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In Ruhephasen schaltet das Gehirn auf Replay

8. Juli 2019, 12:00 Uhr | Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung
Neu entwickelte Methode ermöglicht ein tieferes Verständnis von Entscheidungsprozessen.
© Pixabay

Wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen, wird davon beeinflusst, welche Entscheidungen wir gerade treffen. Das spiegelt sich wiederum in messbaren Aktivitätsmustern im Gehirn wieder. Forscher haben nun herausgefunden, dass während des Ausruhens das Gehirn dieselben Aktivitätsmuster wieder abspielt.

Bei jeder Erfahrung, die wir machen, und jeder Entscheidung, die wir treffen, arbeiten unterschiedliche Bereiche des Gehirns zusammen. Diese für jede Situation spezifische Gehirnaktivität erzeugt messbare neuronale Muster. Wenn wir uns an erlebte Erfahrungen oder getroffene Entscheidungen erinnern, werden die gleichen Gehirnbereiche aktiv und die gleichen Muster sind messbar. Dass der Hippocampus, ein Bereich im inneren Rand der Großhirnrinde, bei Lern- und Gedächtnisvorgängen eine zentrale Rolle spielt, ist bereits bekannt. Was genau im Hippocampus passiert, nachdem wir komplexe Entscheidungen getroffen haben, konnten Nicolas Schuck, Leiter der Forschungsgruppe NeuroCode am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB), und Yael Niv, Professorin für Neurowissenschaften an der Princeton University, jetzt bei Menschen beobachten.

Für ihre Studie ließen sie 33 Probanden in mehreren 40-minütigen Blöcken eine komplexe Entscheidungsaufgabe bearbeiten, während sie im Magnetresonanztomografen (MRT) lagen. Dabei zeichneten die Wissenschaftler die Hirnaktivität der Testpersonen auf und analysierten anschließend Signale im vorderen, stirnseitigen Teil des Gehirns, dem orbitofrontalen Cortex, als auch im Hippocampus. Wie das Forscherteam in früheren Experimenten bereits gezeigt hatte, bildete sich der mentale Entscheidungsprozess im orbitofrontalen Cortex ab. So entstand für jede Art von Entscheidung ein spezifisches neuronales Aktivitätsmuster.

Nach jedem Aufgabenblock sollten sich die Probanden für fünf Minuten ausruhen und ruhig im MRT liegen bleiben. Die Wissenschaftler wollten so herausfinden, was genau in dieser Ruhephase nach dem Bearbeiten der komplexen Entscheidungsaufgaben im Gehirn passiert. Ihre Beobachtungen zeigen, dass der Hippocampus die für die vorherige Entscheidungsaufgabe typischen Aktivitätsmuster wiederholte. »Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass diese Wiederholung im Gehirn beschleunigt – quasi im Zeitraffer – geschieht«, so Schuck. Das könnte ein Hinweis dafür sein, dass Ruhephasen eine Rolle beim Erlernen neuer Aufgaben spielen.

Aus Erfahrungen werden Entscheidungen

Bisher fehlte eine nichtinvasive Methode, um diesen Prozess beim Menschen genau nachverfolgen zu können. Da das MRT nicht die einzelnen elektrischen Impulse im Gehirn misst, sondern nur den Blutfluss, welcher erst langsam nach einem Impuls ansteigt, ging man bislang davon aus, dass schnelle neuronale Aktivitäten nicht messbar seien. Daher wurden die schnellen neuronalen Wiederholungen im Hippocampus meistens mithilfe von im Gehirn von Nagetieren implantierten Sensoren nachverfolgt.

Dass dieses Phänomen nun auch mit einem MRT beobachtet werden kann, ermöglicht ein Algorithmus, der für das Erkennen von Mustern programmiert wurde. Das Team trainierten den Algorithmus zuerst darauf, Aktivitätsmuster im Hippocampus zu erkennen, die sonst für das Auge oder herkömmliche Programme unsichtbar bleiben. Anschließend zeichneten sie die Aktivitätsmuster während des Ausruhens auf und analysierten, in welcher Reihenfolge der Algorithmus sie wiedererkannte.

»Die Fähigkeit des Hippocampus, Erfahrungen im Zeitraffer durchzuspielen, scheint eine zentrale Rolle dabei zu spielen, dass aus Erfahrungen Repräsentationen im Gehirn werden, die uns dabei helfen, Entscheidungen zu treffen«, sagt Niv. Mit der neuen Methode könnte die Wissenschaft zukünftig genauer verstehen, welche Bedeutung dieser Prozess für bewusstes Planen und den Gedächtnisabruf hat. »Das wird uns hoffentlich helfen, zu erforschen, was dieser Prozess mit unseren subjektiven Erfahrungen zu tun hat«, so Schuck. (me)

 


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