Nervenzellen als Teamplayer

Wie das Auge Bewegungen erkennt

21. Februar 2019, 11:00 Uhr | Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität
Prof. Dr. Tim Gollisch, Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).
© Privat

Spezielle Nervenzellen im Auge signalisieren eine Verschiebung der Blickrichtung und tragen zur Erkennung kleiner Augenbewegungen bei und helfen, die Blickrichtung stabil zu halten. Ein scharfes Abbild der Umgebung wird möglich. Die Erkenntnisse könnten helfen, Sehprothesen zu entwickeln.

Wer ein scharfes Foto machen will, muss die Kamera still halten, sonst drohen verwackelte Bilder und verschwommene Konturen. Ähnlich geht es unserem Sehsystem. Damit wir unser Umfeld klar wahrnehmen, muss die Blickrichtung fixiert werden, auch wenn wir uns selbst in Bewegung befinden. Dafür überwacht das Gehirn ständig die Bewegung der Blickrichtung, um gegebenenfalls mit Bewegungen der Augen gegenzusteuern. Bei unterschiedlichen Krankheitsbildern ist dieses System gestört. Das führt zu unkontrollierten Augenbewegungen, häufig Nystagmus genannt. Eine Folge kann unter anderem Sehschwäche sein.

Bei der Überwachung der Blickrichtung spielen Nervenzellen im Sehsystem eine zentrale Rolle. Diese Zellen werden aktiv, wenn sich das Bild im Auge in eine bestimmte Richtung verschiebt. Ihre Signale können somit als Auslöser gegensteuernder Augenbewegungen agieren. Derartige Nervenzellen haben Dr. Norma Kühn und Prof. Dr. Tim Gollisch bereits vor einiger Zeit im Auge von Salamandern entdeckt. Nun können sie zeigen, wie diese Nervenzellen durch ihre Aktivität die Bewegung der Umgebung signalisieren.

Bei ihren Untersuchungen stellten die Wissenschaftler fest, dass die Zellen ihre Aufgabe nicht einzeln vollbringen können, da sie außer durch Bewegung auch durch einfache Änderungen der Helligkeit aktiviert werden. Um Bewegungen von Helligkeitsänderungen zu unterscheiden, müssen die Nervenzellen im Verbund agieren. Als echte Teamplayer leiten sie nicht nur Informationen zur wahrgenommenen Bewegung weiter, sondern liefern auch ein Korrektursignal an die Nachbarzellen. Nachgeschaltete Nervenzellen bekommen so wichtige Informationen, um Signale von Bewegungen und Helligkeitsänderungen getrennt zu verarbeiten.

»Nicht die Signale einzelner Zellen zeigen an, in welche Richtung eine Bewegung stattgefunden hat. Entscheidend dafür ist vielmehr die Differenz der Signale zweier Zellen«, sagt Norma Kühn, ehemals Stipendiatin des Dorothea Schlözer-Programms der Universität Göttingen und Erst-Autorin der Publikation. Gruppen von Nervenzellen übertragen mehr Information über die beobachtete Bewegung, weil sie sich gegenseitig korrigieren. Die Synergie zwischen Nervenzellen wird noch erhöht durch gleichzeitige, also synchrone Aktivität der Nervenzellen. »Dies führt zu einer genaueren Repräsentation der Bewegungsrichtung«, so Kühn.

Nach Einschätzung Gollisch sind diese Erkenntnisse nicht nur aus Sicht der Grundlagenforschung interessant. Langfristig, so hofft er, können diese Erkenntnisse in die Entwicklung von Sehprothesen einfließen. Solche Sinnesprothesen stellen mittels künstlicher Aktivierung, beispielsweise durch kleine Elektroden im Auge, eine gewisse Sehfunktion wieder her, wenn durch Absterben der Lichtsensoren im Auge Blindheit eingetreten ist. »Die Ergebnisse weisen darauf hin«, so Gollisch, »dass nicht nur die richtigen Zellen aktiviert werden müssen, sondern dass auch das Verhältnis der Aktivierung von unterschiedlichen Zellklassen wichtig ist, damit das Gehirn die Information, die vom Auge kommt, korrekt interpretieren kann.«(me)


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