MedTech-Zulieferer auf der Compamed

Diagnose »Gesund«, aber ...

17. November 2022, 12:20 Uhr | Ute Häußler
Mit rund 700 Ausstellern war die Compamed 2022 gut besucht und die Besucher kamen für interessesante technische Gespräche und oft mit konkreten Projekten an die Stände der Hallen 8a und 8b.
© WFM (uh)

Wie geht es den Medizintechnik-Zuliefern auf der Compamed 2022? Unsere Live-Messestimmen zeigen: die Corona-Pandemie wirkt nach und die Branche kämpft mit multiplen Krisen. Hinter der erfreulich guten Stimmung stecken viel Aufwand, vielschichtige Hürden und eine große Unsicherheit.

Es war ein lang vermisstes Bild in Düsseldorf: Die Straßenbahnen zur Medica / Compamed auf dem Stockumer Messegelände bewegten sich im Rückstau mühsam von Haltestelle zu Haltestelle, an den Drehkreuzen der Eingänge Nord und Ost bildeten sich leicht nervöse Menschentrauben, in einigen Messehallen war ein Durchkommen nur schwer möglich. Nach einer noch ausgedünnten Präsenzmesse 2021 kamen dieses Jahr laut Messe Düsseldorf rund 81.000 Besucher an den Rhein. Auch die Compamed-Hallen 8A und 8B waren 2022 wieder gut gefüllt und die über 700 Aussteller freuten zumeist sich über interessante technische Gespräche. Viele Besucher kamen mit konkreten Projekten an die Stände.

Doch Normalität bleibt für die meisten Zulieferer ein Fremdwort. Zu beschäftigt sind sie mit den verbleibenden Pandemie-Auswirkungen, den noch immer partiell stockenden Lieferketten sowie dem anhaltenden Bauteile- und Komponentenmangel. Alles klingt etwas kleiner, zurückhaltender und vorsichtiger als noch 2019. Die meisten Hersteller und Zulieferer waren in der letzten Zeit hart damit beschäftigt, ihr Geschäft trotz der Herausforderungen stabil zu halten. Alle befragten Personen sind sich einig, dass die vielschichtig veränderten Rahmenbedingungen und die damit geforderte Flexibilität bleiben. Keiner beklagt schlechte Geschäfte - aber der Blick in die Zukunft ist dennoch mit großen Unsicherheiten behaftet.

Volle Auftragsbücher ohne verlässliche Prognose

Ein gutes Exempel für die Stimmungslage der Medizintechnik-Zulieferer ist »ElringKlinger«: Bei dem baden-württembergischen Kunststofftechniker, der u.a. Schläuche und Implantate für die minimalinvasive Chirurgie liefert, sind die Auftragsbücher bis Mai nächsten Jahres voll. »Durch Corona wurden viele OPs abgesagt, aber jetzt spüren wir gute Aufholeffekte und die geplanten OPs befinden sich wieder auf normalem Niveau,« sagt Vertriebsmanager Miroslav Dimitrov am ersten Compamed-Tag und verweist auf ein Umsatzplus von 10 Prozent zum Plan 2022 im deutschsprachigen Raum.

Zwar seien im Kampf um Materialien einige US-amerikanische Lieferanten abgesprungen, die Ausfälle konnten aber über mehrere andere Zulieferer gut abgefangen werden. »Japan springt bei uns ein«, so Dimitrov und auch mit europäischen Zulieferern sei die Lieferkette gut abgesichert. Selbst durch die unvermeidlichen Preiserhöhungen seien keine Aufträge weggebrochen, die Kunden zeigten Einsicht. »Allerdings ist die Lage sehr volatil, wir planen von Monat zu Monat,« so der Vertriebler. Insbesondere hinsichtlich Produktionskapazitäten und Personal herrschten teilweise noch Corona-Bedingungen: »Aber wir kriegen es hin«.

