Gewebezüchtung

Venen aus dem Labor werden Wirklichkeit

28. Juni 2022, 12:30 Uhr | Ute Häußler
Viele Menschen leiden nach einer Thrombse unter dauerhafter Venenschwäche - Stützstrümpfe lindern nur die Symptome. Jetzt sollen halb-künstliche Venen aus dem Labor helfen.
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Das norwegische Start-up ClexBio stellt per Tissue Engineering menschliche Venen her.

Schwere chronische Veneninsuffizienz (CVI) ist eine stark einschränkende Krankheit, von der weltweit Millionen von Menschen betroffen sind. Sie verursacht Beschwerden wie geschwollene, schmerzhafte Beine, Ödeme, Krämpfe, Krampfadern und Geschwüre. Der Grund dafür ist eine schlechte Durchblutung, die zu einem Blutstau in den Beinen führt und die Gehfähigkeit beeinträchtigt, was mit einer deutlichen Einbusse der Lebensqualität einhergeht. Zudem belasten die hohen Kosten für die Wundversorgung das Gesundheitssystem.

Derzeit gibt es noch keine effiziente Lösung. »Das Tragen von Kompressionsstrümpfen ist nach wie vor die Standardbehandlung bei chronischer Veneninsuffizienz, deren Wirkung hinsichtlich des Wiederauftretens von Geschwüren und der Symptomlinderung jedoch kaum signifikant ist«, erklärt Dr. Antonio Rosale, klinischer Leitender bei ClexBio. »Ein durch Tissue Engineering hergestelltes Venentransplantat würde Millionen von CVI-Patientinnen und -Patienten neue Perspektiven eröffnen«.

ClexBio arbeitet mit der Schweizer Forschungsanstalt CSEM zusammen; Ziel ist es, ein völlig neuartiges Venentransplantat herzustellen, welches das Leben von Millionen von Menschen, die an tiefer Veneninsuffizienz leiden, verbessert.

Medizintechnik Thrombose Venenschwäche Tissue Engineering
Gesunder vs. gestörter Blutfluss in geschwächten Venen.
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Biologisch abbaubares Material

Venen leiten das Blut aus den Organen zurück zum Herzen. Sie verfügen über kleine Klappen, die verhindern, dass das Blut aufgrund der Schwerkraft zurückfliesst. Diese komplexe Struktur lässt sich nur sehr schwer künstlich nachbilden. ClexBio verfolgt einen einzigartigen Ansatz: Das Unternehmen hat ein mikrostrukturiertes 3D-Biomaterial entwickelt, das mit menschlichen Zellen (z. B. aus einer Zellbank) kombiniert werden kann und diese dazu bringt, sich nach einem bestimmten Muster zu vermehren und echtes menschliches Gewebe zu bilden. Hat sich das gewünschte Gewebe gebildet, werden sowohl die Zellen als auch das Gerüst entfernt. Zurück bleibt ein Implantat, das aus menschlicher extrazellulärer Matrix besteht, ein durch Tissue Engineering gewonnenes Venentransplantat.

Mit diesem Verfahren hergestellte Venentransplantate lösen nach der Implantation keine Immunreaktion aus. Sie werden vielmehr von körpereigenen Zellen der Patientin bzw. des Patienten besiedelt und verwandeln sich in funktionelles Gewebe, das sich in den Körper integriert und mit ihm wächst.

Herstellung ohne Kontamination

Die Herstellung dieser revolutionären Implantate erfordert ein geschlossenes biotechnologisches Produktionssystem, das automatisch arbeiten kann. Für dessen Entwicklung sind die Ingenieurinnen und Ingenieuren des CSEM zuständig, die über eine umfassende Erfahrung mit Hydrogelen, Automatisierung und physiologischen Mikrosystemen verfügen.

»Ein geschlossenen Produktionssystem verringert das Kontaminationsrisiko, trägt dazu bei, die Produktqualität und Sicherheit zu gewährleisten und erleichtert die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften», sagt Gilles Weder, Gruppenleiter im Bereich Cell-Mikrotechnologien am CSEM. Sein Kollege Vincent Revol, Leiter R&D Rfür die Life Science Technologien, fügt hinzu: »Im Bereich der regenerativen Medizin besteht eine der grössten Herausforderungen darin, den Übergang vom Labor zur klinischen Anwendung zu schaffen, weil dafür standardisierte und automatisierte Herstellungsprozesse erforderlich sind. Für die Erschliessung des unerhörten Potenzials neuartiger Zell- und Gentherapien werden neue Technologien wie diese entscheidend sein.« (uh)


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