Netzhautprothese

Heilung für Blinde?

1. Juni 2021, 10:30 Uhr | EPFL
Unermüdlich: Diego Ghezzi forsch seit 6 Jahren an einer Netzhautprothese, dank der Blinde wieder sehen können.
© EPFL

Netzhautprothese könnte das Augenlicht wiederherstellen

Die Wiedererlangung des Sehvermögens zählte schon immer zu den grössten wissenschaftlichen Herausforderungen. Diego Ghezzi, Inhaber des Medtronic Lehrstuhl für Neuroengineering an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der EPFL, hat sich genau diesem Ziel verschrieben. Seit 2015 arbeitet er an der Entwicklung einer Prothese, die auf der Netzhaut des Auges angebracht wird. Dieses Gerät funktioniert mittels einer intelligenten Brille, die mit einer Kamera und einem Computer ausgestattet ist. »Zweck des Geräts ist es, blinden Menschen mithilfe elektrischer Stimulation der Netzhaut künstliches Sehen zu ermöglichen«, erklärte Diego Ghezzi.

Ein Sternenhimmel aus Lichtpunkten

Eine Minikamera, die auf dem Brillengestell angebracht wird, erfasst Bilder im Sichtfeld des Trägers und überträgt sie an den Minicomputer, der auf einem der Bügel montiert ist. Der Computer wandelt diese Daten dann in Lichtsignale um, die an die Elektroden gesendet werden, aus denen die Prothese besteht. Mit diesen Elektroden werden die Zellen der Netzhaut stimuliert. Patienten sehen somit ein reproduziertes und vereinfachtes Bild. Sie nehmen nicht die Realität wahr, sondern ein Schwarzweissbild, das sich aus diesen Lichtpunkten zusammensetzt.

Letztere erscheinen, wenn eine Elektrode des Geräts die Netzhaut aktiviert. Werden viele von ihnen gereizt, muss der Patient lernen, diese Lichtpunkte zu interpretieren und Formen und Objekte zu erkennen. »Beim Betrachten des Nachthimmels nehmen wir die Sterne als Lichtpunkte wahr und dadurch, dass wir sie identifizieren, können wir bestimmte Konstellationen erkennen. Eine blinde Person nimmt mit unserem System die gleiche Art von Bild wahr«, berichtete Diego Ghezzi.

Der einzige Nachteil ist, dass diese Technologie bisher noch nicht am Menschen getestet wurde. Um zu diesem letzten Schritt übergehen zu können, müssen wir uns der Ergebnisse sicher sein. »Im Moment dürfen wir unser Gerät nicht bei Patienten implantieren, denn medizinische Zertifizierungen brauchen Zeit. Doch wir haben eine Methode entwickelt, mit welcher das Testen trotzdem möglich ist, eine Art Abkürzung also«, sagte Diego Ghezzi. Sein Team nutzte virtuelle Realität, um das zu imitieren, was Patienten mit der Netzhautprothese sehen würden. 

Prothese mit 10.500 Elektroden

Wenn Fachleute sich mit dem Sehen befassen, gibt es zwei Parameter, die sie berücksichtigen müssen: das Gesichtsfeld und die Auflösung. Die Forscher wollten prüfen, ob für diese beiden Punkte bei ihrer Netzhautprothese alle Wirksamkeitskriterien erfüllt sind.

Die Prothese ist mit 10.500 Elektroden ausgestattet, die je einen Lichtpunkt erzeugen. »Wir mussten herausfinden, ob diese Anzahl ausreichend oder übertrieben ist. Es ist wichtig, das richtige Mittelmass zu finden, damit das Bild nicht unklar wird. Der Patient muss in der Lage sein, zwei nahe beieinander liegende Punkte zu unterscheiden, ohne sie zu vermischen. Gleichzeitig müssen ausreichend Punkte angeboten werden, um eine akzeptable Auflösung des Bildes zu erzielen«, erklärte der Professor.

Die Wissenschaftler mussten prüfen, ob jede Elektrode der Prothese auch wirklich einen Lichtpunkt erzeugte. »Wir wollten sicherstellen, dass nicht zwei Elektroden denselben Teil der Netzhaut stimulierten. Deshalb führten wir elektrophysiologische Tests durch, bei welchen die Aktivität der retinalen Ganglienzellen aufzeichnet wurde. Das Ergebnis war erfreulich und bestätigte, dass jede Elektrode einen anderen Teil der Netzhaut aktiviert«,sagt Ghezzi.

Aber wie konnte das Team herausfinden, ob diese Auflösung von 10.500 Lichtpunkten gut ist? Um diese Frage zu beantworten, rekonstruierten die Forscher mittels virtueller Realität das, was ein Patient mit der Prothese wahrnimmt. »Diese Simulationen haben gezeigt, dass die Anzahl der Lichtpunkte und damit auch die Anzahl der Elektroden Sinn macht. Eine höhere Anzahl würde für die Patienten hinsichtlich der Auflösung keine Verbesserung bringen«, so Ghezzi.

Die Wissenschaftler führten auch Experimente mit der gleichen Auflösung durch, bei welchen jedoch der Winkel des Gesichtsfelds verändert wurde. »Wir begannen bei 5 Grad und öffneten bis zu 45 Grad. Der Sättigungspunkt war bei etwa 35 Grad erreicht. Darüber hinaus blieb die Leistung des Objekts stabil«, erklärte Diego Ghezzi. Alle diese Experimente bestätigten den Forschern, dass die Leistungsfähigkeit ihres Geräts nicht verbessert werden muss und es für klinische Tests bereit ist. Bis diese Technologie jedoch in die Augen von Blinden implantiert werden kann, braucht es noch Geduld.

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(me)


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