Als größte Herausforderung sieht Dimitrov, das aktuelle Niveau zu halten. Es gäbe eine große Unsicherheit bezüglich der mittelfristigen Wirtschaftslage. »Wird ein Loch kommen? Haben die Unternehmen nur aus Sicherheitsgründen ihre Lager vollgemacht?« Eine wirkliche Prognose zur Auftragslage bis Ende 2023 könne ElringKlinger derzeit nicht treffen.

Messe Medizintechnik compamed Düsseldorf
Reinier Middel von Advantech sieht »Licht am Ende des Tunnels« der Lieferkettenprobleme, die derzeitigen China-Lockdows seien mit jeweils einer Woche Dauer verschmerzbar.
© WFM (uh)

Beim Medical-Computing-Anbieter »Advantech«, der insbesondere auf Halbleiter- und Chiptechnologien angewiesen ist, sind die Probleme in der Lieferkette noch nicht vorbei. »Aber wir sehen Licht am Ende des Tunnels,« meint Reinier Middel. »Zwischenzeitlich war die Kunden-Priorisierung schwierig«, aber die derzeitigen Corona-Lockdowns in China seien kein Problem mehr, »das ist jeweils nur noch eine Woche,« so der Vertriebsleiter für den Medizinbereich. Trotz stark gestiegener Bezugspreise blickt der Hard- und Softwareanbieter positiv in die Zukunft. Als ein Problem sieht Middel jedoch, dass die durch die Lieferschwierigkeiten notwendigen Re-Designs notwendige Innovationen nach hinten geschoben haben. »Neue Lösungen sind ein wichtiger Treiber für die Medizintechnik-Industrie, das fehlt uns gerade.«

Keine Medtech-Rezession in Sicht

Auch der MedTech-Entwicklungsdienstleister »Mechatronic« aus Darmstadt hadert nach wie vor mit der Zuliefererthematik. »Teilweise stockt die Fertigung noch immer, weil wir die Teile nicht herbekommen,« stellt Geschäftsführer Carsten Metzger fest. »Natürlich spüren auch wir die höheren Preise für Entwicklungskomponenten,« bei kleineren Stückzahlen sei das aber verschmerzbar. Zudem seien die Schwierigkeiten eher projektabhängig und ließen sich innerhalb der Bayoonet-Gruppe gut abpuffern, gleichzeitig gäbe es nach Aussage des seit einem halben Jahr amtierenden CEO auch inhaltliche Impulse durch die Veränderungen. »Dass die Kunden Fachkräfte suchen, gibt uns einen Push und ist eine Chance, dass größere Hersteller oder OEMs nicht alles selbst machen.« Trotz der derzeit vielen schwierigen Themen zeigt sich der Mechatronic-Chef optimistisch: »Prinzipiell ist die Medizintechnik krisenfest, wir bemerken derzeit keine Unsicherheiten bezüglich einer Rezession – eine Vorsicht ist noch nicht spürbar.«

»Natürlich hatten wir Lieferengpässe,« gesteht auch Alicia Thiehoff vom Mikropumpen-Spezialisten »Bartels Mikrotechnik«. »Chips waren schwierig, und eigentlich ist es auch nicht besser geworden; wir bestellen jetzt aber frühzeitiger und haben uns auf die längeren Lieferzeiten eingestellt.« Momentan bereiten dem Hersteller und Entwicklungsdienstleister der Mikrofluidik, dessen Produkte etwa Hirnwasserdruck messen, eher die hohen Energiekosten Sorgen. Dennoch sei das Dortmunder Unternehmen nach Aussagen der Marketing-Fachfrau zuversichtlich: »MedTech boomt, unsere Auftragslage ist trotz aller Herausforderungen super. Medizin wird es immer geben.«

Messe Medizintechnik compamed Düsseldorf
Laut Christoffer Riemer von MeKo sind die höheren Preise in der gestressten Lieferkette nicht das Hauptproblem, der Laser-Materialbearbeiter kämpft auch mit der gelieferten Materialqualität.
© MeKo

