Deep Learning

Schau mir auf die Netzhaut

8. März 2022, 8:00 Uhr | Fortiss
Die diabetische Retinopathie lässt sich zwar nicht heilen, wird sie jedoch frühzeitig erkannt, können die Folgen für das Sehvermögen deutlich reduziert werden.
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So hilft KI bei der Früherkennung der diabetischen Retinopathie

Inhalt der Themenwoche Embdded goes Medical

Die diabetische Retinopathie ist die häufigste Ursache für den Verlust des Sehvermögens bei Erwachsenen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren in Europa. Frühzeitig erkannt, kann eine Behandlung den Verlust der Sehkraft wirksam reduzieren oder sogar verhindern. Jedoch gibt es bisher nur in wenigen Ländern nationale Screening-Programme zur Diagnostik. Diese sind zudem sehr kostspielig.

Ubotica Technologies will das ändern und hat eine auf Deep Learning basierende Lösung entwickelt, die Indikatoren für die Erkrankung in Netzhautbildern erkennt und sichtbar macht. Im Rahmen eines Open Call konnte das Unternehmen das Team von Fortiss damit bereits überzeugen. 

KI-Unterstützung in der Diagnose

Durch den Einsatz der von Fortiss entwickelten Software »Neural Network Dependability Kit« (NNDK) konnte das Deep-Learning-Modell mittlerweile so verbessert werden, dass es direkt in einer Funduskamera eingesetzt werden kann. Das Gerät unterstützt Augenärzte bei der genauen und konsistenten Bewertung sowie im Rahmen der Diagnose. Zu diesem Zweck liefert sie mithilfe von NNDK auch Informationen über die Grundlage, auf der die Bewertung vorgenommen wurde.

Ziel der gemeinsamen Weiterentwicklung war es, einen funktionierenden Prototyp zu erstellen, der die Klassifizierung von Netzhautfundusbildern auf das Vorhandensein von Indikatoren demonstriert. Die inhärenten Unsicherheiten der Algorithmen des Maschinellen Lernens schränken jedoch aufgrund ihres datengesteuerten Ansatzes die Integration in ein solches Klassifikationssystem ein – insbesondere in einem so sicherheitskritischen Bereich.

Training mit 35.000 Netzhautbildern

Wesentliche Herausforderungen beim Einsatz von auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Lösungen sind zum einen Aussagen über die Zuverlässigkeit der Entscheidungen der künstlichen neuronalen Netze (Artificial Neural Networks = ANN) hinsichtlich Robustheit, Interpretierbarkeit und Korrektheit treffen zu können und zum anderen in der stetigen Überwachung der Entscheidungen des neuronalen Netzes zu gewährleisten.

Ubotica hat, basierend auf 35.000 frei verfügbaren, vorklassifizierten Netzhautbildern, sein neuronales Netz zur Indikation der diabetischen Retinopathie trainiert. Dieses nutzt die Intel Movidius Myriad X Vision Processing Unit (VPU), eine elektronische Prozessoreinheit, die sich direkt in die Funduskamera integrieren lässt. Zunächst verarbeitet die VPU die Netzhautbilder mit ihren integrierten Bildfilterfunktionen vor. Daraufhin kommt das trainierte neuronale Netz zum Einsatz, das das Netzhautbild auf Indikatoren untersucht. Die NNDK-Software bewertet mit verschiedenen Metriken die Leistung des neuronalen Netzwerks und hilft so dabei, das Modell weiter zu verbessern.

Bei NNDK handelt es sich um eine Open- Source-Toolbox zur Unterstützung des Safety-Engineerings und zum besseren Verständnis von neuronalen Netzen. Es hilft bei der Verifikation, der Testfallgenerierung und der Berechnung von Metriken für neuronale Netze. Die Software basiert auf Methoden, die zur Modellierung und Überprüfung von Computersystemen dienen, um in sicherheitskritischen Systemen Fehlerfreiheit zu beweisen und um die Qualität von neuronalen Netzen zu bewerten. Somit können neuronale Netze entwickelt werden, die robuster, zuverlässiger sowie interpretierbarer und vertrauenswürdiger sind.

Bei der Detektion der diabetischen Retinopathie kommen insbesondere die Zuverlässigkeitsmetriken von NNDK sowie dessen Unterstützung zur Laufzeitüberwachung zum Einsatz: Mithilfe einer speziellen Metrik zu Berechnung der Neuronenabdeckung konnte etwa die Größe des neuronalen Netzes um 74 Prozent reduziert werden, ohne signifikanten Einfluss auf dessen Genauigkeit bei der Klassifikation der Netzhautbilder. Das beschleunigte die Berechnung der Klassifikationsergebnisse erheblich.

Ferner wurde die Laufzeitüberwachungsfunktion von NNDK eingesetzt, um dem Benutzer der Kamera diejenigen Trainingsbilder anzuzeigen, die dem analysierten Bild am ehesten entsprachen. Dadurch kann der Untersuchende die Entscheidung des KI-Systems nochmals unabhängig überprüfen und somit wird die In-Line-Erkennung der diabetischen Retinopathie um ein verifizierbares KI-Element erweitert.

Fazit & Ausblick

Die entwickelte Lösung zielt nicht darauf ab, das Screening der Netzhautfundusbilder durch medizinische Experten zu ersetzen. Vielmehr wird die Rolle der Untersuchenden durch die Erstellung einer ersten Klassifizierung unterstützt. Entscheidend ist zudem, dass Fortiss eine Erklärungskomponente für Mediziner hinzugefügt hat, wodurch das Vertrauen in die Entscheidung der KI gestärkt wird. 

Ubotica Technologies arbeitet zudem mit Herstellern von Retinakameras und dem irischen Gesundheitsdienst zusammen, um die Lösung im Markt weiter zu etablieren. Die Überwachungsfunktion des NNDK für die von den ANNs getroffenen Entscheidungen bietet einen erheblichen Vorteil für Lösungsintegratoren und soll Arbeitsweise von Augenärzten deutlich verbessern.


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