Cold-Plasma-Generatoren

Medizintechnik mit kaltem Plasma

26. Mai 2023, 8:30 Uhr | Von Dr. Stefan Nettesheim, Relyon Plasma, TDK-Gruppe
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Plasma ist der vierte Aggregatzustand. In kalter Form kann es Oberflächen aktivieren oder auch sterilisieren. Bisher war die Erzeugung schwierig, doch neue Verfahren und handliche Generatoren eröffnen auch der Medizintechnik neue Potenziale für den Einsatz von Plasma.

Im Chemieunterricht werden Feststoffe, Flüssigkeiten und Gase gelehrt. Selten wird über Plasma, den vierten Aggregatzustand, gesprochen. Doch die eher unbekannte Substanz ist allgegenwärtig; laut NASA-Forschenden bestehen 99,9 Prozent des Universums aus Plasma. Natürlich vorkommende Beispiele für Plasma sind Blitze und die Aurora Borealis, die berühmten Nordlichter. Aber wie kann Plasma der Medizintechnik nutzen?
Plasma ist ein ionisiertes Gas, das entsteht, wenn viel Energie in Form von hoher Temperatur, Elektrizität oder einem Magnetfeld auf ein Gas einwirkt und dabei die Elektronen von Ionen und neutralen Teilchen wie Atomen bzw. Molekülen trennt. Je nach ihrer relativen Temperatur werden Plasmen entweder als thermisch oder nicht thermisch klassifiziert. Bei thermischen oder heißen Plasmen haben die Elektronen die gleich hohe Temperatur wie das Gas und die Ionen. Sie werden in der Metallverarbeitung zum Lichtbogenschweißen oder Plasmaschneiden verwendet. Im Gegensatz dazu befinden sich bei nicht thermischen oder kalten Plasmen die Ionen und neutralen Teilchen auf einer viel niedrigeren Temperatur als die Elektronen. Kaltplasma-Technik wird zunehmend in der Halbleiterherstellung und bei der Sterilisation medizinischer Geräte eingesetzt

Kalte atmosphärische Plasmen

Elektrische Lichtbögen, dielektrische Barrieren, Korona und piezoelektrische Direktentladungen ionisieren Gase bei Atmosphärendruck und erzeugen Plasmen. Die geladenen Teilchen – die Elektronen und die Ionen – beschleunigen innerhalb der Entladungsfelder auf hohe Energien. Nur ein kleiner Teil der Gasmoleküle wird in die energetischen Elektronen und Ionen umgewandelt, der Rest des Gases bleibt neutral und kalt. Bei der piezoelektrischen Direktentladung erreicht die Temperatur nur 30 bis 50 °C. Diese Temperaturen schädigen auch empfindliche Oberflächen nicht. Während das Plasma kalt bleibt, kollidieren die sehr energiereichen Elektronen und Ionen mit den Gasmolekülen und produzieren große Mengen an kurzlebigen chemischen Spezies, wie atomaren H-, N- und O-Spezies, OH- und ON-Radikalen, Ozon, salpetrige und Salpetersäure sowie verschiedenen anderen Molekülen in metastabilen angeregten Zuständen. Sie machen dieses Plasma chemisch sehr aktiv.

Kaltes Plasma arbeitet sehr effektiv und überhitzt Materialien nicht. Die Behandlung erstreckt sich nur auf eine wenige Nanometer dicke Schicht an der Oberfläche und verändert optisch nicht. Es werden keine giftigen Chemikalien verwendet und die vom Plasma produzierten reaktiven chemischen Spezies zerfallen innerhalb von Millisekunden nach der Behandlung. Das macht die Plasmabehandlung sicher und umweltfreundlich.

Bei Kontakt mit der zu behandelnden Oberfläche löst das chemisch aktive, kalte atmosphärische Plasma eine Vielzahl von physikalischen und chemischen Prozessen aus. Hauptmittel sind hochreaktive, kurzlebige, neutrale chemische Spezies, die vom Plasma in großen Mengen produziert werden. Wenn die elektrische Entladung die behandelte Oberfläche berührt, wird diese ebenfalls mit VUV-Licht (Vakuumultraviolettstrahlung) bestrahlt und von den energiereichen Elektronen und Ionen beschossen. Obwohl die Mengen der geladenen Teilchen gering sind, verstärkt ihre hohe Reaktivität die Wirkung des Plasmas stark. Die folgenden Verfahren tragen zur Förderung der Haftung in der Druckvorbehandlung durch die Plasmabehandlung bei:

Plasma reinigt die Oberfläche: Plasma bricht organische Bindungen schwerer organischer Moleküle auf und erzeugt leichtere und flüchtigere Moleküle, die von der Oberfläche verdunsten. Darüber hinaus oxidieren reaktive chemische Spezies organische Verunreinigungen unter Bildung von Kohlenstoffoxiden und Wasserdampf. Da die Plasmabehandlung Verunreinigungen bricht und sie in Dampf umwandelt, bleiben keine Rückstände auf der Oberfläche zurück, sodass diese im ultrafeinen, sauberen Zustand verbleiben.