Christoffer Riemer vom Laser-Materialbearbeiter »MeKo« bezeichnet die Medizintechnik ebenfalls als »sehr sicher« und sagt: »Uns geht es sehr gut«. Nach einem kleinen Corona-Dämpfer, als der Implantat-Fertiger für zwei bis drei Monate mit weniger Aufträgen aufgrund ausgefallener Operationen leben musste, sei die Nachfrage derzeit sehr stabil und läge über den eigenen Kapazitäten. »Es dauert aber, auch wir haben Probleme in der Lieferkette,« so der Marketingmanager. Die höheren Preise seien dabei nicht das Hauptproblem, vielmehr versuchten manche Lieferanten den Mangel durch minderwertigere Materialien für die hochpräzisen Rohre zu kompensieren, welche z.B. für Stents gebraucht werden. Ein Großteil der MeKo-Belegschaft arbeite laut Riemer in der Qualitätssicherung, um mit visueller und manueller (Einzel-)Prüfung und aufwendigen Messungen weiter beste Qualität auszuliefern. »Unsere Ausschussrate ist deutlich angestiegen.«

Die MDR-Deadlines drücken

Neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bringt zudem die MDR viele Inverkehrbringer von Medizinprodukten um den Schlaf. »Viele Medizingeräte-Hersteller haben den Aufwand unterschätzt und sich zu nah an die Deadlines herangewagt,« statuiert Ann-Katrin Hey vom Beratungshaus »Metecon«. »Vieles muss noch gemacht werden«, insbesondere hätten viele der neuen Regularien eher Fragen aufgeworfen als einen verlässlichen Rahmen zu bieten. Da beispielsweise die EUDAMED-Datenbank noch nicht voll zugänglich sei, gehe vieles nicht so schnell wie angenommen. Hey ist sich aber sicher, dass schlussendlich funktionieren wird. »Wir sehen nach wie vor einen großen Beratungsbedarf, momentan gewinnt die Post Market Surveillance an Bedeutung.« Mit DigiLab haben die Berater zudem eine neue Sparte für die Unterstützung bei der Software-Auswahl im Risikomanagement aufgebaut. Mit der Ausgründung CEyoo will Metecon zukünftig auch als Inverkehrbringer agieren und insbesondere für kleinere Medizintechnik-Hersteller in die Haftung gehen.

Für Zulieferer und Dienstleister ergeben sich durch die umstrittene neue EU-Verordnung so oft auch neue Chancen. Das notwendige Re-Design von Medizingeräten oder Neu-Zertifizierungen sorgen auch bei den Prüf-Experten von SD Mechatronik aus Feldkirchen-Westerham für mehr Aufträge. »Die MDR ist ein riesiger Aufwand, aber für ein Prüflabor wie uns auch positiv,« resümiert Laborleiter Niclas Albrecht. »Unsere Auftragslage ist erfreulich gut.« Doch auch das nach eigenen Aussagen einzige deutsche akkreditierte Prüflabor für die ISO 5367 in Beatmungssets spürt Gegenwind. »Die Knappheit bei Materialien und Komponenten spüren wir als Hersteller von Prüfgeräten deutlich, die Preise sind stark angestiegen,« so Albrecht. Zudem brauche das Testing wie etwa eine Kausimulation für Dental-Materialien viel Strom, die Energiekrise macht es den Prüfern nicht einfacher.

Alternative Prozesse kosten Kraft

»Es ist alles wahnsinnig mühsam,« bringt Miriam Leunissen die Lage für »Ansmann« auf den Punkt. Zwar ist die Medizintechnik durch ihre Systemrelevanz auch für die Power-Experten aus Assamstadt noch der stabilste Markt, doch Corona und der Bauteilemangel haben in der Akku- und Netzteil-Produktion für beispielsweise Beatmungsgeräte oder Rollstühle deutliche Veränderungen bewirkt. »Die Lieferzeit läuft über den Preis,« stellt Philipp Throm fest. Trotz Spot-by-Käufen über Chip-Broker mussten neue Projekte vielfach verschoben werden, der Fokus lag laut dem Key Account Manager auf dem Re-Design mit alternativen Komponenten. »Batteriezellen waren nicht verfügbar. Wir haben Tier-2-Lieferanten hochgezogen, neue Quellen gesucht und unsere Testing-Kapazitäten für die Akkus nach UN- und IEC-Normen ausgebaut.« Der hohe Initial-Aufwand könne jetzt als Vorteil genutzt werden – das Testing werde zukünftig als Service neu ins Portfolio des Batteriespezialisten aufgenommen.

