Google Maps fürs Gewebe

Software bringt Ordnung ins Datenchaos

6. August 2019, 15:00 Uhr | Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Jeder Interessierte kann die Software gratis downloaden.
© Janelia/MDC

Moderne lichtmikroskopische Techniken liefern überaus detailreiche Einblicke in Organe. Allerdings werden dabei Terabytes an Daten produziert, die meist kaum noch zu händeln sind. Eine neue Software sorgt nun für Übersicht.

Es passiert fast wie von Zauberhand. Mithilfe ein paar chemischer Tricks und Kniffe gelingt es seit ein paar Jahren, große Gebilde wie Mäusegehirne oder menschliche Organoide durchsichtig zu machen. CLARITY heißt die vielleicht berühmteste von vielen verschiedenen Methoden des „Sample Clearings“, mit denen fast jedes beliebige Forschungsobjekt so transparent wie Wasser wird. Auf diese Weise lassen sich Einsichten in die zellulären Strukturen gewinnen, von denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler früher nur träumen konnten.

Und das ist noch nicht alles. Im Jahr 2015 wurde im Fachblatt „Science“ mit der Expansionsmikroskopie ein weiterer Zaubertrick vorgestellt. Ein Forschungsteam am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge ließ hauchdünne Schnitte von Mäusegehirnen so anschwellen, dass sich deren Volumen fast um das Fünffache vergrößerte. Dadurch ließen sich in den Proben noch mehr Details erkennen.

Superrechner wird unnötig

»Mithilfe moderner Lichtscheibenmikroskope, die inzwischen in zahlreichen Laboren zur Verfügung stehen, können die so bearbeiteten großen Proben rasend schnell durchleuchtet werden«, sagt der Leiter der MDC-Arbeitsgruppe Mikroskopie, Bildverarbeitung & Modellierung von Entwicklungsprozessen in Organismen, Dr. Stephan Preibisch. Das Problem sei allerdings, dass dabei so große Datenmengen von mehreren Terabytes entstehen, dass sich mit ihnen in vielen Fällen gar nichts mehr anfangen lässt.

Um Ordnung in das Chaos zu bekommen, haben Preibisch und sein Team nun eine Software entwickelt, die nach Abschluss der komplexen Datenrekonstruktion ein wenig an Google Maps in 3D erinnert. »Man kann sich mit ihr sowohl einen Überblick über das große Ganze verschaffen, als auch gezielt in einzelne Strukturen hineinzoomen – immer mit der Auflösung, die gerade gewünscht ist«, erläutert Preibisch, der die Software »BigStitcher« nennt. Vorgestellt wird das Computerprogramm, das allen interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugänglich sein wird, jetzt im Fachblatt Nature Methods.

An der Entwicklung beteiligt war ein zwölfköpfiges Team aus Berlin, München, Großbritannien und den USA. Die beiden Erstautoren der Publikation sind David Hörl von der Ludwig-Maximilians-Universität München, vom Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) des MDC sowie der MDC-Wissenschaftler Dr. Fabio Rojas Rusak. Gemeinsam zeigen die Forscherinnen und Forscher in ihrem Paper, dass man die per Lichtblattmikroskopie gewonnenen Daten mithilfe entsprechender Algorithmen so rekonstruieren und skalieren kann, dass dafür kein Superrechner vonnöten ist. »Unsere Software ist für jeden gängigen Computer geeignet«, sagt Preibisch. So können die Daten auch leicht unter mehreren Forschungsteams ausgetauscht werden.

Auch die Qualität der Daten wird bestimmt

Begonnen hat die Entwicklung vom im Prinzip bereits vor rund zehn Jahren. »Damals war ich noch Doktorand und machte mir viele Gedanken darüber, wie man mit sehr großen Datenmengen am besten umgehen kann« erinnert sich Preibisch. Die in dieser Zeit  erstellten Frameworks konnten er und sein Team gut nutzen, um ein aktuelles Problem erfolgreich anzugehen. Doch natürlich seien auch viele neu erstellte Algorithmen in die Software mit eingeflossen.

Mithilfe des Programms lassen sich die zuvor durchleuchteten Proben nicht nur in beliebiger Detailgenauigkeit auf dem Bildschirm visualisieren. Die Software überprüft automatisch auch die Qualität der gewonnen Daten. Meist ist diese nämlich nicht an allen Stellen des Untersuchungsobjektes gleich. »Manchmal hat zum Beispiel das Clearing an einer Stelle nicht so gut funktioniert, so dass dort weniger Details erfasst werden konnten«, so Preibisch.

Je heller eine bestimmte Region zum Beispiel des Mäusegehirns oder des menschlichen Organoids auf dem Bildschirm hinterlegt wird, desto höher und verlässlicher ist die Aussagekraft der an dieser Stelle gewonnenen Daten. Und da selbst mit den besten Clearing-Methoden eine Probe nie hundertprozentig durchsichtig wird, lässt sich das per Mikroskop gewonnene Bild auf dem Bildschirm in jede beliebige Richtung drehen und wenden. So kann sie von allen Seiten begutachtet werden.  (me)


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