Apoplex-Forschung

Knopf im Ohr beschleunigt Erholung nach Schlaganfall

26. Mai 2023, 15:55 Uhr | Kathrin Veigel
Das neue Rehabilitationssystem der ETH-​Forscher soll Patienten nach einem Schlaganfall helfen, sich schneller zu erholen. 
© Donegan und Viskaitis/ETH Zürich

​Forscher der ETH Zürich haben einen smarten Ohrstöpsel entwickelt, der Menschen nach einem Schlaganfall dabei helfen soll, Bewegungen einfacher und schneller wieder zu erlernen. Er stimuliert das Gehirn, wodurch Schaltkreise neu vernetzt werden.

Der Schlaganfall ist weltweit der häufigste Grund für eine bleibende körperliche Beeinträchtigung im Erwachsenenalter. Betroffene können oft Bewegungsabläufe des alltäglichen Lebens – wie Gehen oder Nach-​etwas-Greifen – gar nicht oder nur mehr schlecht ausführen. Ein Grund dafür ist, dass der Schlaganfall Regionen im Gehirn beschädigt, die für diese Bewegungen mitverantwortlich sind.

Klinische Studien haben gezeigt, dass die Stimulation des Vagusnervs eine wichtige Rolle dabei spielt, beschädigte Hirnregionen nach einem Schlaganfall zu rehabilitieren. Dadurch konnten Betroffene ihre Beweglichkeit schneller und besser wiederherstellen.

Doch bis dato ist dafür eine teure Operation unter Vollnarkose notwendig, denn es muss dazu ein Impulsgeber unter die Haut implantiert werden. In der Regel kann dieser Eingriff erst ein Jahr nach dem Schlaganfall durchgeführt werden. Dadurch verlieren Patienten wertvolle Zeit.

Die ETH-​Wissenschaftler Paulius Viskaitis und Dane Donegan vom Rehabilitation Engineering Laboratory haben nun ein neues System entwickelt, mit dem die Stimulation des Vagusnervs in Zukunft viel einfacher und schneller möglich ist.

»Unser Ohrstöpsel aktiviert den Nerv in der Ohrmuschel mittels subtiler, elektrischer Reize. Ein operativer Eingriff ist nicht mehr notwendig«, erklärt Viskaitis, der kürzlich ein Pioneer Fellowship der ETH Zürich erhalten hat, um die Technologie auf den Markt zu bringen.

Elektrischer Reiz unterstützt das Gehirn beim Lernen

Neurowissenschaftler Donegan konnte zudem vor wenigen Jahren zeigen, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den Vagusnerv stimuliert, sondern auch wann man dies tut. Besonders wirksam sind die elektrische Reize nämlich dann, wenn Schlaganfallpatienten Bewegungen ausführen, die ihnen nach dem Schlaganfall motorisch Schwierigkeiten bereiten. Dadurch werden im Gehirn motorische Schaltkreise neu vernetzt, um die fehlende Funktion jener Regionen zu kompensieren, die durch den Schlaganfall beschädigt wurden.

»Vergleichbar mit der Rekonfiguration einer Software fördert der Reiz des Nervs die Neuroplastizität, hilft dabei neue Synapsen zu bilden und unterstützt das Wiedererlernen von Bewegungen«, so Donegan.

Bewegungssensor ermöglicht gezieltes Stimulieren

Ein weiterer Nachteil der Behandlung mit implantiertem Sensor ist, dass ein Therapeut oder eine Therapeutin den Stimulator manuell bedienen muss. Dies ist kostspielig und zeitintensiv.

Die zwei ETH-​Forscher haben daher einen Bewegungssensor entwickelt, der einer Smartwatch ähnlich ist. Diesen tragen Schlaganfallpatient:innen dort, wo ihre Motorik beeinträchtigt ist – so zum Beispiel am rechten Arm. Mittels einer speziellen Software, die ebenfalls von Viskaitis und Donegan entwickelt wurde, analysiert der Sensor die Bewegungen des Arms in Echtzeit und teilt dem Ohrstöpsel mit, wann der Patient diesen besonders gut bewegt hat.

Daraufhin wird der Vagusnerv stimuliert, und das Gehirn prägt sich den richtigen Bewegungsablauf schneller und wirksamer ein. Im Fachjargon wird dieser Ablauf Verstärkendes Lernen genannt. 

Therapie auch zu Hause möglich

Im Unterschied zu bestehenden Behandlungsmethoden können Schlaganfallpatienten die Technologie der ETH-​Forscher ohne professionelle Betreuung nutzen. Zudem soll der Bewegungssensor Therapeuten ermöglichen, den Fortschritt ihrer Patienten ganz bequem auf dem Smartphone zu beobachten. Davon erwarten sich die ETH-​Forscher weitere Fortschritte bei der Behandlung.

Viskaitis und Donegan wollen noch diesen Sommer ein ETH-​Spin-off gründen und möglichst schnell Tests mit gesunden Menschen durchführen. Anschließend planen sie die erste klinische Studie. (kv)

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