Natürlich gesteuert

Roboter-Salamander mit 27 Motoren

19. Juni 2018, 9:00 Uhr | Adrian Venetz (Maxon Motor)
Ihr Bewegungsapparat macht Amphibien für die Forschung besonders interessant.
© EPFL/Maxon Motor

Die Wirbelsäule ist ein Wunderwerk der Natur – und noch längst nicht vollständig erforscht. Ein Team der Technischen Hochschule in Lausanne baut Roboter, um die Geheimnisse des Rückgrats zu ergründen – ohne den richtigen Antrieb kaum umsetzbar.

Die Zähne putzen, einen Kaffee zubereiten, eine Tür aufschliessen: Für viele Bewegungen ist das Gehirn die zentrale Steuerinstanz. So gelangt man leicht zum Schluss, dass ohne Hirn gar nichts läuft. Doch das ist falsch. Wenn der Arzt mit einem kleinen Hammer auf unser Knie klopft, schnellt der Unterschenkel nach vorn. Und wenn wir mit der Hand versehentlich eine heisse Herdplatte berühren, ziehen wir sie reflexartig zurück. Für solche Bewegungen ist nicht das Gehirn zuständig, sondern ein anderer Teil des zentralen Nervensystems, nämlich das Rückenmark. Ein etwas makaberer Beweis, dass sich ein Lebewesen auch ohne Gehirn bewegen kann, ist ein geköpftes Huhn. Es flattert noch einige Sekunden umher, nachdem ihm der Kopf abgeschlagen worden ist.

Doch wie funktionieren die motorischen Schaltkreise im Rückenmark? Welche Kontrollmechanismen liegen Bewegungen von Wirbeltieren zugrunde? Diesen und vielen weiteren Fragen geht das 17-köpfige Team von Auke Ijspeert an der EPFL in Lausanne nach. Die Forscher haben einen eher aussergewöhnlichen Ansatz für ihre Untersuchungen gewählt: Sie bauen Roboter. Entsprechend heisst ihre Wirkungsstätte Biorobotics Laboratory, kurz Biorob. »Wir nutzen Roboter als wissenschaftliches Werkzeug, um die Fortbewegung von Lebewesen besser zu verstehen»« erklärt Ijspeert. Hier geht es jedoch nicht darum, Roboter zu bauen, die möglichst spektakulär aussehen oder eigenständig arbeiten können. »Mit unseren Robotern wollen wir einen Beitrag leisten an die Forschung im Bereich der Neurowissenschaften und Biomechanik.« Auch die Evolutionsbiologie profitiere davon. Bei vielen Tieren übernimmt das Rückenmark die Hauptkontrolle über die Bewegungen.

Gehirn steuert nicht allein

Für Aufsehen sorgten Ijspeert und sein Team mit dem Pleurobot. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Art paläontologischer Skelett-Bausatz, ist eine Nachbildung des Bewegungsapparats eines Salamanders. 27 Motoren ermöglichen es, dass sich der Pleurobot sowohl an Land als auch im Wasser fortbewegen kann. Damit das so natürlich wie möglich aussieht, analysierten die Wissenschaftler jedes einzelne Glied eines sich bewegenden Salamanders mittels dreidimensionaler Röntgenvideos.

Amphiebien stehen jedoch nicht zufällig im Fokus der biomechanischen Forschung:  Interessant ist ihr Bewegungsapparat, weil er einen graduellen Übergang der Fortbewegung an Land und im Wasser zulässt. Bereits in früheren Jahren hatten Neurobiologen nachgewiesen, dass ein Salamander mittels Stimulation des Rückenmarks quasi »ferngesteuert« werden kann. Eine schwache elektrische Stimulation lässt den Salamander gehen, erhöht man die Stimulation, führt der Salamander nach einem bestimmten Schwellwert die typischen Schwimmbewegungen aus. Das heißt, das Gehirn übernimmt nicht alleine die Kontrolle über den Bewegungsapparat, vielmehr bilden Rückenmark und Gliedmassen ein fast autonomes Steuerungs- und Bewegungssystem. »Das Gehirn dient lediglich als stimulierende Instanz«, so Ijspeert.

Auch der Pleurobot funktioniert nach diesem System: Um von der Laufbewegung zur Schwimmbewegung zu gelangen, wird letztlich einfach der Strom erhöht. »Wenn wir den Pleurobot fernsteuern, müssen wir nicht jeden einzelnen Motor kontrollieren. Wir bestimmen – ähnlich wie das Hirn eines Salamanders – lediglich Richtung, Tempo und Intensität des Stimulus.« Die Funktion des Rückenmarks übernimmt beim Pleurobot ein Mikrocontroller, auf dem mathematische Modelle von neuronalen Netzen im Rückenmark eines Salamanders einprogrammiert sind.

Und wozu der ganze Aufwand?

»Das Interesse liegt auf einem fundamentalen Verständnis, wie das Nervensystem in Wirbelsäulen funktioniert«, so Ijspeert weiter. Dies sei ein sehr komplexes Gebiet und noch lange nicht ausschöpfend erforscht. Gerade weil das Rückenmark gut geschützt im Wirbelkanal der Wirbelsäule liege, seien hier Messungen der neuronalen Aktivität sehr schwierig, gar schwieriger als im Gehirn. »Man kann nicht einfach Elektroden ins Rückenmark eines sich bewegenden Tieres stecken und dann messen, was da vor sich geht.« Er möge diese Verbindung von Biologie und Robotik auch deshalb besonders, weil andere Wissenschaftszweige davon profitieren. Ein grundlegendes Verständnis von Bewegung helfe beispielsweise bei der Herstellung von Neuroprothesen. Erkenntnisse im Bereich der neuronalen Systeme und des Rückenmarks fließen in die Erforschung von neuen Therapien bei Querschnittslähmung ein.

Der Salamnder ist jeodch nicht der einzige Robotoer im Repertoire der Forscher. Mit dem Envirobot – einem schlangenartigen schwimmenden Roboter – hat das EPFL-Team bereits die Entwicklung und den Bau eines sogenannten Inspektionsroboters umgesetzt. Er kommt beispielsweise zum Einsatz, um Gewässerverschmutzungen zu registrieren und messen. Für viele Projekte – so auch für den Pleurobot – nutzt das Biorobotics Laboratory DC-Motoren von Maxon Motor. Besonders in der Robotik kommen die modularen Dynamixel-Aktuatoren der Firma Robotis zum Einsatz. In diesen Modulen sind hauptsächlich die bürstenbehafteten Motoren mit eisenloser Wicklung des Schweizer Antriebsspezialisten verbaut.

Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst im Kundenmagazin »driven« von Maxon Motor. Wir durften ihn mit freundlicher Unterstützung des Unternehmens auch bei uns publizieren.

 

 

Roboter mit Rückgrat: 27 Motoren ermöglichen es, dass sich der Salamander sowohl an Land als auch im Wasser fortbewegen kann.
Roboter mit Rückgrat: 27 Motoren ermöglichen es, dass sich der Salamander sowohl an Land als auch im Wasser fortbewegen kann.
© EPFL/Maxon Motor

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