Beim Rundsteckverbinder-Hersteller »Binder« aus Neckarsulm seien die »Auftrags- und Umsatzsituation gut«, sagt Produktmanagerin Jana Wagner, dennoch verweist auch sie auf die weiter angespannte Marktlage. Das Sourcing von Kabeln und Kunstoffen sei immer noch kompliziert – zwar handelten die meisten Kunden mittlerweile vorausschauend, aber die Lieferanten seien eben ausgelastet. »50 Wochen Lieferzeit sind schwierig, vor allem wenn an den Steckverbinder erst sehr spät im Entwicklungsprozess gedacht wird und es dann schnell gehen soll.«

Messe Medizintechnik compamed Düsseldorf
Matthias Ruh ist Leiter Automation bei Knoll Feinmechanik. Der Sondermaschinenbauer setzt gegen Engpässe auf regionale Zulieferfirmen.
© Knoll

Ein ähnliches Bild wie bei den Teile-Zulieferern zeichnet sich auch bei den MedTech-Maschinenbauern ab. Matthias Ruh von Umkirchener Automationsspezialisten »Knoll Feinmechanik« bewertet die aktuelle Geschäftslage als »nicht schlecht, aber nicht prognostizierbar.« Er präzisiert, dass der Produzent von Maschinen für das Handling biegeschlaffer Teile wie medizinischer Beutel und Schläuche aufgrund der langen Lieferzeiten und hohen Preise für Steuerungen und Mikroelektronik sehr flexibel in der Beschaffung werden musste. »Die Kunden müssen mitgehen, das erfordert deutlich mehr Dialog derzeit.« Es sei bei aller gegebenen Professionalität schwierig, einem Kunden zu erklären, dass er zwar ein Angebot haben könne, aber Preis und Lieferzeit bis zur endgültigen Bestellung offenbleiben. »Wir haben den Einkauf verstärkt – der ist wichtiger denn je – und schauen, dass wir helfen können.«  Zudem setzt das Familienunternehmen vermehrt auf Zulieferer aus der Umgebung und den dadurch entstehenden regionalen Zusammenhalt. »Mit dieser Herangehensweise müssen wir nicht auf Container warten,« die regionalen Lieferketten bleiben laut Ruh verlässlich. Der Leiter des Knoll-Geschäftsbereiches Automation blickt zuversichtlich auf das kommende Jahr.

Robust und dennoch fragil

Die Compamed 2022 hat gezeigt, dass es den meisten Zulieferer und OEMs erfreulich gut geht und sie sich gut gegen ‚das große Aber‘ der schwierigen Lieferketten, der Energiekrise und für ein schwer prognostizierbares Geschäftsjahr 2023 gewappnet haben. Eine bessere und genauere Vorausplanung als Mittel gegen Mangel, eine Aufstockung und Diversifizierung des Lieferantenpools sowie alternative Designs und kreative Herangehensweisen scheinen die Branche robuster gemacht zu haben. Dennoch sind der dahinterliegende Aufwand, die benötigte Manpower für die Extra-Entwicklungsstunden und die oftmals komplizierteren, neuen Prozesse nicht zu unterschätzen. Neben der unsicherer Planungslage macht auch den Medizintechnik-Zulieferern der Fachkräfte-Mangel zu schaffen. Es bleibt bei aller Zuversicht abzuwarten, wie sich die regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2023 weiter auswirken. (uh)


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