich bestimmen können, unter welchen Voraussetzungen und wo genau die elektrischen Pulse entlang des Nervs ausgelöst werden und wie sich diese zum Gehirn ausbreiten. All diese Ergebnisse werden dann in die Entwicklung von neuen Implantaten einfließen, welche die Qualität der Stimulation, damit das Sprachverstehen und letztlich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern wird, so Hemmert.

Themen in diesem Artikel

Neuroprothesen, Cochlea-Implantat,  Mikromechanik, 3D-Visualisierung

(me)


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