Plasma reduziert Metalloxide: Plasmaentladungen, die im Formiergas gezündet werden und typischerweise 5 % Wasserstoff und 95 % Stickstoff enthalten, produzieren große Mengen an reaktiven Wasserstoffspezies. Durch Kontakt mit oxidierten Metalloberflächen reagieren sie mit Metalloxiden und reduzieren diese zu Metallatomen und Wasserdampf.

Plasma verstärkt die Oberfläche: Mit der erhöhten Behandlungsstärke entfernt Plasma schwache Oberflächenschichten im Nanometer-Bereich mit dem niedrigsten Molekulargewicht. Die aufgebrochenen Bindungen der Polymere vernetzen sich und bilden eine stärkere Oberflächenschicht.

Plasma induziert einen Phasenübergang und eine Spaltung der Polymermoleküle: Mit einer weiter erhöhten Behandlungsstärke induziert das Plasma einen Phasenübergang von der kristallinen zur amorphen Struktur der Oberflächenschicht. Letzteres diffundiert leicht in den Klebstoff und erhöht die Festigkeit der Diffusionshaftung. Außerdem bricht das Plasma die Polymermoleküle, indem es ihre scherenförmigen offenen Enden auf der behandelten Oberfläche freilegt. Dadurch wird die Diffusionsklebkraft weiter erhöht.

Plasma lagert chemisch funktionelle Gruppen ab und erhöht die Benetzbarkeit der Oberfläche: Durch die Reaktion mit den Polymermolekülen lagern Plasmaspezies polare OH- und ON-Gruppen auf der gereinigten Oberfläche ab, wodurch die Energie der Oberfläche und ihre Benetzbarkeit deutlich erhöht werden. Als Ergebnis benetzt die nachträglich aufgebrachte Farbe die Oberfläche effizient und füllt durch die Kapillarwirkung die Mikrostrukturen auf.

Plasma raut die Oberfläche mikroskopisch auf: Elektrische Entladungen mit direktem Kontakt zum Substrat, insbesondere die auf dem Metallsubstrat brennenden Lichtbögen, wenn dieses als Kathode verwendet wird, erodieren die Substratoberfläche im Mikrometermaßstab. Dadurch entstehen Mikrostrukturen, die von den Klebstoffen gefüllt werden und deren mechanische Bindung an das Substrat verbessern.

Kaltes Plasma erobert die MedTech-Industrie

 Mit CeraPlas erzeugtes Plasma. Da seine Temperatur unter 50 °C liegt, können Verfahren wie die Oberflächenbehandlung ohne Beeinträchtigung des Materials durchgeführt werden
Bild 1. Mit CeraPlas erzeugtes Plasma. Da seine Temperatur unter 50 °C liegt, können Verfahren wie die Oberflächenbehandlung ohne Beeinträchtigung des Materials durchgeführt werden.
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Fortschritte in der Plasmatechnik ermöglichen es, stabiles Plasma bei niedrigen Temperaturen und atmosphärischem Druck zu erzeugen (Bild 1). Wenn kalte Plasmen auf Materialien einwirken, können sie verschiedenen Auswirkungen haben, wie im vorherigen Absatz beschrieben. Sie können Klebstoffe verstärken, indem sie Oberflächen aktivieren, Tinten und Beschichtungen dabei unterstützen, gleichmäßig auf den Materialien zu haften, indem sie diese benetzbarer machen, und sie können Gegenstände reinigen und sterilisieren, indem sie organische Moleküle aufspalten.
Kalte Plasmen sind daher für verschiedenste Industrien einschließlich der Halbleiterfertigung nützlich. Darüber hinaus ist die Plasmatechnik ein sehr sicheres Verfahren und hat das Potenzial, in einem breiteren Spektrum von Industrien zum Einsatz zu kommen. Die Medizintechnik-fertigung und die Gesundheitswirtschaft zeigen ein großes Potenzial, da sich Oberflächen mit kaltem Plasma ohne den Einsatz von Chemikalien reinigen und sterilisieren lassen.

