Qualität vor Quantität

»Nur Experten sollen Beatmungsgeräte bauen«

9. April 2020, 8:36 Uhr | Harri Friberg
Beatmungsgeräte für die Intensivmedizin erfüllen lebenserhaltende Funktionen und müssen höchste Ansprüche erfüllen.
© IMT

Gastkommentar von Harri Friberg, CEO IMT

Seit Wochen suchen Regierungen weltweit händeringend und fast um jeden Preis lieferbare Beatmungsgeräte. Die bekannten Hersteller sind leergekauft, der Bedarf übersteigt das Angebot bei weitem. Ist es vernünftig, dass plötzlich Autobauer und Brause-Hersteller komplexe, lebenserhaltende Geräte herstellen oder gibt es smartere Alternativen?

Beatmungsgeräte gehören zu einer Medizingeräte-Klasse, die für harte Zulassungskriterien bekannt ist. Jedenfalls war das bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie so. Seither wird die Anzahl vorhandener Beatmungsgeräte auf Intensiv-Pflegeplätzen zur Messlatte für die Lahmlegung ganzer Volkswirtschaften. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie gilt auch hier nichts mehr, was vorher unumstösslich schien.

Jetzt dürfen plötzlich alle

Seit Beginn der Corona-Pandemie sollen per Regierungs-Dekret Autobauer oder Brause-Hersteller in der Lage sein, hoch sensible und komplexe Geräte in wenigen Wochen auf den Markt zu bringen, deren Entwicklung, Zulassung und Produktion vorher Millionen verschlang und Jahre dauerte.

Es scheint als seien höchste Qualitäts-Standards plötzlich bedeutungslos. Die Tatsache, dass Förderbänder für Pickup-Trucks nicht über Nacht in Montageplätze für sensible Schlüsselkomponenten umgebaut werden können, wird ebenso ignoriert wie das absolute Nicht-Vorhandensein geschulten Montage-Personals.

Ein Beatmungsgerät muss mehr können als Luft pumpen

Dass die künstliche Beatmung einer Lunge eine hochpräzise Aufgabe ist, wird am Beispiel Frühgeborener deutlich. Denn Frühchen haben eine Lunge, die nur gerade vier Würfelzucker klein ist. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn für diese sensiblen Patienten zu viel Luftgemisch oder zu hoher Druck angewendet wird. Der Schlüssel für eine sichere Beatmung ist unter anderem ein präziser Flow-Sensor, der ein- und ausströmende Luft in und aus der Lunge genau misst.

Auf diesen sekundenschnellen Messungen basiert im Idealfall eine komplexe Software, welche Volumen, Druck und Rhythmus der Beatmung blitzschnell voraus kalkuliert und schon den nächsten oder übernächsten Atemzug des Patienten beeinflusst. Diese Art von Beatmung garantiert, dass schon beim geringsten selbständigen Atmen eines Patienten das Beatmungsgerät seine Leistung anpasst und damit der Patient schnellstmöglich vom Gerät entwöhnt wird.

Vier Patienten am gleichen Gerät?

In ihrer Not überlegen sich Regierungsmitglieder in Corona-Infektions-Hotspots, mehrere Patienten an ein Gerät anzuschließen. Abgesehen davon, dass ein Beatmungsgerät im Idealfall hauptsächlich Zeit zugunsten des Patienten gewinnt und ihn nicht zu heilen vermag, bedeutet diese Notfall-Idee, dass verschiedene Menschen mit unterschiedlich großen, weicheren und steiferen Lungen, höherem und geringerem Atemluft-Bedarf von einem Gerät irgendein Volumen zu irgendeinem Druck in irgendeinem Rhythmus verabreicht bekommen.

Ein Patient erhält deutlich zuviel Luft, der andere viel zu wenig und ein dritter beides zusammen im falschen Moment. Womöglich genau dann, wenn er endlich wieder selber ausatmen könnte, presst ein Gerät Luft in seine Lunge. Statt ihm zu helfen, bekämpft so die Maschine den Patienten.

Der Autor

Harri Friberg ist Chief Executive Officer bei der IMT Information Management Technology AG. Das Unternehmen entwickelt leistungsfähige und kostengünstige medizinische Beatmungs- und Messgeräte.

 

 


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