Herkömmliche Kaltplasma-Generatoren benötigen jedoch hohe Spannungen, sepa- rate Transformatorkomponenten und Hochfrequenz(HF)-Generatoren, was zu enormen Geräteabmessungen und einem hohen Stromverbrauch führt. Der Elektronikspezialist TDK hat nun einen Plasma-Generator entwickelt, der kaltes Plasma in einem stiftähnlichen Gehäuse und mit geringem Stromverbrauch erzeugen kann – die Plasmatechnik wird mit diesem Generator für medizintechnische Einsatzzwecke wesentlich zugänglicher.

Kompakter Plasma-Generator

Anstelle von sperrigen, stromfressenden Transformatoren verwendet der Plasma-Generator CeraPlas einen piezoelektrischen Transformator – ein winziges Bauteil, welches die Eigenschaften piezoelektrischer Keramik zur Spannungswandlung nutzt. TDK hat diese Neuerung zusammen mit dem Tochterunternehmen Relyon Plasma entwickelt.

Der kompakte Plasma-Generator CeraPlas (links) und der Kaltplasma-Generator Piezobrush
Bild 2. Der kompakte Plasma-Generator CeraPlas (links) und der Kaltplasma-Generator Piezobrush.
© TDK | Relyon

Durch eine neuartige Fertigungstechnik wird die Spannungserhöhung des piezoelektrischen Transformators mit einem Plasma-Generator kombiniert, wodurch ein kleiner, leichter und stromsparender Plasma-Generator entsteht. CeraPlas wird mit einer 12-V-Versorgung betrieben, sodass keine speziellen Netzteile erforderlich sind. Das Bauteil ist in einem kleinen, stabförmigen Gehäuse mit den Abmessungen 70,6 Millimeter × 6 Millimeter × 2,75 Millimeter untergebracht (Bild 2).

Kaltes Plasma kann zum Verbinden unterschiedlicher Materialien oder zum Färben von Zahnersatz verwendet werden
Bild 3. Kaltes Plasma kann zum Verbinden unterschiedlicher Materialien oder zum Färben von Zahnersatz verwendet werden.
© TDK | Relyon

Der erste Plasma-Generator auf Basis von CeraPlas ist der »piezobrush« von Relyon Plasma. Er ist klein und leicht und kann einfach in einer Hand wie ein Stift gehalten werden. Die Entwickler konnten die Stromversorgung und die Treiberschaltungen in einem kleinen Modul unterbringen, ohne dass umfangreiche Treiberschaltkreise oder Kühlsysteme erforderlich sind. Piezobrush wird es ermöglichen, Plasma an Stellen einzusetzen, an denen dies bisher schwierig war. Das Gerät wird in der Hand gehalten und kann kleine Details bearbeiten. Die Behandlung von Zahnimplantaten ist ein solches Beispiel (Bild 3).

Wenn kaltes Plasma zum Verbinden unterschiedlicher Materialien oder zum Färben von Zahnersatz verwendet wird, lässt sich die Haftfestigkeit erhöhen und die Gleichmäßigkeit der Färbung durch eine bessere Benetzbarkeit verbessern. Außerdem hat die Forschung gezeigt, dass die erhöhte Benetzbarkeit von Implantat-Oberflächen deren Affinität zu biologischem Gewebe verbessern kann. Die neuartigen Verfahren und Medizingeräte machen kaltes Plasma leichter zugänglich, seine Einsatzmöglichkeiten werden daher weiter zunehmen. Über die Zahnmedizin hinaus sind Anwendungsbereiche wie Oberflächenreinigung, Oberflächenaktivierung, Präzisionsreinigung und Keimreduktion möglich.

Über Relyon Plasma
Relyon Plasma ist in der TDK-Gruppe eingebettet und bietet ein breites Spektrum an spezialisierten Plasmakomponenten für manuelle Anwendungen und Inline-Prozesse. Atmosphärendruckplasmen, die durch elektrische Entladungen in Luft oder anderen Gasen erzeugt werden, ermöglichen mit ihren Eigenschaften einzigartige Oberflächenbehandlungen. Solche Plasmen produzieren große Mengen sehr reaktiver, aber kurzlebiger chemischer Spezies. Diese können ein breites Spektrum von Oberflächen desinfizieren, reinigen, modifizieren und funktionalisieren und so für das Kleben, Lackieren und Bedrucken vorbereiten.

 


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